Eines schönen Tages kauften wir unserem Kind einen gelbgrünen Sittich, den wir 'Hansi' tauften – nach dem Großvater des Kindes, der Hans hieß; denn sobald Hansi sich aufplusterte, war er, für seine Verhältnisse, mindestens ebenso dick wie besagter Großvater väterlicherseits. Hansi bekam von uns einen schönen Käfig und feines Futter. Bei geschlossenen Fenstern durfte er nach Herzenslust in der Wohnung umherflattern und abends, wenn es dunkel wurde, fand er von ganz allein in seinen Käfig zurück.
Es begab sich an einem sehr kalten Tag im launischen Monat April, dass wir unsere Küche tapezierten, nicht allein deshalb, weil wir in wenigen Tagen längeren Besuch erwarteten; wir waren erst kürzlich umgezogen, in eine Wohnung, die sich im Zentrum der Kreisstadt Husum befand, und der langweilige Farbanstrich in der Küche schlug uns unvorteilhaft aufs Gemüt. Ich stellte nach vollbrachter Tat die Schüssel mit dem restlichen Tapetenkleister vorübergehend in einen toten Winkel unseres recht geräumigen Badezimmers, wo sie uns nicht im Weg stand.
Am nächsten Morgen, nachdem ich ausreichend gelüftet hatte, ließ ich unseren Hansi aus dem Käfig und machte mich an die Hausarbeit. Das Kind war recht freudlos in die Schule getrabt – es wäre viel lieber zu Hause in seinem schönen, neuen Zimmer geblieben, um im Laufe des Vormittags mit seiner frischgebackenen Freundin, die, ein Jahr jünger als unser Kind, noch nicht eingeschult war und in derselben Straße wohnte, Verstecken und 'Tick' zu spielen.
Während ich den Flur aufräumte, drang mit einem Mal ein klägliches Piepsen an mein Ohr. Mir war sofort klar, dass unserem Hansi etwas Außergewöhnliches zugestoßen sein musste; denn er machte sich meistens nur durch ohrenbetäubendes Gezeter bemerkbar. Ich suchte sämtliche Räume nach dem Vogel ab und betrat zu guter Letzt mit gemischten Gefühlen unser Badezimmer, dessen Tür einen winzigen Spalt offen stand.
Meine düstere Ahnung fand sich bestätigt: Hansi saß im Kleister fest - bis zum Kehlkopf, und auch sein kleiner Schnabel, mit dem er in der Tat ganz erstaunlich herumzetern konnte, schien in Mitleidenschaft gezogen; denn sein Klagen klang zum Gotterbarmen.
Ich befreite das kleine Federknäuel, das auf ein Minimum geschrumpft war, aus dem verhängnisvollen Gemisch und ließ ein Bad ein. Behutsam versuchte ich, den Kleister aus seinen Federn zu lösen, was beträchtliche Zeit in Anspruch nahm; man bekam eine Vorstellung davon, wie zäh dieser fatale Leim war.
Nachdem ich Hansi fast völlig von der Pampe befreit hatte, hüllte ich ihn, er war jetzt pitschnass und sah beinah noch erbärmlicher aus als vorher, eine Ähnlichkeit mit dem dicken, fast faltenfreien Großvater war beim besten Willen nicht mehr feststellbar, in ein buntes Gästehandtuch, und setzte unser kleinlaut gewordenes Haustier, weil es an diesem Tag sehr kalt war, auf unsere Ölheizung, die sich seit dem frühen Morgen in Gang befand: ein dekorativer, kleiner Ölofen mit extrem dicker Oberplatte, die kuschelige Wärme verbreitete. Das Handtuch ließ ich über seinem zerbrechlichen kleinen Vogelleib baumeln, damit er sich nicht obendrein noch erkältete; es bedeckte zur Hälfte sein kleines Haupt, fast wie ein Kopftuch, nur die Augen und der Schnabel schauten hervor: So sah unser Hansi damals aus, seiner Zeit weit voraus: der erste Kopftuchträger in Husum.
Hansi blieb zu meiner Verwunderung ohne 'Zeter und Mordio' auf dem schönen warmen Ofen sitzen, ohne sich sonderlich zu rühren – zwei geschlagene Stunden lang, als wüsste er, dass diese Prozedur unerlässlich war.
Als das Kind aus der Schule kam, war Hansi fast völlig getrocknet und flog schon wieder mit freudigem Gezeter durch die Gegend – statt dessen war das Kind durchnässt, weil es zwischenzeitlich zu regnen begonnen hatte.
Dieses missliche Abenteuer war nicht das einzige, dass unser Hansi überstehen musste. Er fiel eines Nachmittags in einen Stollen unserer Wohnwand, die fast bis an die Decke reichte. Wieder war ich allein zu Hause; das Kind machte derweil draußen mit seiner neuen, süßen Freundin und dem Kettcar das Trottoir unsicher.
Hansi klagte und klagte – und ich war bereits drauf und dran, mit der Säge unser neues Mobiliar zu zerkleinern, um 'unserem kleinen Vogel' das Leben zu retten.
Ich hatte meine Ohren angelegt und den Kopf bis zur Schmerzgrenze an die Wand gepresst, um Hansi anzufeuern, nach einer Lösung zu suchen. Hansi trippelte durch die Stollenwände wie durch ein Labyrinth und fand schließlich – nach einer geschlagenen Dreiviertelstunde – ein Schlupfloch, durch das er sich wundersamerweise in den Spalt zwischen Zimmerwand und Schrank flüchten konnte. Dort saß er nun wie eingeklemmt und mühte sich im Schneckentempo ab, wieder ans Tageslicht zu gelangen. Ich fischte die größte meiner Stricknadeln aus dem Nähkorb und streckte sie ihm, so weit es mir möglich war, entgegen. Hansi kämpfte sich vor, klammerte sich mit seinen kleinen Krallen an den eigenwilligen Rettungsanker, und ließ sich von mir wie ein in Seenot geratener Kahn an Land ziehen.
Kaum in Freiheit, schüttelte er den Staub aus den Federn, der sich bereits hinter der neuen Wohnwand breitgemacht hatte und dem ohne den fast völligen Abbau derselben nicht beizukommen war, schüttelte auch dieses zweifellos schreckliche Erlebnis ab, das durchaus mit einem mittelschweren Autounfall, einem Menschen widerfahren, vergleichbar war, plusterte sich auf wie der kleine dicke Großvater, und nahm Kurs auf die Gardinenstange. Dort verdaute er das schreckliche Erlebnis - sehr gründlich und extrem lange. Erst am späten Abend wagte er wieder die gewohnten Expeditionsflüge, mied seit jenem Tage jedoch das Badezimmer, als befände sich darin die Pest.
Ein Jahr später kauften wir 'Bruder Jakob' hinzu, ein Tier mit himmelblauen Federn, nicht ganz so klug wie Hansi, der, das musste ich mit Bedauern immer wieder feststellen, häufig von Hansi ausgezankt wurde. Weshalb? - Keine Ahnung. Ich hatte damals kaum Zeit, die Tiere länger zu beobachten, weil nicht nur Hansi, sondern auch das Kind ein Brüderchen bekommen hatte, allerdings handelte es sich dabei um keines aus der Zoohandlung und es war auch kein Äffchen aus dem Urwald, sondern ein waschechtes, kleines, putziges Menschenkind.