AU 2008 03 Melbourne, Straßenbahnbekanntschaft.. - Page 3

Bild zeigt Willi Grigor
von Willi Grigor

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Zeitungsausschnitt, der zeigt wie sie den beiden Getränke serviert. Jobs suchen und finden war ein permanentes Problem.
Danach reisten sie und Gullan zwei Monate zusammen mit Greyhound Bussen durch die USA.
Sommer 1970 trafen Gullan und ich uns in Ravensburg. Wir hatten beide dort einen Job für ein Jahr. Wir begannen, unsere Freizeit miteinander zu verbringen, aus dem ja dann noch mehr wurde.
Für ein Wochenende hatten wir einen Besuch bei Onkel Jakob in Dinkelsbühl verabredet. An diesem Wochenende kam Bibi, um Gullan einen überraschenden Besuch abzustatten. Wir wollten diese Fahrt aber gerne machen und Bibi folgte mit, obwohl sie beim Autofahren immer etwas krank wird.
Gullan und Bibi waren sehr beeindruckt vom romantischen Dinkelsbühl, besonders am Karpfenteich am Rothenburger Tor. (Dinkelsbühl liegt mir sehr am Herzen. Im nahen Dorf Segringen habe ich meine ersten bewussten Jahre verbracht und träume noch heute von meiner glücklichen Zeit als "Junghirt" von einigen Kühen beim "Sessler-Bauer.")
Bibi und ihr Mann Karl-Åke waren unsere Brautzeugen und einzigen Gäste bei unserer etwas anderen Hochzeit in Uppsala 1975. Karl-Åke taufte auch unsere Tochter Karin.

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Kerstin L.

Die beiden Damen in der Straßenbahn bewirkten auch ein weiteres unerwartetes Zusammentreffen, nämlich mit Kerstin L. aus Åmål, von der Gullan nur wusste, dass sie seit langem ihren Wohnort in Australien hat und jedes Jahr nach Åmål kommt, wo sie nach dem Tod ihrer Eltern deren Haus übernommen hat.

Joy Ö. hat die Telefonnummer unserer Tauschwohnung Kerstin übermittelt. Nach einigen Tagen rief sie an und sie unterhielt sich lange mit Gullan. Sie lud uns ein, sie und ihren Mann John in Sunbury zu besuchen.
Die Zugfahrt einige Tage später dauerte ca. 1 Stunde. Kerstin wollte uns vom Bahnhof abholen, sie wohnen am Rande der Stadt. Wir nahmen einen Zug früher als abgesprochen und sahen uns ein wenig in der Nähe des Bahnhofs um. Als wir zurückkamen, warteten wir auf den nächsten Zug von Melbourne. Wir glaubten, Kerstin wäre schon da um uns zu empfangen. Wir sahen aber nur einen Mann mit einem kleinen Mädchen am Bahnsteig. Der Zug kam, aber Kerstin war nicht zu sehen. Wir waren etwas erstaunt und merkten, dass auch der Mann etwas unsicher wirkte. Es stellte sich heraus, dass er Kerstins Mann war und uns anstelle von Kerstin abholen sollte. Das Mädchen war sein Enkelkind ("Prinzessin") Farrah.

Wir fuhren einige Minuten und kamen in eine ziemlich neue Siedlung mit großen, schmucken Häusern. Kerstin und Johns Haus hat eine tolle Lage mit freier Sicht über ein Tal bis an die Hügelkette am Horizont. John war Pilot bei Qantas und ist seit Kurzem pensioniert. Er und Kerstin haben sich ein neues Haus gebaut, weil das alte in einer Gegend lag, das in den letzten Jahren von Waldbränden heimgesucht wurde.

Kerstin und Gullan hatten sich viel zu erzählen. Sie kannten sich zwar nicht so gut aber in der Ferne rückt man zusammen. Kerstins und Gullans Eltern hatten allerdings näheren Kontakt.
Das Haus war zum Teil schwedisch eingerichtet und Kerstin war dabei, ein Carl-Larsson-Zimmer fertigzustellen. Carl Larsson war ein schwedischer Maler (1853-1919), dessen romantische Bilder sehr beliebt sind.

Wir bekamen ein festliches Mittagessen serviert. John öffnete zwei wirklich gute Flaschen Wein - auf Gullans Wunsch halbtrocken - und und legte eine DVD aus seiner umfangreichen Sammlung von klassischer Musik auf. Beim "Galadinner" in diesem neuen, riesigen Haus fühlte ich mich nicht ganz so bequem. In "Oberklassenhäusern" als Ferien-Tauschwohnung haben wir bereits gewohnt. Da waren wir aber alleine und konnten uns bewegen wie es uns passte.

Das Enkelkind Farrah hat sich lange vor uns versteckt. Sie war sehr schüchtern. Nach vielen Tricks bekam ich aber dann sehr guten Kontakt mit ihr. Nach dem Essen teilte ich unter dem Tisch heimlich mein Schokoladenstück mit ihr. Das war der Durchbruch.
Kerstin schrieb uns später, dass Farrah sagte: “I liked that old man, he was nice and funny!”. Da fühlte man sich stolz!

Ich fragte John zum Schluss, ob er nach seiner Pensionierung zum Spaß mit kleineren Maschinen weiterfliegen will. "23 000 Flugstunden reichen", sagte er, "ich habe jetzt ein anderes Hobby, neben dem Haus natürlich". Er zeigte uns seine Garage, in denen drei Autos, ein Anhänger und jede Menge Werkzeug untergebracht waren. Die zwei roten MGs sind sein wahres Hobby. Der eine ist ein Cabriolet, eine richtige Augenweide, aus den 50er Jahren.

Kerstin brachte uns zurück zum Bahnhof. Sie versprach, dass sie und John uns im Sommer in Åmål besuchen werden.

Die kurze Bekanntschaft mit den beiden netten, älteren Damen in einer roten Straßenbahn in Melbourne werden wir nicht vergessen. Sie hat uns unerwartete, freundliche Überraschungen in Melbourne beschert.

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Der Kreis schließt sich

Am 10. April 2008 (da waren wir bereits in Scarborough, nicht weit von Brisbane und bewohnten ein großes Haus mit Swimmingpool und eigenem Bootssteg, gratis sozusagen) erhielten wir folgende E-Mail von Kristina och Per Anders (das Pfarrerehepaar der Schwedischen Kirche in Melbourne):

Hallo Gullan und Willi!
Vielen Dank für den unterhaltsamen Bericht (nämlich den obigen, Willis Anm.) Es war interessant zu lesen, wie das alles abgelaufen ist – phantastisch kann man nur sagen!
Bezüglich der Ikone sind sich alle Betroffenen einig: Bibi malt sie, Kerstin bringt sie hierher und wir nehmen sie dankbar entgegen. Dem sehen wir wirklich mit Freude entgegen.
Wir danken Euch für Eure Mitwirkung und wünschen Euch alles Gute. Vielleicht sehen wir uns ja einmal wieder.
Viele Grüße von
Kristina und Per Anders

Als wir Anfang Mai wieder zu Hause in Åmål waren, erfuhren wir von Bibi, dass die neue Ikone schon in Arbeit ist.
Kerstin L. kam im Mai zu ihrem Haus nahe Åmål, ihr Mann kam etwas später. Sie besuchten uns in unserer Hütte und wir verbrachten einen netten Nachmittag zusammen.
John flog nach einigen Wochen wieder nach Melbourne und nach drei Monaten wieder zurück nach Schweden. Der Sommer in Schweden war ihm wohl etwas zu kühl, er zog den australische Winter vor. Die Fliegerei machte ihm sicher nicht so viel aus: Er hat den größten Teil seines Lebens im Flugzeug verbracht. Außerdem flog er gratis, manchmal auch im Cockpit, wenn der Flug ausgebucht war.

Am 8. September 2008 kamen Kerstin, John, Bibi och Karl-Åke zu uns nach Åmål. Nach Kaffee, Kuchen und Gesprächen übergab Bibi die neue Ikone an Kerstin. Es herrschte eine besondere Stimmung.
Die Ikone hatte das gleiche Mariamotiv wie die, die wir in Melbourne gesehen haben.

Kerstin gab Bibi einen Strauß Blumen und sagte, dass ihr die Kosten für die Ikone überwiesen werden. Bibi aber sagte sehr bestimmt, dass dies ein Geschenk von ihr an die Gemeinde der Schwedischen Kirche in Melbourne sei.
Gullan und ich meinten, dass wir nun noch einmal nach Melbourne kommen müssten, um die Ikone an Ort und Stelle zu sehen.

Am 15. Oktober 2008 erhielten wir folgende E-Mail von Kerstin L.:

Wir möchten Euch mitteilen, dass Bibi´s schöne Ikone feierlich entgegengenommen und in der Schwedischen Kirche in Melbourne aufgestellt wurde. Dies geschah Sonntag, den 5. Oktober. Ich fühlte mich privilegiert als ich bei der Prozession am Beginn der Messe die Ikone in den Kirchensaal tragen durfte. Nun ist der Kreis geschlossen!
Ich schrieb auch Bibi einen Brief darüber und schickte einige Bilder…
Herzliche Frühlingsgrüße von
Kerstin und John

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© Willi Grigor, 2008 (Rev. 2016)

Prosa und Gedichte:
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