In Betrachtung der Nacktheit

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von Alf Glocker

An der Nacktheit ist generell nichts Betrachtungswürdiges. Das fängt schon mit der Wahrheit an. Sie völlig nackt zu betrachten, oder ihr, von allen Vorwänden entkleidet gegenüberzustehen, ist absolut verabscheuungswürdig! Nacktheit ist wertlos und sie hat keinen Hintergrund. Jedermann sollte sie verbergen und streng darauf achten, daß sie ständig verborgen bleibt … ohne irgendeine Ausnahme!

Man braucht sie auch gar nicht! Nicht einmal beim Sex ist sie von Bedeutung. Deshalb besteht auch überhaupt keine Notwendigkeit, daß ein nackter Mensch irgendwie begehrenswert aussieht. Kinder sind von Gott gegeben! Sie müssen keiner Frau eingepflanzt werden, die zum Sexobjekt, zum Objekt der Begierde gemacht wurde. Eine Frau kann aussehen wie ein Gorilla, Hauptsache, sie kann schwanger werden!

Beim Mann ist es ganz genauso. Er muss an etwas glauben – an sich, oder an Gott, oder an beides – dann kann er auch Frauen schwängern … auch solche Frauen, die wie Gorillas aussehen; und das kommt von der Evolution! Die Evolution hatte nie die Absicht, durch eine „natürliche Zuchtwahl“ etwas hervorzubringen, das sensibel, attraktiv und begehrenswert ist. Die Evolution wollte überleben. Das hat sie erreicht!

Je nackter jemand ist, desto ekliger wirkt er, denn Schönheit ist sündig und Sünde ist hässlich – und wer an sich schon hässlich ist, der verabscheut aus guten Gründen die Nacktheit … nicht nur die der Reichen und Schönen. Je weniger Nacktheit desto besser also. Am besten man zeigt sich nie wie man ist, denn das könnte unangenehme Reaktionen zur unausweichlichen Folge haben! Der Geist ist verhüllt!

Sobald er sich auf die Nacktheit konzentriert, verliert er jegliche Macht. Der List kann er sich dann ebenso wenig bedienen, wie der Unfähigkeit, da sie ja schonungslos bloßgestellt wurde. In diesem Fall ist die Nacktheit ein Fluch, ein jegliche Revolution begünstigender Faktor, der ausgeschlossen werden muss! Und zwar um jeden Preis … lieber den guten alten Werten der Gesellschaft frönen, als sich nackt zu präsentieren!! Wir sind nicht unansehnlich, einfältig und seelenlos!

Nur, wenn wir uns unseres Schutzmäntelchens entkleiden, kommt zutage, was wir nicht erkannt haben wollen … wie klein wir in Wirklichkeit sind. Das aber zerstört den Glauben an uns, den Glauben an die Gesellschaft und den Glauben schlechthin. Ein Glauben rechtfertigt sich durch geschickte Lügen – egal, woran wir auch glauben, Lügen sind ein sicheres Zeichen für Sitte und Anstand. Nur sie können uns bewahren!

Vor wem? Vor der Wahrheit, also vor uns selbst und unseren niederen Instinkten, die, angesichts der Nacktheit interessanter Ergebnisse der Evolution, aus den Fugen geraten und uns zeigten, wie wir sind: grausam und dumm! Wir vertragen die Nacktheit keineswegs, das müssen wir zugeben, sobald wir uns mit der Kunst des Lebens und der Kunst im Leben beschäftigen: Stellen wir doch einfach nichts Nacktes mehr dar!

Verhüllen wir ganz einfach, was uns anregt, inspiriert, oder uns zu immer größeren Leistungen anspornen könnte. Das wäre Gotteslästerung! Hängt alles zu! Kein David darf mehr zu sehen sein – die Venus schon gar nicht. Das sind alles Zeichen des Teufels, eines Dämons, der die Instinkte weckt, der uns, lüstern hechelnd, auf die Spuren des erwünschten Schönen führt … und genau dort sind wir uns ausgeliefert.

Ein Werkzeug der Nacktheit zu sein, das ist unmenschlich, undenkbar, nicht auszuhalten! Wir sind höhere Wesen! Und aus diesem kühlen Grunde sind wir verpflichtet, alles zu verbieten, was von sich aus glänzen könnte: das Genie (erkennt es nicht an!), die verkörperte Schönheit (steinigt die Sünderin!), die nackte Wahrheit (lehnt diese Schweinerei kategorisch ab!), wie auch die Philosophie, die alles ausziehen möchte!

Es geht einfach nicht, die Dinge so zu sehen, wie sie uns die Natur zeigt! Wir dürfen keine Lehren aus so etwas ziehen! Den Schmutz sehen, heißt ihn beseitigen wollen. Wir aber lieben den Schmutz keineswegs und deshalb schauen wir auch nicht hin, wenn er auf unseren Wegen liegt. Wer hat ihn dorthin gelegt? Wir haben ihn nicht gewollt – und solange man ihn nicht erkennt, ist er auch nicht vorhanden … er bleibt verhüllt.

Nur das kann der einzige Weg in eine Zukunft sein, die, von edlen Wesen geprägt, Ziele findet, mit denen man sich abzufinden weiß. Daher muss die nackte Wahrheit durch das System des Machbaren ersetzt werden, die nackte Schönheit durch das Brauchbare und die Kunst generell (die des Denkens und Kreierens) durch die Verhöhnung der Nacktheit überhaupt … damit nichts Beängstigendes mehr entdeckt werden muss.

Lieber eine nackte Kanone als eine nackte Tatsache! Wir arbeiten gemeinsam an der Verwirklichung des Geistes, im Hinblick auf den Untergang ehrlicher Wahrheiten. Und deshalb gehe ich jetzt auch mit meinem Gorilla ins Bett, um mit ihm und mit Gottes Hilfe viele Verfechter der Verhütung zu produzieren … nicht der Verhütung des Übels auf der Welt, nein, der Verhütung des Nackten, Wahren, als ewiges Paradies!

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