Aus dem Künstlerroman Hier und Jetzt sofort - Page 12

Bild von Karl Hausruck
Bibliothek

Seiten

behindern ihn, die er geringschätzt, haben Interessen wie er. Die einer bewundert, achten ihn nicht, die er geringschätzt, belehren ihn eines Besseren. Teils als Handlanger, teils als Polizist zwischen allen Stühlen sitzen.

Die Bewunderer überleben ihre Idole nicht. Es gehört ihnen nicht, was sie in Händen haben. Die Verachteten gebären die neue Menschheit.

Regierung heißt regiert. Nicht mehr regieren wollen, auch nicht regiert. Das ist vorbei. Höchstens sich beraten wollen, was zu tun ist.

60
In der Zeit der Volkshetze.

Die alten Böcke haben ihre bewährten Lügen wieder hervorgeholt. Sie treiben es wie eh und je.

Die sozialen Kosten als Schmarotzertum bejammern heißt, daß eine Gesellschaft immer reicher wird, wenn sie die untersten fünf Prozent regelmäßig vernichtet. Führt das aber nicht dazu, sondern gar zu weiterer Verarmung, heißt das, daß die Gesellschaft gerade auf Kosten der Ärmsten lebt.

61
In einsamer Verlassenheit vom Wir phantasieren, im plural majestatis. Im faschistischen Zwangssystem müssen jetzt alle gegen den I.P. zusammenhalten.

62
Immer versuchen, hinaus zu dringen. Doch der zurückgelegte Weg zeigt nur ein Kreisen im Innersten. Scham, daß das Kreisen um den Dorfbrunnen einem eine Reise in die Welt war. Ob ein neuer Weg weiter hinausführt, ist vom Anfang an zweifelhaft und so ihn schon kleinmütig betreten.

Jesus ist jeder Weg eitel, kreist immer nur um sich selbst. Deshalb ohne Argwohn den Brüdern und Schwestern entgegentreten, sich in ihrer Mitte niederlassen und jeder Macht entsagen.

Wem damit jede Macht gebrochen ist, kommt Lust an, dem, der auf eine Backe schlägt, auch die andere hinzuhalten. Gestattet dem Fremden, sich niederzulassen und sich von den Panzern überrollen zulassen, die euch vernichten wollten. Auch wenn einer die Stunde der Gefahr nicht besteht, soll er sich dennoch, Schwestern und Brüder, in eurer Mitte niederlassen können. Oder sticht euch der Geruch des einsam Zornigen unangenehm in die Nase?

Gegner haben einander nicht verstanden.

Da die Apparate nicht mehr können, als es die Profitgehirne ausdenken können, gibt es Rückzugsgebiete. Zwischen sieben Uhr vierzig und sechzehn Uhr fünfzehn in ihren Raubhöhlen löhnend, haben wir ihnen Tonnen des Schreibens abgeluchst. Das ist keine Makulatur, sondern umfassendes Dunkel.

Die Kraft der Gewohnheit vergangener Zeiten ist dem befreiten Geist unvorstellbar, vor Kurzem noch selbst schockiert. Die Kraft der sich wandelnden Gewohnheit ist ein bestsellernder Türöffner.

63
Blutrot glüht das Athoskloster,
erhobenen Masts, leuchtend gekrönt,
in voller Takelage übers Meer,

seis zwischen den jonischen Inseln manövrierend,
seis auf inselloser Weite,
teils gerafft wiederum, dahingleitend in den großen Strömungen,

seis mit zielbewußtem Steuer im steil ansteigenden Urgesteinsfjord,
um am Ende den Kiel in den treibenden Sand zu drücken
zwischen den Hügeln des duftenden Landes.

Alles hier muß aus der Ebene des Gefühls und der erdschweren Ahnung in die Klarheit der in Hellas an Land gestiegenen Menschheit gemeißelt werden, doch nur nicht zu platonisch entkeimt. Zur Erfüllung des zum ersten Mal wachen Menschen, nicht blind an den Ketten zerrend oder eines Dogmatikers, der dazu gleichsam den Raum verläßt, um sich verborgen zu ergötzen.

Bacchus, Faun, Mänade - Venus und Apollo.

Die Gedichte sind voll von Schiffen und Kähnen, Segeln und Meer, von Küsten, Buchten, Häfen, Land.

Es gibt Länder, die das Meer bestimmt, Portugal, Norwegen, Japan und andernorts, Länder, die das Land bestimmt. In Griechenland erwachsen Land und Meer gleichermaßen, dort erfüllt sich die Metapher der lange besungenen Geburt des - europäischen - Menschen. Ilias, Odyssee, Europa.

Das Meer ist Metapher für die symbiotische Sehnsucht am landlosen Horizont. Das Land ist Metapher der Mühsal und der Freude am Gipfelsieg. Doch wo sich Land und Meer gleichermaßen begegnen, eins mit freier Hand in die Saiten des anderen greift, wird aus dem landnahen Schaum eine wache Menschheit geboren, die den Trollen entgegentritt sowie den Meerungeheuern.

Das Schöne und Gute achtet, das ist das Einzige noch. In wessen Hand liegt es schon, es entstehen zu lassen.

Bewundert die Natur, verbringt in ihrem Garten die kurze Zeit der Freude, das ist das Einzige noch. Andrerseits ist es verwunderlich, welch große Werke dieses schwache, schnell verderbliche Fleisch in seiner Sklaverei geschaffen hat.

64
Der Jugend ist es noch eine wahre Katastrophe, daß alles vor ihrer eigenen, wilden Wirklichkeit eine Maske hat, aber das wird noch mit großem Protest angegangen. Wirklich katastrophal ist, selbst Masken anzunehmen, es gar zu wünschen und das aus Freude und daß eine besonders gelungene der größte Stolz ist und wie ein Prachtexemplar von Maske als totale Isolation die höchste Bestätigung, das Daseinsrecht hochmütig vollkommen erfüllt.

Wozu also Katastrophen, Siege, Wandlungen. Ohne Vorurteile und Erziehung sind sie natürliche Entwicklungsphasen und was als Maske erscheint, ist am Ende höchste Menschenwürde usw. Jetzt verschwimmt auch noch alles in Wodka/Whisky, besonders bei dieser Begrenzung des Hirns.

Wie primitiv erscheint die immer wiederkehrende Quintessenz meiner Transformationen. Bleibt denn keine andere Invariante? Ist denn das Hin und Her wirklich so primitiv und die tiefere Bedeutung nur vorgespiegelt? Zuzutrauen ist es.

Vor allem muß das eines Tages kristallen ausgearbeitet werden, aber das geschieht wahrscheinlich nie. Eher sterben. Dabei ist das Ausarbeiten verdächtigt, mehr zu zerstören, als klar zu machen, nämlich durch die angeblich ästhetischen und logischen Instanzen des Tageslichts. Oder stellt das erst die Dürftigkeit des Ganzen ins richtige Licht?

Deshalb also nichts ausgearbeitet, weil es dann offensichtlich dasteht und nicht mehr zur Maske prächtig verdichtet - gedichtet - werden kann. Nicht einmal mit Wodka oder der Euphorie einer überaus wichtigen, gleichsam mathematischen, Problematik.

Da ist etwas Schlammiges Schwammiges vor den Dingen, das hindert, die glasharten, schneidend sezierenden Werkzeuge mit ruhiger Hand zu fassen. Auch nicht nach vierzig Tagen und Nächten.

Von welchem Gipfel aus den kreuz und quer verwebten Zug der Geschehnisse überblicken? Zunächst ist es ein Akt der Gewalt, des festen Entschlusses, mit harter Hand hineinzufassen, das tote Holz mit brechender Hand, das strohdürre Gestrüppe niederzureißen und den weißen Stein der Aphrodite zu befreien.

Die zierratlose Zeit mit Glas und Metall, Plastik und Beton ist völlig anvertraut. Die puren Formen der Menschheit sind nicht vorgetäuscht. Gesundes ist schön, dem Krankem darf keine Rücksicht zu Teil. Direkt an den Dingen ohne Geschnörksel. Der Sputnik ist kein Gott. Man muß nur Metall und Halbleitermaterial in den Griff bekommen.

Aber schlammig Schwammiges enthält seltsame Substanzen. Glashart und schneidend im Akt des gewaltsamen Entschlusses diesen Teig in den Griff bekommen. Diese verschwommenen Entweichungen des lehmigen Materials fordern meine Durchdringung. An allen Stellen diese Herausforderung nehmen. Von Horizont

Seiten

Prosa in Kategorie: