"Ich will doch nur spielen". Sang schon Annett Luisan. Und ich sang mit. "Ich tu doch nichts." Jaaaaa, dachte ich damals. Und jaaaaaa, denke ich heute. Doch irgendwie will keiner mehr mit spielen und irgendwie habe auch ich es verlernt.
Ab einem gewissen Alter geht es im Leben eben nicht mehr ums spielen. Denn dann fängt der Ernst des Lebens an. Jawohl! Dann heißt es, Verantwortung zu übernehmen. Zack Zack! Verantwortung für sich, für das eigene Glück, den eigenen Erfolg, die Gesundheit generell, für das Glück anderer, das Leid anderer, für die Umweltverschmutzung, gequälte Tiere und nicht zu vergessen, die Befindlichkeiten der eigenen Generation bis zurück zu Hitler. Einfach gesagt für alles. Der Ernst des Lebens crasht mit der Leichtigkeit des Seins. Früher oder später - bei jedem. Und natürlich auch bei mir.
Wann ist das passiert? Frage ich mich. Wann habe ich sie verloren, die Leichtigkeit? Wann habe ich ich aufgehört mit Ernsthaftigkeit nach der Leichtigkeit zu suchen? Ich kann es nicht sagen. Ich erinnere mich nicht. Es war kein einschneidendes Ereignis oder so was. Sie ging einfach. Stück für Stück verschwand Sie aus meinem Leben. Am Anfang noch mit Sätzen wie "Das darfst du aber nicht auf die leichte Schulter nehmen." oder "Du bist jetzt alt genug um Verantwortung zu übernehmen.", "Jetzt musst du dich aber langsam mal entscheiden." Am besten fand ich immer " Wer A sagt muss auch B sagen." oder "Erst überlegen, dann handeln." Sie ging mit dem Abi, der Ausbildung, der ersten Miete, den Rechnungen, den Mahnungen, dem konsumorientierten Umfeld, den neuen Problemen, den verkackten Beziehungen. Und sie ging, als ich plötzlich die Nachrichten als einen Teil meiner Welt wahr nahm. Als ich plötzlich feststellte, es hält keiner mehr schützend die Hand über mich und passt auf, was alles auf mich einprasselt und dass ich mich dabei nicht verliere. Ich muss das jetzt alleine tun. Die Verantwortung hat das Ruder an sich gerissen. Die Leichtigkeit ging leider über Bord und ist ersoffen. Sorry!
Ich muss feststellen, dass ich mittlerweile mit derselben ernsten Visage durch die Welt laufe, die ich bei anderen immer so verabscheut habe. Reingepresst in die schlechte Laune Schablone. Ich muss feststellen, dass Leben ist kein Spiel. Irgendwie habe ich es wohl geschafft und bin erwachsen geworden. Gefangen in einem System das man unter dem Begriff "Hamsterradlaufen" einordnen kann. Immer gehetzt, immer in Eile, immer mit ernsthafter Miene. Weiter, weiter, weiter. Nur nicht stehen bleiben. Um Gottes Willen, bloß kein Stillstand. Nicht still stehen, still sein, Stille erleben. Alle schwarzen Löcher lärmend überspringen. Die Jahre verfliegen ohne dass ich es mitbekomme. Der Alltag muss organisiert werden. Er ist zu komplex, um ihn einfach zu leben. Zielorientiert, durchstrukturiert, maximal gewinnbringend. Nur kein Zeitgewinn, weil jederzeit da, jederzeit erreichbar.
Ein Leben von Wochenende zu Wochenende, von Urlaub zu Urlaub. Dort blitzt sie dann mal wieder kurz auf und meldet sich zurück, die Leichtigkeit. Doch bevor sie sich richtig entfalten kann ist ihre Zeit auch schon wieder abgelaufen. Aber bitte noch schnell 5 Minuten Meditation, bevor es weiter geht. Eine kurze Episode Achtsamkeit. Bevor es weiter geht. Bevor die Akteure Verantwortung und Ernst die großen Bühne des Lebens wieder betreten. Bevor die Pause vorbei ist und das Schauspiel weitergeht. Bis sich der Vorhang am Ende schließt und ich mich selber für die schwache Vorstellung ausbuhe. Eine Vorstellung, für die jemand anders das Drehbuch geschrieben hat.
Das alles macht mir Angst, und es macht mich mürbe. Ich will doch nur spielen. Ich tu doch nichts. …Ich will das alles nicht. Mehr.
Wo liegen meine Träume unter dem ganzen Schrott? Wo versteckt sich die Möglichkeit, sich auszuprobieren, zu scheitern, und wieder neu zu machen? Wo ist mein Drehbuch? Es kann doch nicht sein, dass ich es einfach vergessen habe zu schreiben? Oder habe ich vielleicht nie richtig schreiben gelernt? Habe ich bei all den Rechtschreibregeln irgendwann resigniert?
Ich halte für einen kurzen Moment inne. Ertrage die Stille und höre in mich hinein. …Bitte, bitte, bitte liebe Leichtigkeit. Komm zu mir zurück. Nimm mich in die Arme und lege schützend die Hand über mich. Bitte, bitte hilf mir, mich wieder zu finden.
Oder um es auf den Punkt zu bringen: Mir reichts, ich geh jetzt schaukeln.
Erwachsen

von Rosalie Licht
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