Du uraltes Stuhlbein, wie Du da leicht bockig stehst und Dich eitel in den welligen Scheiben der hohen Vitrine spiegelst, die meine Bücher beherbergt. Und überhaupt, Ihr Bücher! Wie Ihr mich heute wieder so beleidigt anschaut, als hätte ich Euch nicht gelesen, und dennoch brav nebeneinander aufgereiht darauf wartet, dass ich nach Euch greife.
Ob Ihr miteinander redet? Der Carl Friedrich von Weizsäcker mit den Galgenliedern des Christian Morgenstern, die rote Mao Bibel mit dem schwarz ledern eingebundenen Neuen Testament, Bert Brecht und Sigmund Freud mit der Ulla Hahn, die haben sich was zu sagen, meine ich; ob aber Karl Marx mit dem Peter Bamm rechts und links mit Joyce Carol Oates und Swetlana Alexijewitsch klar kommt und der Günther Grass mit dem Theologen Hans Küng, das weiß ich nicht. Ich zweifele allerdings nicht daran, dass die Gedichte des Joachim Ringelnatz zugewandt mit denen der Mascha Kaleko kommunizieren, deshalb stehen sie eng aneinander gelehnt, so viel Rücksicht muss sein. In den mittleren Regalen der gesamte Goethe, 1806 als Gesamtausgabe bei Cotta erschienen – einvernehmlich neben den Werken von Charles Dickens, Verlag Philipp Reclam jun. 1890; gehütete Erbstücke des geschätzten Ahnen. Nicht zu vergessen schließlich dieses zerbrechliche in Ehren vergilbte Büchlein mit acht Miniatur-Kupferstichen, gedruckt 1833 - „Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz mit fortgehenden Noten“ von Jean Paul. Auf dem untersten Regalbrett der grummelnde von Internetforen entmachtete Große Brockhaus neben den immer noch lebendigen Märchen der Gebrüder Grimm, die sich mit Navid Kermani und seinem „Ungläubiges Staunen über das Christentum“ auseinandersetzen.
So viel Stoff, so viel Identität, so viel Weisheit, so viel Wissen hoch konzentriert auf engstem Raum. Schöne kluge und auch banale aus der Vergangenheit stammende Sprachflüsse vermischen sich in meinem Kopf mit den Texten und Gedichten der Jetztzeit, es flüstert und knistert, es schäumt und rauscht, es ballt sich, es lebt.
Welches Schicksal steht Euch bevor, wenn ich Euch nicht mehr behüten kann? Werdet Ihr respektlos im Papiermüll versenkt werden, weil man nur noch online liest? Ach, ich sorge mich um Euch. Indes - ich kann nicht mehr für Euch tun, als Euch regelmäßig zu studieren, zu entstauben, zärtlich zu streicheln, zu loben und zu lieben, so lange ich atme, Ihr meine stillen Schätze …
Ihr Bücher!
von Marie Mehrfeld
Prosa in Kategorie:
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