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Aus dem Künstlerroman Hier und Jetzt sofort
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Für die Masse schaffen verdirbt alles. Die Anstrengung muß der persönlichen Spekulation gelten.
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Wer soll Geld geben für dein Geschreibe, Gezeichne, Gemale und Gesinge. Und auch über den dinghaften Erwerb urteilt der Markt erbarmungslos. Alles auf den Müll - zumindest das meiste.
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Der Mensch sucht immer neue Geschichten und interessante Erläuterungen. Das verwertet die Medienindustrie in Form von Romanen - aus der Realität oder Fantasie - gut recherchierten Dokumentationen und politischen Pamphleten. Ein weiterer verwertbarer Bereich sind bestenfalls noch Autobiographien herausgehobener Personen. Für deinen Grübeleien-Wust aber gibt keiner Geld.
Dieser Sachverhalt aber ist selbst Material für die Innenseite der Zeit. Es wäre interessant, das Wirken der geistigen Strebungen in den Menschen einer Zeit aus ihren Spintisierereien zu studieren. Doch in der Nachwelt interessieren höchstens persönliche Beschreibungen realer Geschehnisse wie z.B. die Tagebücher eines Landknechts des dreißig jährigen Krieges. Interessant wäre aber auch das Gegrübel eines beliebigen Menschen dieser Zeit.
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Die Notizen aus den Momenten des Geistes als Material in die Datenbank für den Roman als verwertbare Möglichkeit zur Innenwelt eines Protagonisten im Zusammenspiel mit den äußeren Kräften hinterlegen.
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Angesichts dieses Unheils sorglos leben führt zur Katastrophe. Angesichts dieser Tatsache sorglos leben ist unheilig - das Gegenteil von heilsam - es führt zum Tod.
Man kann das Umkommen mit einer großen Tat verschleiern oder sich, im Schauder vor der bestehenden Armut bzw in Angst vor der unausweichlich kommenden, martern.
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Das Außenorgan Haut, das Fühlorgan, ist kein den Körper integral beherbergendes Organ mehr. Die Haut ist in dissoziierte Regionen zerteilt. Das liebliche Gesicht, die Maske, verheimlicht die Dissoziation des Gefühlsorgans, die als Hautkrankheit - Aussatz - sichtbar wäre. Die Haut kann ja gar nicht mehr geheilt werden, denn auch das darunterliegende Fleisch zersetzt sich bereits.
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Hier halte ich in meinen Händen Edelsteine, dort würde ich nur Arbeitsschmutz an mir haben. Dafür aber nach getaner Arbeit lachen. Hier höre ich einen feinen Gesang, dort plumpen Lärm, hier bin ich geborgen, dort bin ich allem ausgeliefert. Hier bin ich im Mutterschoß, eben am anderen Ufer.
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Einsam in der Nacht. Die Fenster der Häuser so geheimnisvoll, als säße hinter jedem ein Mensch. Hinter jedem Fenster ein endloses Rufen, ewiges Warten auf das Glück, das ich einem jeden dieser Verlassenen erfüllen muß.
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Morgen schon werden wir nicht mehr hier sein, werden andere hinter den Fenstern sitzen.
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Dies ist das traumatisch tausend Mal wiederholte Erleben, nämlich daß die Menschheit ihren cleveren Artgenossen nicht gewachsen ist, ihnen in einer gottfernen Welt auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist.
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Die Körpergefühle des Schlafs sich selbst in einem Traumbild als Orakel hervorholen, wie der Seher die Leber, den Vogelflug oder die Sterne befragte.
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Was ich wirklich meine, kann ich nur vermuten, wie einer, der etwas zu rekonstruieren versucht.
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Wenn das, was ich sage, die Wahrheit ist, nehme ich an, daß es verstanden werden kann und daß es früher oder später für wahr befunden wird. Wenn ich etwas Wahres finde, nehme ich an, daß vor mir schon viele auf das, was ich als wahr darstellen will, gestoßen sind und noch stoßen werden, sodaß ich mit jeder ausgesprochenen Wahrheit, wenn sie wirklich eine ist, auf viele Bundesgenossen bauen kann.
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Durch Kenntnis oder Können über das Gegebene hinaus hat meine Schöpfungskraft noch nie zugenommen. Beängstigt registriere ich im Gegenteil, daß Können und Kenntnis meine Fähigkeit zu schöpferischer Tat geradezu hemmen und Wissen Skrupeln erzeugt gegenüber dem ungezwungenen Denken, aus dem allein Neues entsteht. Wissen und Können lähmt und führt mich auf vorgetretene Pfade.
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Auf jeden Fall steht fest: mit steigender Kenntnis und steigendem Können muß auch die Kraft zu Schöpfung und Phantasie steigen, denn Kenntnis vermindert die Phantasie. Ein Maß von Phantasie, das für eine Könnensstufe ausreichte, reicht für die nächste nicht mehr. Denn die nächste Kennensstufe macht die aus der Enge geborenen Erfindungen durch Argumente lächerlich.
Es macht den Reiz naiven Denkens und naiver Kunst aus, daß es sich aus seiner Kennensstufe heraus nicht um Argumente zu scheren braucht und deshalb ungezwungen aus dem Wahrheitsquell schöpft. Die höheren Kennensstufen müssen zuerst die gegen die Phantasie gerichtete Lächerlichkeit als Finte der herrschenden Mächte enttarnen.
Höhere Kennensstufen erfordern höhere Phantasien. Da jedoch dieser Prozeß die fortschrittlichen Menschen von den Massen entfernt, werden die Massen so immer mehr den Cleveren zur Manipulation überlassen. Deshalb braucht es die Phantasien auf den niederen Kennensstufen.
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Wie war es möglich, daß wir nach all den Jahren unseres Zusammenlebens mit ihm so überrascht wurden von den Ereignissen der letzten Wochen um Maximilian Kainzbauer. Wie konnte es geschehen, daß ich, der ich mich wahrlich sein Freund unter der Menge so leichthin gesagter Kollegenfreundschaften nennen konnte, so weit weg war vom Verstehen dieser Ereignisse. Ja ich muß gestehen, daß ich mich in Beleidigtsein zurückziehend fragen konnte, ob es wirklich Freundschaft war, die mich mit Max verband und daß ich tief betroffen war, daß sein Vertrauen einem Idioten gegenüber größer war als zu mir.
Natürlich, heute, nachdem einiges zutage getreten ist, was in jenen Tagen noch im Dunkel lag, schäme ich mich meiner Zweifel und habe das Gefühl einer schlecht bestandenen Prüfung. Aber die Chronik dieser Ereignisse zu schreiben eine Rechtfertigung zu nennen ist falsch, vielmehr drängt der aufgefundene Nachlaß des Freundes ans Licht und wir werden erkennen, daß es nicht Selbstmord genannt werden darf - reden wir doch nicht darum herum - genauso wie der Unfall eines Astronauten nicht so von uns bezeichnet wird - wenn solches auch kleineren Gemütern so erscheint.
Es mag sein, daß ähnliche Rechtfertigungen, zur Feder zu greifen, wie man so schön sagt, schon oft voran gestellt wurden und überhaupt dieses Schema allzu bekannt erscheinen mag, aber gerade solche Ähnlichkeiten mit Geschehenem, Gehörtem offenbart vielleicht eine gewisse Gesetzmäßigkeit in diesen Dingen und wenn ein losgelassener Ball beim zweiten Mal genauso zu Boden fällt wie beim ersten Mal, dann sollte man es doch weniger Nachahmung als vielmehr Gesetzmäßigkeit gewisser Abläufe und solches eben Wahrheit nennen.
Wie alltäglich, oder sagen wir allgemeingültig, viele Dinge in unserer Geschichte sind - ich betone das derart, da man ja leicht geneigt ist, besondere Vorfälle durch Besonderheiten oder sagen wir Absonderlichkeiten? der beteiligten Charaktere zu erklären - sehen wir vorzüglich an kleinen Schwächen oder vielleicht Lächerlichkeiten unseres Freundes, wie ja auch die