Gefährlicher Sommer; Teil 20; Text 2 - Page 3

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von Annelie Kelch

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doch völlig schnuppe sein.
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„Ist mein verrückter Cousin Hannes schon eingetrudelt, Katja?“, fragte Konny, als ich auf dem Hof mit Luchs umhertollte, und sprang von seinem Fahrrad.
„Wir waren gerade bei unserer Mutter im Krankenhaus“, rief Kora dazwischen, ohne meine Antwort abzuwarten.
„Wie geht es Tante Selma heute?“, erkundigte ich mich.
„Ach, schon viel besser! Lange hält sie es im Bett nicht mehr aus. Ich glaube fast, sie schmiedet insgeheim Fluchtpläne“, lachte Kora.
„Ein Glück, dass es ihr wieder besser geht“, freute ich mich, und mir fiel ein riesiger Felsbrocken vom Herzen. Ich atmete erleichtert auf und Kora sah mich verwundert an.
Konny blickte auf seine Armbanduhr und sagte: „Jetzt wird es aber langsam Zeit für diesen Kerl.“
„Das hört sich ja fast so an, als würdest du Hannes vermissen“, ließ ich ein wenig spöttisch verlauten.
„Denkste, Katja“, sagte Konny. „Ich mache mir lediglich Sorgen um die Einwohner von Lübeck. Wer weiß, was mein verrückter Cousin dort alles anstellt.“
„Und womit hast du den Großteil dieses herrlichen Vormittags verbracht, Katja?“, erkundigte er sich zwei Minuten später, und die Art und Weise, wie er die Frage formulierte, erinnerte mich wieder mal heftig an „Macheath“.
„Och, ich habe nur den Hühnerstall ausgemistet“, sagte ich trocken. Die beiden sahen mich verdutzt an. Was hatten die zwei erwartet? Dass ich Oma beim Stricken die Wolle gehalten hätte?
„Nun kommt schon und schaut ihn euch an“, rief ich nicht ohne Stolz. Kora und Konny lehnten ihre Fahrräder an die Verandamauer und folgten mir ins Gehege. Der Geruch von frischem Stroh strömte uns entgegen, als im Hühnerhaus ein paar Hennen, die sich über unseren unerwarteten Besuch erschrocken hatten, wie wild vom Holzbalken aufflogen.
„Onkel Axel hat dir doch bestimmt dabei geholfen“, sagte Kora, die mir in dieser Hinsicht offenbar nichts Handfestes zutraute.
„Nein“, entgegnete ich mit bitterernster Miene und ahmte so gut ich konnte ihren Tonfall nach: „,Onkel Axel' hat das meiste zuwege gebracht und sozusagen die Leitung dieses überaus wichtigen Projekts übernommen.“
Konny spähte in das saubere, gemütliche Hühnergemach und seufzte theatralisch: „Ich wollt, ich wär ein Huhn!“ Wir kicherten eine Weile herum und beobachteten das Federvieh.
„Kommt mit in die Gutsküche“, schlug ich den beiden schließlich vor, nachdem weder Kora noch Konny einen Vorschlag machten, wie wir den Rest des Tages verbringen könnten. „Leni hat noch massenhaft Stachelbeergrütze. Oma, Opa und Mutti haben nämlich verzichtet, weil sich in Opas Garten die Stachelbeersträucher ebenfalls vor Früchten nur so biegen. Er will sie übrigens morgen alle abernten.“
„Ich könnte ihm dabei helfen“, schlug Konny vor. „Was hältst du davon, Katja? Würde sich dein Opa darüber freuen?“
„Klaro, und wie!“, sagte ich.
***
„Na, ihr zwei Hübschen? Wie geht es eurer Mutter?“, erkundigte sich Leni, als ich Kora und Konny, die sich ein wenig zierten, über die Küchenschwelle schob. Herr Ecker saß am großen Holztisch und mampfte immer noch – Stachelbeergrütze mit Milch. Ich konnte es mittlerweile nicht fassen. Hatte sich Leni etwa in diesen dicken Kerl verliebt? Anderenfalls hätte sie ihn doch längst aus der Küche geworfen, Christine.
„Hast du für Kora und Konny auch noch Stachelbeergrütze übrig?“, bat ich Leni. „Ich habe ihnen erzählt, wie himmlisch das Zeug schmeckt.“
Leni warf Ecker einen grimmigen Blick zu. „Nein, leider nicht“, seufzte sie. „Oskar hat den Rest gegessen.“ Ecker rülpste laut und wurde rot wie eine dieser zerkochten Tomaten in der Bohnensuppe.
Ich musste lächeln: Oskar! Dieser Name passte zu Herrn Ecker wie maßgeschneidert. (Und Mutti, die garantiert zu fünfzig Prozent in Schablonen denkt, wäre sofort dazu eingefallen: ,frech wie Oskar', liebe Christine.)
Aber Herr Ecker war kein bisschen frech; er war lediglich total verfressen.
„Das tut mir wirklich leid, Kinder, entschuldigt bitte“, bat er mit zerknirschter Miene, zückte sein Portemonnaie und ließ einen Zehnmarkschein in Konnys Hand gleiten.“
„Kauft euch morgen beim Bäcker Eis dafür. Der Laden hat vermutlich bereits geschlossen.“
„Vielen Dank, Herr Ecker“, riefen Kora, Konny wie aus einem Munde. „Danke“, sagte ich leise, was er vermutlich gar nicht gehört hatte.
„Katja!?“, rief eine Stimme, die sich verdammt nach Mutti anhörte. Und da schwankte sie auch schon ohne jede Vorwarnung und auf atemberaubend hohen Stöckelschuhen über die Schwelle. Im lockig aufgetürmten Haar funkelte ein blauseidenes Band, der blau plissierte Rock, den ich noch nie an ihr gesehen hatte, umspielte die schlanken, tiefbraunen Waden (seufz) und die blauweiß gemusterte Bluse war mit weiten Fledermausärmeln (grusel) und einem atemberaubenden Dekolleté (leicht aufdringlich) ausgestattet. Herr Ecker starrte Mutti an, als sei sie ein Traumgebilde von einem anderen Stern, Alice aus dem Wunderland oder der Geist von Marika Rökk (Schock).
Leni grinste verlegen und sagte: „Martha, das ist unser Herr Ecker aus dem Dorf. Er vertritt Helge und hilft uns bei der Feldarbeit.“ (Tatsächlich, Lene? Wann denn eigentlich?, lag mir auf der Zunge. – Misch dich nie in Angelegenheiten, die dich nichts angehen, Katja, warnte mich noch gerade rechtzeitig von irgendwoher die Stimme meines Papis, der mir in dieser Hinsicht stets ein Vorbild gewesen war.) Also hielt ich meinen Mund und begnügte mich damit, gequält vor mich hinzulächeln, während Muttis Gesicht von einer Sekunde zur nächsten einen total verkrampften Ausdruck annahm – vermutlich deshalb, weil Herr Ecker ihr mit nicht enden wollender Ausdauer die Hand schüttelte und in ihr Dekolleté linste.
„Hannes ist eben angekommen, Katja“, stieß sie mit schmerzverzerrter Stimme in meine Richtung hervor und riss energisch und mit vor Wut funkelnden Augen ihre Finger aus Eckers Pranken. „So!“
Oskar Ecker senkte den Kopf und schaute beschämt auf die Küchenfliesen. Eine Welle des Mitleids überschwappte mein Herz. Er tat mir plötzlich unendlich leid. Ständig ins Fettnäppchen zu treten, konnte er unmöglich freiwillig als Lebensmotto gewählt haben.
Draußen klingelte jemand wie ein Irrer mit einer Fahrradglocke. Hannes! Wir rannten auf die Veranda. Auf dem Hof stand „Macheath“ – neben der untersten Stufe der Freitreppe, und bearbeitete die Metall-Bimmel mit derart wilder Entschlossenheit, als habe ihn jemand dazu angestiftet. – Luchs? Die Hühner (aus Rache für die vorübergehende Ausquartierung aus ihrem total verschmutzten Heim)?
Hannes' Wangen waren erhitzt und leuchteten rot wie Klatschmohn, sein Haar hatte der Fahrtwind zerzaust, ein paar nasse Strähnen klebten an seiner Stirn, seine Augen blitzten

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