Alternativen

Bild zeigt Annelie Kelch
von Annelie Kelch

Immer öfter lebe ich vorübergehend in meinem Postfach. Sobald die Briefe verteilt werden, quetsche ich mich in die linke Ecke – wie die kleine Fliege, der ich ein lebenslanges Wohnrecht eingeräumt habe. Sie summt mir jedes Mal ins Ohr: „Hoffentlich ist Ihre Post heute nicht so sperrig.“

Gestern wurde ihr rechter Flügel durch eine Wurfsendung ramponiert. Das tat mir wahnsinnig leid. Ich erließ ihr die Miete für anderhalb Monate.

Vormittags lauschen wir den Gesprächen der Postverteiler. Einer heißt „Mostrich“.
Sobald er den Mund aufmacht, um mit „Melitta“ die politische Lage zu durchzuhecheln (Angies Wahlkampf in Sachsen, Drohungen mit Atomwaffen),
denken wir an Apfelmus und Trump. Das macht uns müde.

Dann wird es dunkel. Sie stellen das Licht aus, um Strom zu sparen und sich zu küssen – wie meine Eltern, Gott hab' sie selig, anno 1948. Damals war ich noch nicht geboren.

Meine Untermieterin brummt zufrieden, sie liebt die Einsamkeit und den Dämmer, aber ich lasse mich von Nummer 945 (achter Stock) aufs Linoleum gleiten und kontrolliere die Fehlwürfe. Im Postfach mit der Nummer 436 liegen schon wieder Briefe für Postfach 346 – ich hasse das! Diese Unkorrektheiten häufen sich in letzter Zeit.
Ich gebe dem schwülen Wetter die Schuld (mieser als mancher Wahlkampf).

Bald sind Herbstblätter wieder „in“ und die Halbzeit gewaltig überschritten.
Meine Untermieterin, ich nenne sie „Brummi", rechnet jeden Tag mit ihrem Ableben. Ich sinniere über einen geeigneten Sarg. Er darf nicht zu teuer sein. Ich tendiere zu Lindenholz und rechne ganz fest mit einer Abwrackprämie.

„Ein reicher Mann ist oft nur ein armer Mann mit sehr viel Geld.“ – Das sagte Onassis. Er hat es wissen müssen.
Auch Trump: „Reich am Beutel, krank am …“ (Das müssen Sie selber herausfinden; ich möchte mich da nicht festlegen; es gibt jedoch verschiedene Möglichkeiten.)

Meine Untermieterin ist gestern verstorben. Der genaue Zeitpunkt lässt sich nicht mehr feststellen. Ich war nicht dabei.
Ich lebe seit letzten Dienstag im Kühlschrank. Mein Bett steht neben einer Sojawurst mit französischen Kräutern – delicious ...

Mein absolutes Vorbild für Prosa dieser Art ist der unvergessliche, unvergleichliche, hochintelligente, wunderbare, super bescheiden gewesene Günter E i c h, seit vielen, vielen Jahren nicht mehr unter uns weilend. Vielleicht gelingt es mir irgendwann, so „gut" zu werden wie er – in jeder Hinsicht. Bitte geben Sie mir dann Bescheid.

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