West-Indien

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Christoph Kolumbus verriet dem aufgeklärten, gebildeten Leser, wie verfahren seine Situation war, als er – nachdem er Richtung Westen in See gestochen war – auf den Bahamas landete und steif und fest behauptete, sich in Indien zu befinden. Kolumbus war dies jedoch einigermaßen egal; er war immer noch unheimlich stolz auf seine Meisterleistung, dem spanischen Königshaus drei Schiffe für eine Mission aus dem Kreuz geleiert zu haben, welche für die damalige Zeit dem Versuch gleichkam, mit der Spirit of St. Louis zum Mars zu fliegen. Das einzige Problem bei der Sache war, dass Isabella von Kastilien dafür, dass sie ihren Gemahl umgestimmt und Kolumbus ihr Vertrauen geschenkt hatte, durchaus berechtigterweise auch etwas von ihrem Schützling erwarten durfte.
Der Genueser stand unter Zugzwang. Warum konnte er auch seinen Mund nicht halten? Hätte irgendjemand ihm von dem Vorhaben erzählt, Richtung Westen (!) einen Seeweg nach Indien zu suchen, Kolumbus hätte ihn ausgelacht. Immerhin hatten seriöse Forscher bereits vor einiger Zeit wissenschaftlich unumstößlich nachgewiesen, dass die Erde eine Scheibe war; rein theoretisch wäre ein solches Vorhaben daher nur zu verwirklichen, indem man am westlichsten Punkt ein Seil befestigte und versuchte, unten durchzuschwingen. Und nun stand er selbst auf dieser gottverlassenen Insel...

Kolumbus versuchte krampfhaft, sich daran zu erinnern, wie es zu dieser Situation gekommen war. Er war mit Freunden in einer Taverne versumpft und nach fünf bis sechs Krügen Bier auf die glorreiche Idee verfallen, den Palast aufzusuchen. Schwankend war er vor dem Tor gestanden und hatte lautstark verlangt, zur Königin vorgelassen zu werden.
Isabella von Kastilien blickte aus einem Fenster, sah, wie die Palastwache bereits im Begriff war, den Störenfried unsanft hinauszukomplimentieren und hatte Mitleid (es sah zumindest danach aus; die Mimik Ihrer Majestät war prinzipiell schwer zu deuten, aber Mitleid zählte im allgemeinen nicht zu ihrem Repertoire). Sie gebot den Wachen Einhalt und lud den Fremden ein, zu ihr nach oben zu kommen.
Kolumbus war verblüfft. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht damit. Was sollte er bloß sagen? Die Tür zum Audienzzimmer wurde geöffnet; Kolumbus versuchte, sicheren Schrittes hineinzugehen, was ihm jedoch nicht vollständig gelang.
„Hat Er nicht gelernt, wie Er sich in Gegenwart eines gekrönten Hauptes zu benehmen hat?“ fragte die Königin scharf.
„Verzeiht, Majestät“, stotterte Kolumbus und verbeugte sich. „Ich wollte nur...“
„Wie ist sein Name?“
„Kolumbus, Majestät. Christoph.“ Kolumbus bemerkte, wie er schlagartig wieder nüchtern wurde. In der momentanen Lage der Dinge ein sehr unangenehmes Gefühl.
„Es freut mich, Seine Bekanntschaft zu machen. Was hat Er vorzubringen?“
„Nun...“ Dies war die Frage, die Kolumbus vielleicht am meisten gefürchtet hatte. Tatsache war, er hatte keine Ahnung. Aber irgendetwas musste er sagen, um sich nicht vollständig zu blamieren (und diesen Raum eventuell lebend wieder zu verlassen), egal was ihm gerade in den Sinn kam... nun, vielleicht nicht alles, was ihm in den Sinn kam. Im gegebenen Zeitpunkt hielt Kolumbus es beispielsweise für unpassend, der Königin Komplimente für ihre Frisur zu machen. Oder, um das Fass zum Überlaufen zu bringen, einen direkten Seeweg nach Indien...
Halt.
In Kolumbus’ Denkapparat begann sich auf einmal etwas in Bewegung zu setzen. Der Plan war schlichtweg wahnwitzig, aber es war ein Plan – sofern man nicht auf die Idee kam, ihn näher erklärt haben zu wollen. Die Ausarbeitung hatte Zeit, was im Moment zählte, war das Stichwort. Kolumbus straffte sich.
„Ich trage mich seit einiger Zeit mit dem Gedanken, dass es prinzipiell im Bereich des Möglichen sein müsste, so etwas wie einen direkten Seeweg in westlicher Richtung nach Indien zu finden...“
Noch hörte die Königin zu.
„... wobei allerdings zu berücksichtigen wäre, dass zu diesem Zweck die Erde eigentlich keine Scheibe sein dürfte – ich denke da vielmehr an einen Würfel oder einen Rhomboid – kurz, man zäumt sozusagen das Pferd von hinten auf, versteht Ihr, und...“
„Schweige Er.“
Kolumbus fiel plötzlich ein, dass es vielleicht gar keine so schlechte Idee wäre, jetzt irgendwo Deckung zu suchen. Es fehlte nur noch, dass er behauptete, die Erde würde sich um die Sonne drehen.
„Seine Idee hat durchaus etwas für sich, wie ich finde.“
Wie bitte?!
„Er wirkt äußerst ambitioniert und von seiner Sache überzeugt. Deshalb bin ich bereit, Ihn bei seinem Vorhaben angemessen zu unterstützen. Würden Ihm, sagen wir, drei Schiffe reichen? Natürlich erhält Er auch ausreichend Proviant und Besatzung und soll, wenn sein Vorhaben gelingt, mehr als angemessen entlohnt werden.“
Kolumbus glaubte zu träumen.
Die Königin fuhr leise, beinahe flüsternd, fort: „Unter uns: wir beide wissen natürlich, dass solch ein Vorhaben einer reichlich kranken Fantasie entsprungen scheint – ich frage gar nicht, wie Er sich vorstellt, es zu bewerkstelligen – es ist aber im Moment der Fall, dass ich aufgrund einer ehelichen Zwistigkeit nicht allzu gut auf meinen Gemahl, den König, zu sprechen bin und eine Gelegenheit, diesem alten Lustmolch eins auszuwischen, herzlich begrüßen würde. Aus diesem Grund bin ich bereit, sozusagen die Schirmherrschaft über sein Projekt zu übernehmen und für sämtliche Unkosten aufzukommen. Das heißt, aufkommen wird im Grunde mein Gatte – er weiß er nur nicht. Es dürfte Ihm bekannt sein, dass der König derartigen Vorhaben gegenüber etwas reserviert gegenübersteht. Wenn Seiner Majestät also irgend etwas von diesem Gespräch zwischen uns bekannt wird, weiß Er, wie ich annehme, was Ihm blüht?“
Kolumbus konnte es sich lebhaft vorstellen. Der Sinn des Königs für Humor war ein denkbar makabrer. Niedergeschmettert verließ Kolumbus den Saal. Als er draußen war, trat aus einer anderen Türe plötzlich der König herein.
„Hat er dir das tatsächlich abgenommen? Oh, ich liebe dich

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