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Schößlingen und was der Hundezüchter weiß und der, der eine gute Apfelsorte pflanzt, der, der die trächtigen Getreidesorten kreuzt, das weiß er von der Liebe: nur das edle Reis trägt volle Frucht und nur das wahrhaftige, urtümliche, der Wildnis entstammende Gesträuch hat Kern, Kraft und Widerstandschance.
Krank ist die der Sonne geborene Pflanze, die im naßfeuchten Keller wachsen muß. Ob genetisch, will niemand entscheiden, aber krank zumindest für dieses individuelle Leben. Wer das erkannt hat, darf nicht mehr zögern, noch wanken. Er schreitet den Weg mit aufrechtem Nacken und blickt ungeschützt ins Gestirn oder aber es ist sündig nach solcher Erkenntnis.
Einer, der vom echten Fleisch sich erhebt, schlägt nicht die Augen nieder noch errötet er, so wie wir es getan. Mutterfleisch, Vaterhand. Aber ihr werdet sagen: Kitsch! Er jedoch weiß die Wahrheit, denn solche Sehnsucht hat er, wie diese. Er will seine Schläfen an die Frau legen und den Mann um das Urteil der Unternehmungen fragen.
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Er war bei den Hasen. Er nahm die Maulwurfsfallen aus den Erdhügeln. Er löste die Katzenfelle von den Scheunenwänden. Er nahm die Vögel aus den Netzen und sie stiegen auf, die Fische aus den Reusen und sie schwammen dahin. Er scheuchte den Pferden die Bremsen von den Augen. Er brachte Salz den Tieren, er warnte die Schlangen vor den Gabeln der Fänger, er öffnete die zugemauerten Nester der Hornissen.
Er sah: sie kamen, den Dachs zu erlegen. Dieser Tapfere richtete die Hunde arg zu. Dann lag er doch da, klein, ohne Leben im Körper. So klein geworden, der Freund. Ohnmächtig sah das der Schwache.
Er sah: sie schlugen die Kühe. Es war kein Grund dafür beim Herdentrieb. Sah es, der hierher aus dem Keller kam. Ohnmächtig. Schwach.
Er sah: sie schossen einen Storch. Lag da, gebrechlich im Acker, der Stolze. Das sah der Schwache. Er sah die Ausräucherung der Wespen. Vorher verstopften sie alle Ausgänge mit Lehm. Dann das Feuer dran. Als sie weg waren, öffnete er die Löcher. Dicht lagen sie in den Gängen, noch zuckend und schwarz. Er tötete die in den vorderen Zonen. Die Qual in den inneren Räumen ersäufte er im Urin, er führte gänzlich ein, aufdaß kein Tropfen vergeude. Der Schwache. Der Ohnmächtige.
Sein Tier war ein Widder. Groß wie keiner, stark. Der war warm, der hatte einen Geruch, der hatte eine Wolle! Der Schädel des Widders krachte an den Pfosten. Der Schwache trug die Wolle ins Dorf. Mit mageren Armen. Jacke verschlissen, zu kurz. Kellerzeitjacke. Hungerzeithose.
Kam ins feiste Dorf. Das Mädchen so hell, und er in der Jacke mit dünnem Hals. Ein Rempler schmiß ihn der Länge nach hin, wenn er ging vor ihrem Gartentor. Das war Fette Lippe gegen Hungerzeitjungen. Komm Kegeln mit uns, oder reißt dich die Kugel um? Was setzt du - dein Hemd, wenn du willst! Doch da war keins. Die Rippen lagen blank unter der Jacke. Kehrte heim aus dem Dorf. Lustig bei Mutter und Schwester. War doch ihr Stolz. Magerer, fleißiger Hungerzeitjunge!
Abends in der Scheune den Blick im Auge des Widders. Schamrot die Stirn vom Niederfall. Legte die Kleider ab. Sah nackt seine Arme und Beine, die Knochen am Knie, in der Hüfte, am Brustkorb. Sah den Burschen, den Schläger, den Nacken, den schwellenden Bizeps, den Deltamuskel, den Brustkorb, ein mächtiger Behälter, das Muskelfleisch des Gesäßes, die Schenkel, die Waden, der sehnenkräftige Fuß.
Der Schwache umgriff sein Gelenk, umfaßte es reichlich mit langen, dünnen Fingern. Hatte gehört von trainingsgestählten Körpern - das Radio bekam die Mutter von der Ami-Besatzung - hatte gehört von Waffenübung und von amerikanischen Methoden. Befestigte sich mit Schnur einen Kiesel, stemmte den Hackstock, rang mit dem verdutzten Widder, dem Gutmütigen. Schlief ein erschöpft, den Tiernacken umklammert.
Und wieder bei den Hasen, nahm die Maulwurfsfallen aus den Erdhügeln, löste die an die Scheunen genagelten Katzenfelle, schnitt die Reusen auf, die Vogelnetze. Brachte den Tieren Salz, trieb die Fliegen aus ihren Nüstern, warnte die Schlangen, die Wespen, Hornissen und sprach am Abend in der Hütte den Faltern von den Gefahren und Schönheiten der brennenden Kerzen. Müde lächelte die Mutter am Herd. Die Schwester ist da, der Kater noch draußen.
Der Schwache spannt seinen Bizeps und preßt mit den Handflächen gegen die Tischkante. Sehr lange an diesem Abend. Von solchen Übungen haben sie erzählt. Preßte den ganzen Abend die Handflächen gegen den Tisch. Der Schwache.
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Die Zuckerbrote auf dem offenen Lastwagen schmeckten nach Petroleum.
Dann das große Eierspeisessen am Abend der Ankunft im Dorf nach der Zuteilung hierher aus dem Lager in Attnang-Puchheim. Einquartierung bei Obermeiers.
Beim Besuch in der Villa eine schöne Blume geknickt mit der Angst vor Entdeckung.
Im Dunkel in die Fenster der Villa schauen. Das Leben des Honoratioren aus der Hauptstadt.
Die Dorfjungen, die die sich an der Waschschüssel entkleidende Mutter beobachteten. Gejohle. Meine wütende Scham. Die Mutter aber verteidigte sich: waschen muß sich der Mensch!
Das Anstellen um Brot. Es gab nur halbe Ration.
Die Mutter weint vor Hunger. Der Bub bettelte ihr das letzte Stück Brot aus dem Mund.
Das blonde Mädchen, die Fee, kommt Ostern in die Flüchtlingswohnung, um Mutters schön bemalte Eier zu betrachten. Er ist ganz schamrot.
Er schämt sich seiner langen Nase im mageren Gesicht - ein Fuchsgesicht, wird es später im Internat genannt.
Die Dorfjugend kommt regelmäßig in die Wohnung zu Mutters Kasperlspiel.
Die Schwester spielt zu Weihnachten im Dorf die Maria - er wird im Knabeninternat auch die Maria spielen.
Der zweite Sohn des Großbauern liebt die Schwester.
Thema der Großen im Dorf, der Zwölfjährigen, ist, mit einem Mädchen bereits im Heu gewesen zu sein.
Es wird berichtet, daß man die Mädchen, die es bereits getan haben, an einem Verband um die linke Fessel erkennt, da es dort danach weh tut. Ganz ergriffen sah er die, die so verletzt herumliefen. Den Buben sah man es nicht an.
Er schläft in der Stube auf dem tagsüber beim Tisch als Sofa zurechtgemachten Bett. Mutter und Schwester schlafen in der Schlafkammer.
Eines Abends beim Ganzkörperwaschen über der Waschschüssel in der Stube vor Mutter und Schwester.
Die Schamhaare wachsen schon, der Bartflaum. Mutter sagt, schau, er wird jetzt ein Mann. Da wieder die Scham.
Die Feiern zur Jahrhundertmitte im schwarzen amerikanischen Kofferradio auf dem Holzbord und auch die 850-Jahrfeiern des