Deutsches Theater der Gegenwart (interaktiv)

Bild zeigt Alf Glocker
von Alf Glocker

Erster Akt.

Der Vorhang hebt sich …

Zu sehen ist eine grüne Wiese – sie reicht vom Bühnenrand nach hinten, in die Unendlichkeit …

Ein sich mächtig aufplusternder Mann betritt, mit mächtiger Geste, mächtig die Fläche.

Er greift nach einem mächtigen Mikrophon und singt (mit monotoner, dunkler Stimme):

„Sooooo wie duuuu bist,
bist du geboren um zu leben."

Im Hintergrund erscheint wie ein Menetekel die Leuchtschrift
„Nein, wer hätte das gedacht?!“

Bühne und Zuschauerraum werden abgedunkelt. Der mächtige Mann mit dem mächtigen Mikrophon verschwindet vor einem, im Hintergrund aufblinkenden Sternenhimmel.

Da betritt eine Kompanie der Bundeswehr im Gleichschritt das Theater (während dessen wird es gleißend hell) und marschiert durch den Mittelgang zwischen den Sitzreihen. Sie brüllt:

„An Tagen wie diiiesen …“

Gleichzeitig erhebt sich eine Zuschauerin, hält ein Schild mit der Aufschrift „Fräuleinwunder“ hoch und säuselt nett hundertmal hintereinander:

„Die Endorphine spiel’n verrückt, die Endorphine spiel’n verrückt, die Endorphine spiel’n verrückt“ … usw.

Ein uralter Mann in der Loge rechts oben erhebt krächzend seine Stimme. Er „flüstert“ seiner Begleiterin – so laut, daß es alle hören können – ins taube Ohr:

„Weißt du noch, wo wir uns trafen, weißt du noch? Weißt du noch, worüber wir sprachen? Weißt du noch?“

Sie lacht:
„Was weißt du denn?“

Das Publikum applaudiert einfach …

Ein Mensch aus Bochum hält seine Currywurst hoch und röhrt im Kasernenhofton:

„Wönn ist ein Männ ein Männ?!“

Auf der Bühne erscheint jetzt eine nackte Gestalt. Auf Brust und Rücken sind die Worte tätowiert:

„Alter Ego“ …

Sie singt oder tut jedenfalls, als würde sie singen – sie hält sich einen Spiegel vors Gesicht, auf den ihr Atem wie Nebeldunst schwebt:

„Es fällt mir schwer ohne dich zu leben, mit den Wundern jeder Zeit, weil jeder von uns spürte, wie wertvoll Leben ist."

Der Spiegel ist nun völlig beschlagen und der Vorhang fällt.
Dann geht er wieder auf.

Zweiter Akt.

Ein neues Bühnenbild ist zu sehen.

Auf den Brettern, die eine seltsame Welt bedeuten, steht jetzt ein Gnom. Er ist gebückt und geifert gierig nach einer riesigen Blondine, die an einem Spinnrad sitzt …
Der Gnom stottert, er versucht sich zu konzentrieren, dann meckert er blechern:

„Schenk mir ein Wunder, sag mir, daß es sie noch gibt, schenk mir ein Wunder, folgt auf Schatten wirklich Licht …“

Jetzt lässt der Bühnenmeister eine kleine Wolke über die Szene gleiten …

„schenk mir ein Wunder, ich wünsche es mir, schenk mir ein Wunder, ich wünsche es mir, schenk mir ein Wunder, ich wünsche es mir“ … usw.

Während die Stimme des Gnoms immer leiser wird steigen 999 (oder 666?) Luftballons aus der Versenkung. Sie verdecken für einen langen Augenblick das ganze Bild.

Als die Bühne wieder zu sehen ist, erkennt man einen Oberindianer mit einem Kopfschmuck aus Pfauenfedern. Er sitzt in einem winzigen Kanu und hat einen Kochlöffel als Paddel in der Hand.

Links und rechts außen zerren graue Giganten an fadenscheinigen, bläulichen Leintüchern und versuchen damit einen Welleneffekt zu erzeugen.

Sie reden laut vor sich hin:

„Unter deiner Flagge … erzähl mir den Traum vom Glück … komm, geh ein kleines Stück mit mir … unter deiner Flagge trägt der Wind deinen Namen …“

Da schieben sich plötzlich die künstlichen Wolken am Himmel beiseite, Falko erscheint und wirft ein paar leere Blechdosen hinunter, der Oberindianer mit dem eitlen Pfauenschmuck kentert und geht scheinbar unter. Die grauen Giganten weinen …

Der Vorhang fällt.

Dritter Akt

… er ist gleichzeitig der letzte.

Als der Vorhang erneut aufgeht, sieht man ein Schloss vor düsterem Nachthimmel. Auf der Bühne ist ein Moor entstanden, na, wenigstens ein Morast. Zwischen den Schilfgräsern sitzen kleine verhutzelte Elfen und produzieren Seifenblasen.

Im Zentrum des neuen Bühnenbildes steht ein verrückt gewordener Graf Dracula und schreit:

„Ich sehe so oft in den Himmel, such in den Wolken dein Gesicht, haaaaaa … vielleicht ist Abschied eine Reise die Wiedersehen verspricht, haaaaaa … vergiss niiiiiiiiicht wooooooohh, vergiss niiiiiiiiicht wooooooh, vergiss miiiiiiich nicht."

Plötzlich hat er Schaum vor dem Mund. Renfield kommt vorbei und versucht den Kadaver des Grafen zu fressen, doch bevor dies geschieht …
fliegen ACDC auf kupfernen Hexenbesen herein, die Hell-Bells erklingen und das deutsche Theater löst sich in Rauch und Flammen auf.

Mitten in die Flammen und in den Rauch hinein projiziert der Bühnenmeister mit einer superhellen Laterna magica die Worte:

„Alles was ich bin, alles was ich war, nehme ich mit auf Kurs, dorthin wo ich noch nie war …“

Zuguterletzt steht einer in der ersten Reihe auf – er sieht aus wie Loriot – und bei seinen Worten, stürzt wie auf Kommando das Theaterdach ein:

„Ach was?!“

Veröffentlicht / Quelle: 
auf anderen Webseiten
Prosa in Kategorie: 
Thema / Klassifikation: