Ich mag Strickpullover nicht. Sie kratzen unablässig auf meiner Haut, ständig juckt es an verschiedenen Stellen, wobei ich es am Hals am Unerträglichsten finde. Es juckte mich schon als Kind, ich trug deswegen ein blassblaues Seidentuch um den Hals, dazu zwei lange Zöpfe und eine dunkelrote Latzhose. Der Pullover war aus braungesprenkelter gelber Wolle gestrickt, die mich an einen Gugelhopf mit Rosinen erinnerte. Nicht, dass ich gelb mochte, auch die Zöpfe mochte ich nicht und schon gar nicht das Seidentuch. Gugelhopf liebte ich jedoch und der Gedanke daran machte mich glücklich.
Ich mag Strickpullover nicht, ich möchte sie weder tragen, noch in mühsamer Fleissarbeit selber herstellen. Wobei ich trotzdem nie achtlos an Wollregalen vorübergehen kann. Die verschiedenen Farben, Strukturen und Knäuelformen ziehen magisch meine Blicke auf sich. Ich bestaune sie, betaste die Wollfäden, studiere Muster und Strickanleitungen. Die Vorstellung, für meine Kinder haufenweise Mützen in verschiedenen Mustern und Farben zu stricken, ja, tagelang keiner anderen Beschäftigung nachzugehen, als die Stricknadeln klappern zu lassen, Maschen zu zählen und zwischendurch eine Tasse Tee zu trinken, hat etwas sehr Verlockendes für mich. Die Überschaubarkeit des Maschengebildes und das zielgerichtete Zusammenknüpfen der einzelnen Wollschlaufen würde sich beruhigend auf mich auswirken und mich komplett ausfüllen. Es würde kein Platz für Zweifel, Angst und Fragen des Lebenssinns bleiben.
Die Maschen würden sich pausenlos aneinander reihen, bis sie irgendwann nicht mehr zu stoppen wären, sie würden sich verselbständigen, würden sich unabhängig von meinen Fingerbewegungen zu einem immer grösser werdenden Gebilde, das als Mütze nicht mehr erkennbar wäre, verbinden. Das Maschengebilde würde sich in ein Monster verwandeln, ein Ungeheuer, das mich von innen her verschlingen würde. Ich würde zwischen den kratzenden Schlaufen verschwinden und nie mehr wieder auftauchen.
Ich weiss, wieso ich die Wollknäuel, die ich mit klopfendem Herzen aus der faszinierenden Farb- und Formenvielfalt aussuche, an der Kasse aufs Band lege, dazu passende Stricknadeln, deren Klappern ich bei deren blossen Anblick hören kann – ich weiss, wieso ich diese Teufelsdinger im letzten Moment vom Band reisse, nur Sekunden, bevor sie von der Kassiererin eingescannt werden.
Ich weiss, dass ich damit noch einmal meinen sicheren Untergang verhindert habe.
strickpullover
von Ruth Weber-Zeller
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