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bewegt.
Wenn auch einer solches Papier nachher zur Hand nehmen sollte, erforscht er nicht meine persönlichen Belange, sondern er frägt, ob diese Niederschrift ihm etwas vermittelt, denn so wie sein Zuhören etwas ist, das er mir erweist, so ist sein Lesen etwas, das er sich aneignen will. Er wird nach etwas suchen, das von meinen Möglichkeiten des zu Papier Bringens abhängt, nicht von meinen Veranlassungen. Die Veranlassungen verdunkeln sich vielleicht sogar im selben Maße, in dem meine Niederschrift verständlich wird.
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Als junger Mensch vom sozialistischen Denken ergriffen sein. Mut zur Darstellung des entfremdeten Gemüts durch die trockene Materie banaler Spekulationen in der zweiten Romanhälfte.
In einem perfekten Gesellschaftssystem ist es geradezu besser, nicht in die Schule zu gehen und dumm zu bleiben, als zur Schule zu gehen. Denn der Nichtgeschulte hat die Chance, eher die Repression zu erkennen, indem er vor manchen Erscheinungen völlig verständnislos ist und sie damit als unelementar entlarvt. Er hat die Chance, die Entfremdung aus der herrschenden Repression zu erkennen. Er hat wesentlich mehr die Chance, sich zu befreien, als der Geschulte.
In den Gedanken der Nichtgeschulten liegt der Fortschritt, der nächste Schritt der geschulten, total einbetonierten Gesellschaft, denn die Gedanken der Geschulten sind ja geschult. Sie werden deshalb von den Geschulten - höchstens - in Katastrophenfällen durchbrochen, haben sie ja gerade durch die Schulung Vorteile in der geschulten Gesellschaft.
Der Nichtgeschulte muß aber andrerseits auch soweit geschult sein, um zu wissen, gegen was er kämpft. Das ist das Problem des ungeschulten Geschulten. Er muß die Tricks der Geschulten kennen, denn gegen nur spontan Aufbegehrende haben alle Systeme seit jeher ihre Methoden parat. Es wird eine Art Schizophrenie verlangt - allerdings möglicherweise vom System selbst geliefert.
Da ist es sogar ein Problem, das Problem selbst zu beschreiben. Gesucht wir der ungeschulte Geschulte.
Lang hat der Intellektuelle seinen Vorteil gegenüber den Unterdrückten gefunden.
Doch den Intellektuellen nicht ablehnen, sondern ihn gewinnen.
Der Stützpunkt eines Gehirns ragt weit in die Totenstille des manipulierten Landes.
Es braucht eine Zitadelle, auszuschwärmen in das ausgebeutete Land.
Fluchtburg vor der Verfolgung durch die allmächtige Polizei.
Depot auf dem verzweigten Marsch durch die Köpfe des Volkes.
Lager und Schenkel zur klaren Sicht im Kampfesnebel.
Es ist keine Verzweiflung, nicht an die Allmacht der Manipulation zu glauben.
Sich nicht allein zu fühlen.
Daß beim Handelnden die Menschheit ist.
Die Massen ihn erkennen werden und folgen.
Nicht um Theorien, Philosophien und Religionen streiten.
Sondern den Schleier vom Kampf zwischen den Ausbeutern und Ausgebeuteten, zwischen den Herrschern und Beherrschten heben.
Die erkennende Menschheit befreit sich.
Nicht mit den Massen sprechen wie mit einem Kind.
Die Wahrheit ist einfacher, als die Verschleierung.
Keiner ist zu dumm zum Denken.
Jeder versteht, was richtig ist.
Alles in mir sträubt sich dagegen, daß etwas, das mich so bewegt, wie sonst kaum etwas, das Wohl und Wehe der Wirtschaft, mir nicht klar vor Augen gebracht werden kann, daß es in kapitalistischen und bürokratischen Systemen in der Sprache des Volkes nicht durchsichtig gemacht werden kann, daß die mich betreffende Sache nur den Hohepriestern des Staates oder Betriebes einsichtig ist, wie in Sumer oder Babylon das Wohl und Wehe der Ernte dem großen Vermittler zwischen Gott und dem Volk.
Damals waren die Naturgewalten in die gottgefälligen Hände der Hohepriester gelegt zur Gängelung der Massen so wie heute die industrielle Gewalt in die gottgefälligen Hände der kapitalistischen und bürokratischen Schamanen.
Der Mensch wird seinem Schicksal durch Lug, Trug, Vorspiegelung, Wichtigtuerei, Machtgier entfremdet, schon von Moses angeprangert, von Jesus. Das ist der wahre Götzendienst, schädlich, entmündigend, manipulierbar. Der Schrecken der Elektrizität aus der israelitischen Bundeslade genauso als Gotteszorn zur Manipulation des Volkes verwendet, wie das gottgegeben geheimnisvolle Wirken von Wirtschaftskrisen, Boom und Flaute, um uns zu disziplinieren.
Nur wenige haben Einsicht, Zutritt, pflegen Dialog mit den unbekannten Mächten und wenn wir den Rat der Priester mißachten, wird sein Heulen und Zähneklappen. Wie recht sie haben.
In seiner Einsamkeit und Verzweiflung stößt der Intellektuelle auf folgenden Schluß - ist es Verzweiflung oder Wahrheit, darum geht die Schlacht: wenn du etwas tust und es ist richtig, liegt in der Richtung, trägt bei, entspricht dem Verlauf, entspricht dem Bedürfnis des Menschen - ohne daß er es selbst zu wissen braucht - dann bist du nicht allein, dann werden dich die Brüder und Schwestern erkennen, dann sind sie bei dir. Glaube nicht an die Allmacht der Manipulation, wenn du auch allein bist. Wenn ihr auch nur wenige seid und ihr handelt wahrheitsgemäß, dann wird euch über lang das Volk folgen. Keiner ist zu dumm zum Denken.
Das Romantische ist die dem Volk gemäße Ausdrucks-Form. Die Form der Stellungnahme des einzelnen Individuums ist die Analyse und die Kritik. Die Form der Stellungnahme der Summe aller Individuen war in alter Zeit die Vergöttlichung - und Verteufelung. Heute ist es die Romantisierung.
Die Masse artikuliert nicht in einzelnen, sondern in hunderttausend Worten vermittels hunderttausend Individuen. Wenn ein Begriff aber nicht mit einem einzigen Wort bezeichnet ist, sondern von vielen Einzelnen mit vielen Worten, dann ist dieser Begriff auf der Massenebene mit einer Verteilung von Worten beschrieben. Seine Bedeutung ist also vielmehr zu erfühlen, als im Duden nachzuschlagen. Im Duden steht nur das Scheitelwort der Verteilung eines Begriffs.
Ein Begriff, der als einer der Masse betrachtet wird, ist unscharf und damit wahrer als ein Einzelwortbegriff, denn die Wahrheit ist unscharf und ist mehr ein Gefühl, ein Komplex von Assoziationen und keine herausgefilterte Abstraktion. Zustimmung oder Ablehnung zu einem Thema, einem System, einem Vorgang ist eher Sympathie und Antipathie als Beweis und Gegenbeweis. Deshalb nenne ich den dem Volk konformen Seelenzustand von Zustimmung und Anhängerschaft romantisch. Und wenn etwas keine Romantik ausstrahlt, hat es keine Zustimmung bei den Massen. Es überzeugt nur einzelne Individuen, aber das Volk ist davon unberührt.
Das Gegenteil von romantischer Gefühlsbeziehung zu einer Sache als Folge einer Massenbeziehung dazu ist Massenhysterie, die nur eine punktuelle Resonanz der Masse ist, in der das entfremdete Volk zu sich kommen will, indem es durch vorgepolte Resonanzantworten auf einen Außenreiz die Isolation der einzelnen Individuen eruptiv zu durchbrechen sucht. Derartige Massenaktionen sind aber manipuliert und keine des Volkes. Sie sind kurzlebig eruptiv.
Demgegenüber ist das romantische Reagieren des Volkes ein stetiger, kraftvoller, andauernder Vorgang, eine Sprache des Volkes, von ihm selbst geboren.
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Das agiert sich aus in öffentlicher oder