Sturmhochwasser

Bild von Susanna Ka
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Sturmhochwasser.
Der Reporter hat die Mütze tief ins Gesicht gezogen und sein Mikrofon mit einem Fellüberzug vor dem Sturm geschützt. Breitbeinig steht er am Kai und die Kamera zeigt, wie die ersten kleinen Wellen seine Füße umspülen.
Eine gelungene Demonstration.
Bis spät in die Nacht hocke ich vor dem Fernseher und verfolge die Berichterstattung. Immer wieder sehe ich die kleine Insel mitten in der Ostsee. Meine Insel, Ankerpunkt meiner Seele.
Ich sehe wie das Meer, der Ursprung allen Lebens – nein, das Leben selbst- sie angreift, sie schubst und schiebt, versucht, sie zu zerstören.
Der Sturm trägt den Sand in dunklen Wolken davon, schwarze Wellen donnern gegen das Steilufer und reißen ihm die Füße weg. Ein großes Stück des Inselwaldes rutscht samt Erlen und Birken in die Tiefe.
Die Bürgermeisterin kommt ins Bild, lächelt gequält. Sie spricht von Hochwasser-Schutzmaßnahmen und weiß doch, dass ihre Kassen leer sind. Auch wenn die Herren des Gemeinderates tapfer dazu nicken.
Das Steilufer kann sie sowieso nicht schützen. Jedes Sturmhochwasser bricht ein weiteres Stück heraus. Reißt den Wald in die Tiefe, die Picknickplätze. Bis es eines Tages die ersten Wohnhäuser sein werden.
Aber diese Ereignisse lassen die Insel auch sanfter und lieblicher werden, lasse sie reifen, so wie ein Mensch reift im Laufe seines Lebens. Der Boden, der an der Nordseite weggerissen wird, lagert sich im Süden wieder an. Es entstehen kleine Grasinseln, auf denen bald die ersten Seevögel nisten, dann wachsen diese Grasinseln zusammen und bilden ein festes Stück Schwemmland. Reiher und Kraniche lassen sich hier nieder und ich habe schon gesehen, dass sich die Inselkühe auf den schwankenden Untergrund hinausgewagt haben, weil dort die gelben Butterblumen blühten.
So entsteht aus Chaos und Verwüstung auf der einen Seite ein kleines Paradies auf der anderen.
Wir werden uns einrichten, auf unserer wandernden Insel.
Aber die Narben, die das Meer uns schlug, werden wir behalten, als Zeichen für unseren Weg.

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