Gefährlicher Sommer; Teil 20; Text 2

Bild von Annelie Kelch
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Brände. Der Sommer loht vierfach von allen Seiten
Die Akazienhaine stehn in betäubender Blüte
in den Rebbergen glimmt die grüne Seele des Weins
der wilde Mohn verblutet im Korn
Es kommt die Dämmerung
und über silberne Brücken schreitet der Mond

(Jan Skácel; „Kurze Beschreibung eines Sommers“)

Knut (Teil 20), Text 2

Mit riesigen Drahtbürsten säuberten Kröger und ich die Stangen und das obere Gebälk des Hühnerstalls, das sogar für mich ohne Leiter mühelos erreichbar war. Zu guter Letzt spritzte der neue Herr Inspektor mit dem längsten Gartenschlauch, der auf Lachau zu finden war und der normalerweise sonst nur für die weit verstreuten Pflanzen im Park zum Einsatz kam, den Boden sauber.

„Bei diesem Wetter ist in spätestens einer Stunde alles trocken, dann können wir frische Einspreu draufgeben, Katja“, sagte Kröger und hievte ein engmaschiges, hohes Drahtgitter vor die Tür, damit das Federvieh nicht ins Hühnerhaus stolzieren und sofort alles wieder vollkacken konnte.
„Bis alles trocken ist, müssen Sie sich im Freien aufhalten, meine Herrschaften, was bei diesem herrlichen Wetter gewiss keine Strafe ist“, wandte er sich an das beleidigte Hühnervolk, das nach wie vor sauertöpfisch im Hof umherstelzte und wehklagend mit sämtlichen Flügeln schlug.

Kröger klopfte sich lässig den getrockneten Mist von der Kleidung.
„Frisches Stroh wird erst nach dem Mittagessen geliefert. Hoffentlich haben wir die Hackordnung nicht völlig durcheinander gebracht“, griente er und stiefelte Richtung Herrenhaus. Ich schlurfte, bemüht, mit ihm Schritt zu halten und nicht zu stolpern, denn meine Füße rutschten in den riesigen Gummikruken hin und her, an seiner Seite. Auf den Stufen zur Veranda streifte ich unbequemen Dinger ab und wollte mich sogleich in den Saal begeben, aber Hannes' Vater hielt mich zurück, bedankte sich für meine Hilfe und lud mich zum Essen ein – auf Kosten der Gnädigsten.
„Leni hat selbstverständlich für dich mitgekocht, Katja. Du isst ihrer Meinung nach weniger als ein Spatz“, sagte er und lachte. – Ich suchte den Witz, liebe Christine, und fand ihn nicht.
Nachdem ich mich gewaschen, umgezogen und Oma gehorsamst Meldung gemacht hatte, begab ich mich zu Leni in die Küche.
Kröger war wohl noch im Jagdzimmer, aber Herr Ecker, schmerbäuchig, mit dicken roten Wangen und schwabbeligen Muskeln, thronte bereits auf seinem Stuhl, hielt sein Messer in der rechten und die Gabel in der linken Hand und ließ seine Blicke mit leidender Miene, als sei er kurz vorm Verhungern, von seinem leeren Teller zum Herd, darauf ein riesiger Topf mit ebenso imposantem Deckel vor sich hin dampfte, dessen Inhalt anscheinend nur Leni bekannt war, und wieder zurück auf seinen Teller schweifen. Dass sein Magen knurrte, war nicht zu überhören. Ich betrachtete meine Arme und Hände, die den Eindruck erweckten, als seien Katzen und Mücken gleichzeitig über mich hergefallen; sie waren vom Stroh total zerkratzt und zerstochen. Da half nur noch Penatencreme.
„Na, Oskar, ordentlich was geschafft?“, fragte Kröger mit skeptischer Miene, während er durch die Küche geradewegs zum Herd marschierte und in Lenis Töpfe guckte.
„Jahaajaha“, gab Herr Ecker betreten von sich. Es klang ungemein kleinlaut. Kröger zog seine buschigen schwarzen Brauen in die Höhe, und „Orlando“, Lenis verhätschelter Kater, sprang blitzschnell auf Eckers Wampe und von dort auf den Küchentisch und fauchte den neuen Knecht mit einer Gehässigkeit an, die ich für stark übertrieben hielt. –
„Orlando“, rief Leni. „runter vom Tisch und raus in den Park, aber dalli!“ Ich wunderte mich, dass das kleine Ungeheuer, das mindestens ebenso verzogen war wie Tante Selmas „Tom“ und überdies einen irrsinnig schlechten Atem verströmte, sofort vom Tisch sprang und aus der Küche schlich.
„Wir fangen erst mit dem Essen an, wenn die Gnädigste hier ist“, ließ Leni verlauten, knallte irgendeinen Deckel auf irgendeinen Topf (Oskar zuckte heftig zusammen) und trat ungeduldig von einem schwarzbestrumpften Bein aufs andere.
„Wann kommt sie denn nun endlich?“, zischte sie leise und rührte heftig im riesigen Topf herum. Auch auf der Herdplatte zischte es, und Leni strich sich ein paar schweißnasse Haarsträhnen aus dem hochroten Gesicht. Der außergewöhnlich große Kochherd strahlte eine schier unerträgliche Hitze aus und verstärkte den guten Duft, der durch die Küche segelte.
„Ich würde sagen, wir fangen endlich an, Leni. Ich habe zu viel zu tun, als dass ich hier herumsitzen und auf das Essen warten könnte“, schlug Kröger nach einer Weile vor, allerdings in einem Tonfall, der keine Widerrede duldete.
Das Gesicht von Herrn Ecker hellte sich um mehrere Nuancen auf. Leni nahm unsere Teller und füllte sie der Reihe nach bis zum Rand mit Bohneneintopf. Zum Nachtisch sollte es frische Stachelbeergrütze mit Milch geben.
„Hat unsere Katja heute Morgen gepflückt“, sagte Leni, während sie die riesige weiße Schüssel mit der Grütze auf den Tisch stellte. Herr Ecker war dermaßen intensiv mit dem guten Essen beschäftigt, dass er nicht imstande zu sein schien, auch nur mit einer Silbe etwas zum Mittagsgespräch beizutragen. Wahrscheinlich verspürte er auch nicht das geringste Verlangen danach. Zweimal musste Leni aufstehen, um seinen Teller nachzufüllen.
Auf Krögers braungebrannter Nasenspitze stand geschrieben, welche rebellischen Gedanken ihm durch den Kopf gingen: Wenn dieser dicke Kerl genauso schuften würde wie er frisst, könnten wir die Arbeit auf dem Hof auch ohne Helge schaffen. Aber ich glaube kaum, dass dieser göttliche Umstand jemals eintreten wird.
Vor der Veranda quietschten Autoreifen. (Vermutlich schlief Luchs wieder mal fest, und ein paar Gänse hatte sich – absichtlich wie immer – auf den Hof „verirrt“ und waren der Gnädigsten vor die Räder gewatschelt, liebe Christine.) Gleich darauf fiel die Verandatür ins Schloss und Frau Brandner schwebte in die Küche – ungewohnt gekleidet, im schlichten schwarzen Kostüm mit engem Rock und weißer Bluse. Sie trägt ja meistens ihre mit zahllosen Obstflecken übersäten, robusten grünen Schürzen, aber selbst die stehen ihr fantastisch zu Gesicht.
„Diese albernen Gänse“, lachte sie, „führen sich manchmal verrückter auf als das Hühnervolk." Kröger warf mir einen verschwörerischen Blick zu und grinste.
„Ach fein, Leni, dass ihr schon mit dem Essen angefangen habt. Mich plagte bereits ein schlechtes Gewissen, euch so lange warten zu lassen. Entschuldige bitte, Lenchen, aber die Gemeinderatssitzung nahm und nahm kein Ende. Natürlich drehte sich auch diesmal alles um die privaten Abgaben für einen dritten Waldaufseher.

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Kommentare

20. Okt 2017

Fein Leben ward hier eingehaucht -
Weshalb Dein Leser gern eintaucht!
(Hausangestellter - faul, dick, groß:
An wen erinnert der mich bloß?!)

LG Axel

20. Okt 2017

O. Ecker lässt an Krause dich wohl denken,
auch er - arbeitet ungern, lässt sich lieber
100 Euro schenken.

LG Annelie

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