Ich - Page 2

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von Michael Dahm

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Sonne, deren Licht die echsenschrumpelige Borke der Bäume rot wie Blut hinunter rann, verwandelte den Wald in eine mehr als gespensterhafte Kulisse.
Er wurde dichter und dichter, und obwohl ich auf der richtigen Fährte war, schien er sich seit gestern verändert zu haben.
Ich erkannte zwar einige markante Bäume, doch schienen sie heute an anderer Stelle zu stehen und bei manchen hatte ich das markerfrierende Gefühl, als beobachteten sie mich. Es lag ein Raunen und Flüstern in der Luft, obwohl niemand zu sehen war.
Ich hörte mich ächzen und wimmern ... Und endlich, endlich näherte ich mich der Stelle, die mir nicht aus dem Kopf ging. Plötzlich beruhigte sich alles, es ging kein Wind, kein Vogel piepste und nur mein Atem, der stoßweise und flach meine Lungen verließ, verriet mich als lebendiges Wesen in dieser unwirklichen Atmosphäre.
Nur noch ein paar Meter, nur noch ein Busch und dahinter eine uralte, mächtige Eiche, die hohl sein musste ... ich musste um sie herum und dann sah ich ES.
Der Anblick traf mich hart und ließ mich wanken. Es war also wahr und ich hatte mir in keinster Weise etwas selbst vorgegaukelt. Dieses war der Beweis für mich, auch wenn ich schon lange daran glaubte,
dass es Dinge gibt, die jenseits unserer Vorstellungskraft liegen und nicht von dieser Welt kommen können.
Was ich dort nun vor mir sah, war so bizarr und eigentlich unwirklich, dass mein Geist sich einredete, dieses hier ist nicht wahr und er sagte mir, dass ich halluziniere.
In dieser hohlen Eiche gedieh etwas. In einer zarten Aura aus rötlichem Licht hing an einem dünnen pulsierenden Faden ein menschliches Auge und sah mich an. Um dieses Auge bildeten sich bereits haarfeine Kapillaren und ein zweites Auge war schon zu erahnen.
Wenn ich durch meinen Lebenswandel nicht schon durch gruselige Dinge abgehärtet gewesen wäre, könnte ich mir durchaus vorstellen, dass man vor Schreck hätte sterben können. So aber drehte sich für einen Moment der Waldboden unter meinen Füßen und ich rang um Fassung.
Als ich wieder halbwegs bei Verstand war, sah ich mir das Ding genauer an … und es sah mich an, mit einer, wie mir schien, neugierigen, ahnenden Kälte. Doch in dieser Situation hätte ich alles geglaubt.
Was in Gottes Namen ging hier vor, alle meine dunklen Studien und schwarzen Magien versagten hier.
Es musste eine rational irrationale Erklärung dafür geben, aber ich war zu gering, um dieses zu verstehen. Das Ding war am Wachsen, das war klar, aber wohin und in welche Dimensionen würde es sich entwickeln? Dieses galt es herauszufinden, und ich nahm mir fest vor das Geheimnis, das wahrscheinlich eines der merkwürdigsten der Menschheit war, zu hüten und zu beobachten.
Ganz unbegreiflich war, wo es seine Energie herbekam, denn wenn etwas wächst, braucht es Nahrung oder eine andere Energiequelle.
Alles was ich sah, war dieser dünne pulsierende Faden, der in der Eiche verschwand und dieses Ding anscheinend wie eine Nabelschnur versorgte.
Mir kam es vor, als ob die Erscheinung in dieser kurzen Zeit bereits an Materie zugenommen hatte.
Meiner Meinung nach bezog sie ihre Energie direkt aus dem Baum, aber wie das funktionierte, ich hatte keinen Schimmer.
Wenn sich das Geschriebene liest, als hätte ich alles ganz nüchtern und sachlich betrachtet, so täuscht dieser Eindruck. Meine Gedankengänge waren holperig, sprunghaft und von Angstattacken geprägt.
Ich wusste ja nicht, was sich noch alles hier ereignen könnte.
Dieser Ort war jedenfalls alles andere als natürlich. Er war von einer Energie aufgeladen, die nicht irdischen Ursprungs zu sein schien. Nur Luzifer oder sein Gegenpart konnten wissen, was es war.
Ich glaubte, dass es genau diese Art von Energie war die dieses Ding versorgte, die mir aber die Nackenhaare sträubte und mich wie in Watte bewegen ließ. Gleichzeitig bemächtigte sich meiner eine Ahnung, dass ich mit diesem Etwas auf irgendeine Weise verbunden sei. Es war kein Zufall, dass ich dort war. Ich wusste, dass die Zukunft zeigen würde, welchen Weg das nehmen würde. Es machte mich rasend, dass ich nicht wusste was passieren würde.
Während all dieser Momente und Gedankenblitze glotzte mich dieses Zyklopenauge an ohne einmal zu blinzeln. Es lag Kälte darin und wie mir schien Hass und Wut.
Das zweite Auge war nun schon zur Hälfte fertiggestellt. Blutgefäße und Kapillaren waren ringförmig herumgewachsen, eine teuflische Präzision war am Werk und machte offensichtlich keine Fehler.
Ein Torso mit Kopf war als hauchfeiner, durchscheinender Umriss in der Aura zu erkennen. Und mir schien, je angstvoller und panischer ich war, desto schneller pulsierte der Faden und um so schneller wuchs die Gestalt. Es war also klar, das Geschöpf, welches hier fertig gestellt werden sollte, bezog seine Energie aus der Umwelt, der Luft, Schwingungen und auch von meiner Angst. Je länger ich darüber nachdachte umso plausibler erschien es mir.
Ich fühlte mich schwach, mir war schwindelig, und ich musste hier weg, um nicht durchzudrehen.
Den ganzen langen Weg nach Haus hatte ich das unheimliche Gefühl, dass ich auf Schritt und Tritt von einer unsichtbaren Wesenheit begleitet und beobachtet wurde. Dieses Gefühl machte mich fast wahnsinnig und ich lief und stolperte durch den unheimlichen Wald, der mir immer mehr den Weg zu versperren schien. Äste und Zweige schlugen mir ins Gesicht, Dornen hielten meine Sachen fest und ein Wispern lag in der Luft, die selbst auch von anderer Form war als sonst. In meinem Kopf sah ich das Auge, das hinter mir herblickte und wahrscheinlich alle meine Gedanken kannte.
Mit letzter Kraft kam ich zu Haus an, schlug alle Türen hinter mir zu, verdunkelte die Zimmer und legte mich ins Bett. Ich schlief ein und sofort bemächtigte sich das Gesehene meiner armen, geschundenen Seele.
Ein pulsierender Schlauch aus der Eiche, der in meinen Körper führte, flößte mir undefinierbare Stoffe ein. Mit peristaltischen Bewegungen gelangten große und kleine Brocken von irgendetwas in mich hinein. Immer mehr und mehr und mehr und mehr. Ich spürte wie ich aufblähte, meine Haut fühlte sich an wie gespannter Gummi. Plötzlich öffnete sich mein Ernährerbaum etwas und ich sah etwas, das den abgebrühtesten Abdecker ohnmächtig hätte werden lassen.
Hinter der rauen Rinde nisteten riesige Fabelwesen, die Menschen und Tiere häuteten, köpften und Gliedmaßen und Eingeweide entfernten. All dieses wurde zerkleinert, zerstoßen und in einen bluttriefenden Bottich getan. Diese gehäckselte Masse kam in die pulsierende Nabelschnur und nährte mich. Dabei sahen mich die Fabelwesen aus großen, gelben Augen kaltherzig an.
Selbst in meinen Träumen schien ich keine Ruhe mehr zu haben, und ich wachte schweißgebadet auf. Gerade noch rechtzeitig, um etwas hinter dem zugezogenen durchsichtigen Vorhang meines geschlossenen Fensters verschwinden zu sehen.
Niemals in meinem nebulösen Leben hatte ich ein solches Grauen und solch eine Angst verspürt wie in diesem Augenblick. Instinktiv wusste ich, das ich in den Fängen übernatürlicher Kräfte war und dieses Wissen machte mich ohnmächtig und willenlos. So sicher wie das Amen in der Kirche, so sicher war es auch, dass mir etwas geschehen würde und dieses hatte etwas mit dem Ding im Wald zu tun.
Ich fuhr aus meinem Bett und rannte los, kaum dass ich ein paar Stunden in meinem Hause war. Dass ich noch meinen Pyjama trug war mir egal, es war etwa Mitternacht und niemand würde mich vermutlich zu Gesicht bekommen.
Der halb verschleierte Mond beleuchtete die Szenerie mit gespenstischem Licht und machte meinen gelebten Albtraum vollständig. Ich lief wie in Trance in den geisterhaften Wald, der sich mir wie auf wundersame Weise öffnete. Es gab keine Dornen, keine Zweige die mich bremsten und nur die uralten Holzaugen der borkigen Eichen stierten mir nach. Kein Laut, kein Wispern war zu hören. Eine ungeheure Energie und Spannung lag in der Luft und hoffte auf Entladung, und ich schien der Funke zu sein.
Mir war alles egal, ich wollte wissen, wer oder was mich herausforderte und mein Leben derart durchlöcherte.
Fledermäuse wiesen mir den Weg .
Als ich dem geheimnisvollen Ort näher kam, beugten sich die Bäume tiefer, als sollte nichts von ihm nach außen dringen.
Die Eiche stand in der Mitte eines fluoreszierenden Ringes, der aus nichtirdischen Pflanzen zu bestehen schien. Ihre Zweige bewegten sich und winkten mich einladend in den Ring hinein.
Apathisch folgte ich dieser hadesartigen Botschaft und trat in den Kreis, der daraufhin seine Färbung von Mondsilber zu Blutrot wechselte. In dieser Atmosphäre wankte ich angstbenommen zur Eiche und suchte das Auge und was daraus geworden war.
ES war weg ... die Nabelschnur lag unbeachtet und schwach pulsierend auf rotem Waldmoos und eine undefinierbare Masse trat erstarrend daraus hervor.
Ich blickte mich um und das Universum starrte mich kalt und grausam an. Ich war ein Mensch, wie er armseliger und kleiner nicht sein konnte.
Die Panik ließ mich nicht mehr klar denken und mein Bewusstsein löste sich schon auf, als sich die Eiche öffnete und ein nacktes menschliches Wesen heraussprang. Langsam und mit lichtlosen, uralten Augen kam es auf mich zu, hob die Hände, legte sie mir um den Hals und drückte zu.
Ich konnte meinem Schicksal nicht entfliehen, das wusste ich. Mein Leben lief vor meinen Augen ab und plötzlich sah ich alles ganz klar.
Alles im Universum wiederholt sich und auch mein Leben, wovon mir bisher ein großer Teil fehlte.
Ich sah in meine eigenen Augen, bevor meine starben und auch mein anderes Ich schien zu bemerken was es tat. Die Kälte in seinen Augen wich einem erkennenden Blick und ich fand mich darin wieder.
Ich weiß nun, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, auch wenn meine Wiedergeburt sich von der der anderer Menschen grundlegend unterscheidet. Wie lange ich schon auf diesem Planeten verweile, vermag ich nicht zu sagen, doch das Universum expandiert und zieht sich zusammen und ich mit ihm.
Dieses waren die Gedanken meines sterbenden Hirns und das Nächste, woran es sich erinnerte, war, dass ich mich bewegungsunfähig in einem Wald befand und nichts weiter tun konnte als SEHEN ...

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