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Fortsetzung von "AU 2010 03 Canberra - Hauptstadt im Buschland"
Das alte und das neue Parlamentsgebäude
The Old Parliament House
Schon am Tag nach unserer Ankunft in Canberra machten wir unsere erste Busfahrt von unserem Wohnhaus in die City, um diese zu erkunden und eine neue Kamera zu kaufen. (Die alte - gar nicht so alte - habe ich zu sehr dem Sand am Strand in Sydney ausgesetzt. Das mochte sie nicht und hat ihren Geist aufgegeben.) Die Fahrt dauerte eine Weile, da der Bus die einzelnen Wohnbezirke abfuhr. Danach war es eine regelrechte Sightseeing-Fahrt, vorbei am neuen und alten Parlamentsgebäude, verschiedenen Regierungsgebäuden, Nationalmuseum und über die Brücke zur Innenstadt. Die Bushaltestelle war ganz in der Nähe des Einkaufszentrums. (Der Rundgang hier ist beschrieben im Bericht "AU 2010 03 Canberra - Hauptstadt im Buschland")
Auf der Rückfahrt stiegen wir in der Nähe des alten Parlamentsgebäudes aus, um einen ersten Überblick zu erhalten. Vor dem alten Parlamentsgebäude befindet sich eine große Rasenfläche. Hier stechen einfache Zelte, Stühle und Schilder, Plakate mit Aufschriften sowie eine kleine Rauchsäule von einer exponierten Feuerstelle ins Auge. Unser erster Eindruck als wir dieses kleine Zeltdorf bei diesem kurzen Stopp unseren ersten Stadtbusfahrt sahen: Es passt einfach nicht in das gepflegte Ambiente dieser Anlage.
Was es damit auf sich hatte, erfuhren wir später von unserem Nachbar Jerzy und unserem Informanten Wikipedia sowie bei einem späteren Besuch vor Ort:
Am Australia Day 1972 wurde eine "Zelt-Botschaft" errichtet, um auf die Ablehnung des "Native Title" (ein andauerndes legales Anrecht der Aborigines an Land) der Regierung unter McMahon aufmerksam zu machen und gegen den Vorschlag einer neuen Verpachtungsregel zu protestieren. Diese sah vor, Verpachtungen an Aborigines davon abhängig zu machen, ob diese die „Intention und Fähigkeit haben, vernünftige ökonomische und soziale Nutzung des Landes zu leisten“; außerdem sollten alle Rechte ausgeschlossen werden, die sie bis dahin an Land mit Mineralien und Wäldern hatten. Die Gründer der "Zelt-Botschaft" im Jahr 1972 waren mit Unterstützung der Communist Party of Australia vier Aborigines Michael Anderson, Billy Craigie, Bertie Williams und Tony Koorie aus Redfern, die sich zum Protest unter einem Sonnenschirm in Canberra versammelt hatten.
Die "Zelt-Botschaft" besteht seither mit Unterbrechungen, seit 1992 kontinuierlich.
Im Februar 1972 präsentierte die Zelt-Botschaft eine Liste von Forderungen:
- Kontrolle des Northern Territory als einen eigenen Staat innerhalb des Commonwealth of Australia; das Parlament im Northern Territory hauptsächlich besetzt von Aborigines sowie einem gesicherten Rechtsanspruch am Land.
- Rechtsanspruch und Minenrechte in allen Reservaten und Aborigine-Siedlungen in Australien.
- Erhaltung aller geheiligter Stellen der Aborigines in Australien.
- Rechtsanspruch und Minenrechte an Aborigine-Gebieten in und um die Landeshauptstädte.
- Kompensationszahlungen für Land, das nicht zurückgegeben werden kann: Zahlung von 6 Milliarden australischen Dollars und ein jährlicher prozentualer Anteil am Bruttosozialprodukt.
Die Forderungen wurden zurückgewiesen und im Juli 1972 rückte die Polizei an, entfernte die Zelte und verhaftete acht Personen.
Im Oktober 1973 führten 70 protestierende Aborigines ein Sit-in auf den Stufen des Old Parliament House durch und bauten die "Zelt-Botschaft" wieder auf. Das Sit-in wurde beendet, als der Premier Minister Gough Whitlam einwilligte, sich mit den Protestierenden zu treffen. Im März 1976 wurde die Botschaft der Aborigines in einem Haus im Vorort Red Hill eingerichtet, aber 1977 wieder geschlossen. Für eine kurze Zeit wurde die Botschaft als „National Aboriginal Government“ auf dem Capital Hill, der Stelle des zukünftigen neuen Parliament Houses errichtet. Am 20. Jahrestag ihrer Gründung wurde die "Zelt-Botschaft" auf dem Rasen des Old Parliament House aufgebaut. Obwohl sie eine andauernde Quelle der Kontroverse blieb, besteht sie seither auf dieser Stelle.
Abgesehen vom politischen Druck war die "Zelt-Botschaft" mehreren gewaltsamen Attacken ausgesetzt; so wurde sie mehrere Male mit Molotow-Cocktails beworfen. Es gab eine Reihe von Brandanschlägen, wovon der zerstörerischste im Juni 2003 den Verlust eines Containers zur Folge hatte, in dem sich das Archiv der "Zelt-Botschaft" der vergangenen 31 Jahre befand.
Ein Symbol der "Zelt-Botschaft" ist das sogenannte heilige Feuer, das Frieden, Gerechtigkeit und Souveränität repräsentiert. Das "heilige" Feuer brennt seit 1998.
Nur Teile der Forderungen wurden erfüllt. Und wahrscheinlich war diese Dauerdemonstration "Aboriginal Tent Embassy" von relativ wenigen ausharrenden Aborigines auf dem Rasen vor dem alten Parlamentsgebäude in Canberra indirekt auch an diesem Erfolg beteiligt:
Am 13. Februar 2008 verlas Kevin Rudd, der seit November 2007 im Amt ist, im Parlamentsgebäude von Canberra eine Erklärung, in der er sich offiziell für die unwürdige und erniedrigende Behandlung von Aborigines in Australien entschuldigte. Es war eine simple Geste, die jedoch eine langjährige und erbitterte Diskussion abschließt: Sämtliche Amtsvorgänger von Rudd hatten sich geweigert, die düsteren Kapitel der australischen Geschichte öffentlich anzuerkennen. Rudds Vorgänger John Howard, der zwölf Jahre lang die Geschicke des Landes lenkte, nahm nicht an der heutigen Sitzung teil.
Dreimal sagte Rudd das Wort "Sorry", das für die australischen Ureinwohner eine besonders hohe spirituelle Bedeutung hat. Dies war eine unerhörte Geste! Mit stehenden Ovationen feierten die Zuhörer im Parlament die Rede, einige der etwa 100 geladenen Vertreter der Ureinwohner umarmten sich mit Tränen in den Augen. "Für uns ist das wie der Fall der Berliner Mauer", sagte der Aborigine Darryl Towney. "Das ist der bedeutendste Moment für unser Volk, der in meinem Leben passiert ist." (Spiegel Online)
Es gibt sie dort seit sechzigtausend Jahren,
in diesem heißen und unwirtlichen Land.
Sie lebten nur in Gruppen, nicht in Scharen.
Sie waren unsrer Welt ganz unbekannt.
Sie bauten keine Häuser, keine Straßen,
auf Pfaden sie durch weite Räume gingen.
Sie pflückten und sie jagten, was sie aßen,
Beute machten sie mit Speeren, Schlingen.
Vor Kurzem erst die weißen Männer kamen,
sie wollten dieses unberührte Land.
Den ganzen Kontinent sie übernahmen,
den "Wilden" wurde alles aberkannt.
Ein reicher Staat erblühte aus der Wildnis,
die Ureinwohner ausgegrenzt, verdrängt.
Man offerierte ihnen auch kein Bündnis,
ein altes Volk wurd' mitleidlos gekränkt.
Das Aussi-Land, es reifte und gedeihte,
hat weiter seiner Abgrenzung gehuldigt,
bis kürzlich die Regierung, die gescheite,
sich förmlich bei dem Urvolk hat entschuldigt.
Dies war eine unerhörte Geste,
die Achtungswelle schwappte um die Welt.
Doch bisher man das Grundproblem nicht löste:
Die "Schwarzen" sind nicht "richtige" Australier,
auf dem Papier nur sind sie gleichgestellt.
Siehe auch zugehöriges Gedicht
http://www.literatpro.de/gedicht/120216/australien
in dem ich auch (als gefühlter Fast-Australier) für die Ureinwohner, "einem Volk, das der Welt abhanden kam", Stellung beziehe.
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Wir gingen die vielleicht 100 Meter bis zu den Treppen des alten, weiß leuchtenden Parlaments, das jetzt eigentlich
© Willi Grigor, 2010 (Rev. 2017)
Gedichte und Prosa:
https://www.literatpro.de/willi-grigor