Gefährlicher Sommer (Teil 13) - Page 2

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von Annelie Kelch

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vorenthielt.
„Auf dem Rückweg“, versprach ich und drehte meinen Kopf zur Seite. Mir fielen die Augen zu. Das Letzte, was ich hörte, bevor ich in einen tiefen Schlaf fiel, waren die sanf­ten Wellen, die im Gleichmaß gegen die Bootswand schlugen ...

Hannes weckte mich. „Wir müssen los, Katja! Es ist schon zwanzig nach acht. Unsere Leute warten gewiss schon auf uns.“
„Bist du sicher, dass der einzige Weg zum Gut durch den Wald führt?“, fragte ich ängstlich, während ich mir mit zitternden Händen Shorts und Pulli überzog, die fast trocken waren.
„Völlig sicher“, sagte Hannes. „Aber hab' keine Angst; wir fahren nebeneinander. Und wenn die Wege zu schmal werden, schieben wir unsere Räder. Außerdem glaube ich nicht, dass sich der Kerl noch einmal im diesem Waldgebiet blicken lässt. Heute jedenfalls bestimmt nicht mehr. Der Typ ist längst über alle Berge. Der hat fürs Erste die Schnauze voll, genau wie du, was sehr zu hoffen wäre. Ich kann nicht jeden Tag Lebensretter spielen oder auf dich aufpassen.“
„Ich habe keine Schnauze“, protestierte ich schwach.
Schweigend fuhren wir durch das dämmerige Innenleben des Lachauer Forstes.
Wir hatten alle Hände voll zu tun, uns nicht mit den Rädern in die Quere zu kommen. Ich wurde schon wieder leichtsinnig und quengelte: „Hannes, ich muss unbedingt noch einmal zum Hochsitz – mit Opas Fernglas. Er hat es mir geliehen. Es liegt in meiner Badetasche. Ich will wissen, was Knut in seiner letzten Stunde vor Augen hatte. Vielleicht war er auf einer heißen Spur. Frau Brandner hat neulich erzählt, dass sich Wilderer im Forst herum­treiben.“
„Kannst du ja auch, Katja“, seufzte Hannes genervt „Aber keinesfalls heute mehr. Es ist schon genug passiert.“
„Dann lass uns bitte morgen hinfahren. Alleine traue ich mich nicht mehr“, bettelte ich.
„Meinetwegen“, sagte er und nickte gnädig.
Die Sonne hauchte ihre letzte Hitze aus, und der Lachauer Forst schien mal wie­der kein Ende zu neh­men. Es dämmerte bereits; und ich vermutete hinter jedem zweiten Baum den Maskierten.
Der Wald wird müde, wenn die Sonne ihre Kraft verliert. Gleich schläft er ein und Dämonen gewinnen die Oberhand, dachte ich, während eine tiefe Melancholie in mir hochstieg.
Beim kleinsten Geräusch, das aus den Büschen und Sträuchern an unsere Ohren drang, zuckte ich heftig zusammen, als sei meine Hand gegen einen elektrischen Zaun geraten. Hannes blickte sich von Zeit zu Zeit um, und ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich ihn mit meiner Angst an­gesteckt hatte. Hastig erzählte ich ihm von der Postkarte, die jener Sieghelm an seinen Vater geschrieben hatte.
„Warte mal“, überlegte Hannes. „Sieg­helm? Dieser Name kommt mir irgendwie bekannt vor. Ich glaube, das ist ein ehemaliger Arbeitskollege meines Vater. Ich werde ihn ganz einfach danach fragen, Katja. Allerdings muss ich es geschickt anstellen, damit er keinen Verdacht schöpft.“
„Ja, Hannes. Versuch es bitte“, bat ich erleichtert.

Während wir die Dorfstraße entlangrasten, knurrte Hannes' Magen fast ununterbrochen „Ich hab' vielleicht Kohldampf“, stöhnte er. „Was Leni uns wohl Gutes vom Abendessen aufbewahrt hat“.
„Deinen Optimismus möchte ich haben“, erwiderte ich. „Ich wäre schon froh, wenn sie keine lästigen Fragen stellt.“
Endlich lag die Kastanienallee vor uns. Schon von weitem er­spähten wir Leni und Oma. Sie hatten sich vor der Veranda postiert und verharrten dort wie angepflanzt: Scharfe Wachen auf stämmigen Beinen, die von der Hitze geschwollen waren. Sie hatten ihre Panzer angelegt: bunt karierte, gestärkte Schürzen, und die Arme in die Hüften gestemmt. Es lag nichts Gutes in der Luft. Hannes und ich überlegten, wie wir uns am besten aus der Affäre ziehen könnten, kamen aber zu keinem Ergebnis.
Luchs lief uns entgegen, sprang an unseren Fahrrädern hoch und bellte aufgeregt, als wollte er uns war­nen.
Wir stiegen von den Rädern und schoben sie das letzte Stück.
„Wo seid ihr so lange gewesen?“ Omas Stimme klang schrill und hysterisch.
„Das möchte ich auch wissen“, mischte sich Leni ein.
„Ich habe Katja lange Zeit gesucht“, sagte Hannes mit gleichmütiger Stimme und setzte ein charmantes Lächeln auf.
„So viele Dörfer gibt es ja gar nicht in der Umgebung“, meinte Leni.
„Nein, Leni, da hast du natürlich Recht. Aber als ich Katja fand, lag sie auf dem Anger vor dem Sundauer See und schlief ganz fest. Ich brachte es nicht übers Herz, sie zu wecken“, log Hannes.
„Wie ritterlich. Wer 's glaubt wird selig“, spottete Oma.
„Kommt jetzt erstmal mit in die Küche. Hannes kann heute Abend bei uns essen, deine Tante Selma weiß Bescheid“, zeigte sich Leni von ihrer großzügigen Seite, nachdem uns noch ein paar Kuriositäten zu unserer Vertei­digung eingefallen waren, meiner Ansicht nach durchaus passable und plausible Erklärungen, die weder Oma noch Leni zu entkräften vermochten.
Es gab Stachelbeergrütze mit Milch, Christine, der hellgrüne Wahnsinn! Wir aßen jeder drei Teller leer.
***
Als ich am nächsten Morgen gegen halb acht in den Kräu­tergarten geschlendert kam, hatte sich die Clique wie für einen Schnappschuss vor dem Zaun ver­sammelt und strahlte mit Lenis farbenfrohen, süßlich duftenden Wicken um die Wette.
„Wir haben es ge­schafft, Katja“, rief Konny mir mit stolz­geschwellter Brust entgegen. Es klang erfrischend fröhlich. Ich konnte es kaum glauben, aber die Kräuter- und Gemüsebeete lagen sorgsam ge­jätet und geharkt in der Morgenson­ne. Von Unkraut nicht die geringste Spur.
„Ich muss ganz kurz was mit Katja besprechen“, wandte sich Hannes an Kora und Konny, bevor ich Lobeshymnen über die drei ergießen konnte. Er zog mich quer durch den Park zur Laube. Die Gänse, die uns ins Gehege kamen, schnatterten aufgeregt durcheinander und flüchteten in den kleinen See neben dem Pferdestall.

Die Laube war leer, wie meistens um diese Zeit. Hannes schien aufge­regter zu sein als noch kurz zuvor das Gänsevolk. Kaum dass wir auf einer der Bänke Platz genommen hatten, spru­delte er heraus: „Du wirst es nicht glauben, Katja; aber ich habe meinen Vater auf diesen ‚Sieg­helm' ange­sprochen. Sie waren eine Zeitlang zusammen auf einem Gutshof in der Nähe von Seesen, haben dort als Verwalter gearbeitet. Mein Vater kennt Sieghelm schon seit über zehn Jahren. Er ist sein bester Freund.“
„Hast du auch etwas über jenen ‚Freund, der zur Zeit in südlicheren Gefilden weilt', herausgefun­den?“, fragte ich mit leichter Ungeduld, die Hannes mit gekränk­ter Miene

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