Katze.

Bild zeigt Ruth Weber-Zeller
von Ruth Weber-Zeller

Auf der sonnenerwärmten Sandsteinmauer sass die getigerte Katze des Nachbarn auf der Lauer. Sie schien auf etwas Wertvolles zu warten, stellte sich schlafend, ihre grünen Augen fast ganz geschlossen. Als ich nähertrat, ihr über das seidig glänzende Fell streichen wollte, erhob sie sich mit langsamen, eleganten Bewegungen, blickte träge in meine Richtung, voller Verachtung, wie mir schien und streckte ihren Rücken. Es kam mir so vor, als ob ein Tiger vor mir stünde, ein Raubtier, und ich fühlte mich in eine afrikanische Steppe versetzt. In eine Wüste vielleicht, die von wilden Tieren und stacheligen Pflanzen belebt wird und die in mir ein Gefühl des Ausgeliefertseins auslöste, mich spüren liesse, dass ich nicht dorthin gehörte und über kurz oder lang, wobei kurz zutreffender wäre, einen einsamen Tod sterben würde. Dieser Gedanke liess mich frösteln und ich zog mir die dünne, blaue Strickjacke über die Schultern. Ich sah gerade noch, wie das Raubtier sich stolz, mit gemächlichem Gang auf seinen Samtpfoten aus meinem Grundstück entfernte. Dies, ohne mich, die ich bereit gewesen wäre, in der afrikanischen Wüste, Steppe oder wo auch immer, zu sterben, mich der Natur und deren Gesetzen unterzuordnen, eines Blickes zu würdigen.
Mein Heldenmut schien die Katze unbeeindruckt zu lassen und es wurde mir klar, dass mein Schritt zur Unterordnung ein unnötiger wäre: die Katze lebte ihr eigenwilliges, stolzes Leben unabhängig von mir, sie entzog sich meinem Einfluss und es brauchte keine afrikanische Wüste, um mich einsam zurückzulassen.

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