West-Indien - Page 2

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für deine perfiden Einfälle, meine Gute! Wie langweilig wäre das Leben bei Hof doch ohne deine kleinen Boshaftigkeiten!“ Beschwingt sprang er auf seinen Thron. „Aber war das nicht ein wenig zu viel des Guten, mein Herz?“
„Das mag vielleicht sein, mein Lieber. Aber erinnere dich: vor Jahren hatten wir uns einmal unterhalten, ob es wohl irgendeinen Idioten gäbe, der ein Schiff chartern und effektiv einen Seeweg in westlicher Richtung nach Indien suchen würde. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, dass es einen solchen Schwachsinnigen wirklich geben könnte, jetzt konnte ich einfach nicht widerstehen. Lassen wir uns überraschen, was er uns erzählt, wenn er wieder zurückkehrt...“

Wenn der Genueser auch mit einigem gerechnet hatte, damit nun nicht im Geringsten. Vom Regen war er in die Traufe gelangt und sah sich vor die undankbare Aufgabe gestellt, eine Expedition mit dem bereits diskutierten Ziel auf die Beine zu stellen, um nicht vollständig sein Gesicht zu verlieren (im wahrsten Sinne des Wortes).
Es war bei den Vorbereitungen wie verhext gewesen: normalerweise konnte ein Forscher, der eine etwas gefährlichere und anspruchsvollere Tour plante, damit rechnen, diese aus Mangel an freiwilligen Begleitern zu einem Stadtwandertag abkürzen zu müssen. Auf diese Hoffnung hatte sich auch Kolumbus gestützt – und war schon zwei Stunden nach öffentlicher Bekanntmachung seines Vorhabens aufs Bitterste enttäuscht worden. Ihre Majestät hatte diese Tatsache natürlich auch eingeplant und entsprechende Vorkehrungen getroffen. Hintersinnig hatte sie den ersten fünfzig, die sich melden würden, eine großzügige Abfindung zugesichert, dekoriert mit einer jungen, hübschen Kammerzofe. Der Andrang war mit einem in der prallen Sonne stehen gelassenen Stück Himbeerkuchen, das gerade von ausgehungerten Fruchtfliegen entdeckt wurde, vergleichbar gewesen.
Nach einer mehr oder minder ereignislosen und sehr, sehr langen Fahrt hatte Kolumbus nun erstmals in der Geschichte der Forschung den Fuß auf West-Indien gesetzt.
Tja.
Logisch betrachtet konnte es gar nicht möglich sein, aber egal wie oft Kolumbus diesen Gedanken wälzte, die Situation änderte sich dadurch um keinen Deut. Erstes Gebot war, hier so etwas wie Pfeffer und andere wertvolle Gewürze zu finden, um Ihre Majestät zumindest halbwegs zufrieden zu stellen. Kolumbus blickte sich um. Nichts. Bis auf ein bisschen Gesträuch war diese Einöde nicht einmal gut genug, Torf abzubauen. Und weit und breit keine Menschenseele...
Vorsichtig zog Kolumbus den Pfeil, der sich eben vor ihm in eine Palme gebohrt hatte, aus dem Baumstamm. Normalerweise hätte er sich im Moment über nichts so gefreut wie über ein bisschen Gesellschaft abseits von den Leuten, mit denen er Monate auf engstem Raum verbracht hatte, nun aber drohte die Sache aus dem Ruder zu laufen. Kolumbus überlegte ruhig und sachlich. Wie er die Größe dieser Insel einschätzte, konnten sich nicht mehr als drei, vier Eingeborene darauf befinden. Eigentlich kein gröberes Problem... Langsam drehte der Genueser den Kopf – und blickte in die Augen von geschätzten fünfzig bis sechzig leidlich entschlossen wirkenden Indianern.
Verdammt.
„Käp’n!“ Der Erste Offizier seines Hauptschiffes stürzte auf Kolumbus zu. „Käp’n, wir ha’m... also, die Sache ist die...“
„Lass mich raten, Maat – es gibt im näheren Umkreis Dutzende von Inseln, die alle geeignet sind, geschätzte fünfzig bis sechzig leidlich entschlossen wirkende Eingeborene zu beherbergen. Sehr gut. Optimistisch betrachtet sind unsere Überlebenschancen in etwa vergleichbar mit dem Hauptgewinn beim königlichen Errate-die-Reihenfolge-von-sechs-hintereinander-aus-fünfzig-mit-Zahlen-bemalten-Kugeln-gezogenen-Nummern-Gewinnspiel. Irgendwelche kreativen Vorschläge?“
„Nein.“
„Damit habe ich gerechnet. Lass mich nun die Situation für mich noch einmal resümieren: ich bin Gott weiß wo auf dieser verdammten Scheibe, werde vermutlich in den nächsten Minuten am Spieß geröstet und falls ich es mit schon erwähnter Wahrscheinlichkeit doch schaffen sollte, hier mit heiler Haut davonzukommen, habe ich das große Vergnügen, Seiner Majestät von West-Indien zu berichten, wovon ich nicht den blassesten Schimmer habe... die einzige Frage, die sich mir in diesem Moment stärker aufdrängt als alles andere, ist: was habe ich in meinem Leben eigentlich wirklich erreicht? Kann ich damit zufrieden sein...“
Eine Speerspitze in seinem Rücken ließ Kolumbus’ Gedanken relativ schnell wieder in die Gegenwart zurückkehren.

Nach einem für den Genueser äußerst kräftezehrenden Marsch über die halbe Insel (geschätzte eineinhalb Meilen) gelangten sie zu einer Ansammlung von einigen Hütten, von denen eine etwas größer und fantasievoller dekoriert war als die anderen. Kolumbus wurde hineingestoßen und fand sich offensichtlich vor dem Häuptling wieder. Einmal mehr zeigte ein gutes Dutzend Speere auf ihn, eine Tatsache, die ihn leicht nervös machte. Neben dem Häuptling saß ein sehr würdiger kleiner Mann, den Kolumbus in etwa als Stellvertreter des Oberhauptes einstufte. Dieser wandte sich nun ihm zu.
„Falls unser Empfang eine abschreckende Wirkung auf dich gehabt haben sollte, so möchte ich dich bitten, dies zu entschuldigen. Lass mich dir weiters versichern, dass wir nicht davor zurückschrecken werden, dich und deine Männer am Spieß zu rösten, solltet ihr in kriegerischer Absicht euren Weg hergefunden haben. Sag mir, wer bist du und was führt dich her?“ fragte der sehr würdige kleine Mann in perfektem Englisch.
„Nun, ich... mein Name ist Kolumbus und... woher zum Teufel sprichst du Englisch?“ fragte der Genueser, dem es ziemlich egal war, welche Folgen sein Ton haben mochte.
„Ich kann verstehen, dass du darüber etwas konsterniert bist – ich habe zwei Semester in Oxford Diplomatie studiert.“
Angesichts seiner Lage verkniff sich Kolumbus einen ätzenden Kommentar. „Ich komme im Auftrag des spanischen Königshauses, um einen Seeweg nach Indien zu finden.“
Der kleine Mann übersetzte für den Häuptling und die übrigen Anwesenden. Schallendes Gelächter.
„Wie du darauf kommst, dich in Indien zu befinden, weiß ich nicht; Tatsache ist, dies hier ist die Neue Welt. Du bist von Indien etwa so weit weg wie zu Beginn deiner Reise, Alterchen.“
Verdammt.
„Schätze, da hat dich jemand schwer auf den Arm genommen, Kleiner. Vorschlag zur Güte: unser Chef hat noch einen Restposten Glasperlen, die er dir abtreten könnte, und er wäre gern bereit, sie gegen irgendwas Wertvolles auf deinem Schiff einzutauschen. Hör mir also ganz genau zu: du lässt uns da, was du entbehren kannst, schnappst dir die Glasperlen und ziehst Leine, bevor unser Chef es sich anders überlegt. Ach ja, und noch was: was du entbehren kannst, bestimmen wir.“
Zum gegebenen Zeitpunkt war dieses Angebot durchaus in Erwägung zu ziehen. Kolumbus gab in Auftrag, die Schiffe nach allem zu durchsuchen, was die Bezeichnung „wertvoll“ zu tragen verdiente.
Zu seiner großen Überraschung kamen einige Matrosen mit einer schweren Kiste zurück. Wo kam die auf einmal her? Der Genueser war bereit, jeden Eid zu schwören, dass sie sich kurz vor der Abfahrt aus Spanien noch nicht an Bord befunden hatte. Der Häuptling ließ sie öffnen, und zu Kolumbus’ weit größerer Überraschung war sie voll mit Golddublonen.
Seine Majestät würde ihn standrechtlich enthaupten lassen (was Kolumbus nicht wusste, war, dass Isabella von Kastilien Befehl gegeben hatte, im letzten Moment vor seiner Abreise diese – der Staatskasse gehörenden – Golddublonen auf Kolumbus’ Hauptschiff zu transportieren, im festen Glauben, Kolumbus nie wieder zu sehen; in weiterer Folge sollte sich dieser Glaube als unberechtigt herausstellen, doch dazu gleich), aber darauf konnte er momentan wenig Rücksicht nehmen. Hastig nahm er die Glasperlen entgegen, rief seine Leute zusammen und setzte schleunigst Segel Richtung Osten.

Noch nie war Kolumbus so froh gewesen, wieder heimatlichen Boden unter den Füßen zu spüren als in dem Augenblick, als er in Spanien an Land ging, auch wenn sein Leben in den nächsten Stunden wahrscheinlich vorbei sein würde. Leichte Nervosität ergriff von ihm Besitz, als er schließlich zum König vorgelassen wurde.
„Er ist mir eine verteufelt gute Erklärung schuldig, weiß Er das?“ fuhr ihn Seine Majestät an, „was bildet Er sich ein, so mir nichts dir nichts drei Schiffe aus der königlichen Flotte zu entwenden und sich einfach aus dem Staub zu machen? Wo war Er überhaupt?!“ Seine Majestät war ausgesprochen stolz auf seine schauspielerische Leistung. Vor ihm stand nicht viel mehr als ein Häufchen Elend.
„In – –“ nun ja. In der Neuen Welt? Damit standen seine Chancen, zu guter Letzt doch noch am Spieß geröstet zu werden, nicht schlecht.
„Es ist mir gelungen, einen Seeweg in westlicher Richtung nach Indien zu finden, Majestät“, setzte Kolumbus noch einmal an. Was die Ausbeute dieser Reise anbetrifft, so... ist sie nur aus diesem Grund nicht allzu reichhaltig, da ich nach dieser Entdeckung auf dem Fuße kehrt machte, um Eurer Majestät davon zu berichten...“
In diesem Moment ging die Palasttür auf und herein stolperte ein Matrose, in Schlepptau die Kiste mit den Glasperlen.
Selten in Kolumbus’ Leben waren zwei Ereignisse so perfekt aufeinander abgestimmt gewesen wie gerade eben. Aber noch bevor der König endgültig die Beherrschung verlor, schaltete sich seine Gattin ein.
„Beruhige dich doch, Liebling“, redete sie ihm gut zu. Offenbar waren die beiden wieder versöhnt. „Ich bin sicher, Herr Kolumbus hat seine Gründe dafür. Wir sollten ihm noch einmal vergeben.“ Sie wandte sich Kolumbus zu: „Aber ich finde es interessant, was Er über Indien gesagt hat – ist es Ihm tatsächlich gelungen, einen direkten Seeweg in westlicher Richtung zu finden? Wenn dies der Fall ist...“
Oh mein Gott, nein!
„Sicher findet Er sich bereit, ein zweites Mal nach Indien zu reisen, um uns die dort verborgenen Schätze zu bringen. Da Er nun ja den Weg kennt, dürfte es Ihm keine allzu großen Schwierigkeiten mehr bereiten, in kürzester Zeit hin und wieder zurück zu gelangen. Ich hoffe, Er erklärt sich bereit, denn wir setzen größtes Vertrauen in Ihn!“ Der König musste sich zurückhalten, um nicht laut loszuprusten.
Ein Blick in die Augen Ihrer Majestät verriet, dass sie keinen Widerspruch duldete. Entweder, Kolumbus würde in der Neuen Welt eines langsamen, qualvollen Todes sterben oder diesen Palast einen Kopf kürzer verlassen.
„Natürlich, Eure Majestät.“ Aschfahl wankte Kolumbus zur Türe hinaus.
Der König und seine Gemahlin sahen sich grinsend an. Als Kolumbus außer Hörweite war, fingen sie lauthals an zu lachen.
„Brillant! Einfach brillant!“ keuchte Seine Majestät völlig außer Atem. „Was machen wir als nächstes?“
„Wir könnten“, sinnierte die Königin, „probieren, ob irgendein Dummkopf es versucht, auf dem richtigen Seeweg nach Indien zu kommen – über das Kap der Guten Hoffnung und so weiter. Das wäre wirklich spaßig!“

Diese Idee hatte einige Jahre später auch das portugiesische Königshaus; der Idiot hieß, wie allgemein bekannt, Vasco da Gama. Noch später schaffte es tatsächlich ein noch größerer Idiot, im Auftrag Portugals um die Welt zu segeln – offenbar war die portugiesische vis comica noch um einiges schwarzhumoriger als die spanische.

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