Panzerkreuzer und die Geschichte mit der Staatsmacht

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von Torsten Schönfelder

Panzerkreuzer kannte jeden, und jeder kannte Panzerkreuzer. Einen bürgerlichen Namen hatte er scheinbar nicht, und brauchte ihn auch nicht. Panzerkreuzer sah genauso aus wie er hieß: Stiernackig, Lederjacke, Muskeln bis in die Ohrläppchen. Eine Institution.

Panzerkreuzer war Chef der „Ordnungsgruppe“, geachtet und gefürchtet.

Diese „Ordnungsgruppe“ bewachte und behütete die Veranstaltungen in den „Drei Eichen“, der größten Diskothek der Stadt, in denen schon mal einige Hundert, wenn nicht gar über Tausend Besucher alkoholisiert feierten. Und Panzerkreuzer war deren Chef. Und er hatte die Lage im Griff. Legenden besagten, Panzerkreuzer nahm zwei sich prügelnde Menschen einfach so am Kragen gepackt auseinander, und wenn das noch nicht reichte, gab es für jeden der Streithähne noch einen „Ordnungsgong“.

Wer Panzerkreuzer kannte, war gut dran. Der konnte – auch bei ausverkauften Veranstaltungen – noch für einen Fünfer oder ein Bier den Einlass passieren. Aber nur, wenn Panzerkreuzer gut drauf war.

Ich bildete mir immer ein, ihn zu kennen, und das eine oder andere Mal klappte das auch, und ich war „drin“.

Silvester 1988/89 kam ich von der Armee auf Urlaub, und es war natürlich viel zu spät, um Eintrittskarten für den begehrten Silvesterabend in den „Drei Eichen“ zu kaufen. Der Buschfunk meldete aber, dass gerade für diesen Zweck (Armeeangehörige auf kurzem Urlaub) immer einige Karten zurückgehalten wurden.

Also ging ich eines Nachmittags todesmutig in das Büro der Diskothek, und traf dort – kurzgeschoren und schüchtern, also ich – Panzerkreuzer an.

„Hallo,“ sagte ich, „ich komm von der Asche (ein damaliges Schimpfwort für die NVA), und wollte gerne Silvester in die 'Eichen'. Hab gehört, ihr habt da immer noch Restbestände für sowas?“

Panzerkreuzer's Blick veränderte sich, er sah mich an, wie – ja wie ich das von der Armee kannte. Wenn ein Vorgesetzter einem Untergebenen klar macht, dass er das ärmste Schwein ist. Das kann man in Worten nur sehr schlecht wiedergeben, aber jeder, der in der NVA war, wird wissen, was ich meine.

„Wie?“, fragte er bedrohlich, „Wie haben Sie eben die Armee unseres sozialistischen Vaterlandes genannt?“

Sofort stand ich stramm, und überlegte: Das roch nach einer Anzeige, nach Ärger. Ein Scherz? Konnte das ein Scherz sein? Nein. Das war Ernst.

Panzerkreuzer war von der Stasi.

Jetzt bloß keinen Fehler machen.

„Entschuldigung“, stammelte ich, „Entschuldigung, das ist mir eben nur so rausgerutscht. Sie verstehen, ich bin bei der Armee, also bei der NVA, also bei der Nationalen Volksarmee, und ich bin erst gestern auf Urlaub gekommen, und da wollte ich...“

Schon gut, knurrte er mich an, und ich atmete auf. Das ging nochmal gut. Ob ich nur eine Karte brauche, oder mehr? Nein, eine würde mir reichen.

Ich verabschiedete mich, musste ich jetzt eine militärische Ehrenbezeigung machen? Ich unterließ das und stand mit meiner Karte verstört, aber auch glücklich wieder draußen.

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Erst nach der sogenannten „Wende“ erfuhren wir DDR-Bürger von den vielen perfiden Machenschaften der Stasi. Im realen Leben war das zwar präsent, aber wir lebten ziemlich sorgenfrei. Viele Puzzle-Teile fügten sich erst in der Rückschau zusammen.

Für mich war eines von diesen Puzzle-Teilen „Panzerkreuzer“. Einer von vielen anderen.

10.04.2020

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