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andrer Hinsicht schwerlich so hoch in die Höhe gewachsen, sondern recht oberflächlich ausgefallen sein, und unsrer Dina in allen Stücken nachhumpeln müssen.«
Sie strahlte ihn statt jeder Antwort mit ihren dankbaren, glücklichen Augen an, und ich sah es ihr an, wie völlig geborgen sie sich vorkam, — auf eine Stunde vor allem Ungemach geborgen, und mit ihm zu zweit allein.
»Ich gehe nun hinüber,« äußerte ich und gab ihr die Hand, »ich denke aber, daß wir bald wieder miteinander plaudern.«
»Bald, ja!« versetzte sie zerstreut und blickte unversehens Benno an, statt mich, »— wenn man mich nur bald wieder herläßt. Jetzt gibt es so viele Abhaltungen vor Weihnachten. Deswegen mußt ich heute schon so früh kommen, — später käm ich nicht frei.«
Ich verließ das Zimmer fast mit einer wunderlichen Regung von Neid. Ja, ich beneidete beinah die kleine Verwachsene um die harmlose Romantik, womit sie da drinnen bei Benno ihren Anteil an Menschenglück sich vorweg nahm. Sie konnte ihn hoch über sich stellen, sich selbst demütig unter ihn, ohne daß diese halb erträumte Situation sich jemals zu ändern brauchte, ohne daß die Wirklichkeit des Lebens sie jemals in ihren Illusionen und Phantasien stören würde, — denn Leben und Wirklichkeit blieben ihr doch wohl immer fern.
Sie setzte jetzt den Becher an die Lippen und nippte von derselben Sklavenseligkeit, woran ich mich einst Benno gegenüber so bis zur bewußtlosen Selbstvernichtung berauscht hatte, — und die es für mich ihm gegenüber nun nicht mehr gab. Und arglos hielt er ihr diesen betäubenden, gefährlichen Trank an die Lippen. Von mir aber, die damit bis in die letzten Nervenfasern vergiftet gewesen war, heischte er ebenso arglos, daß ich, mit ernüchtertem Herzen und ernüchterten Augen, ihn lieben sollte —.
Bei uns im Wohnzimmer traf ich Gabriele. Meine Mutter schien eben erst von Weihnachtsbesorgungen in der Stadt heimgekehrt zu sein; sie stand noch im Hut da und trug die einzelnen Ausgaben in ihr Notizbüchelchen ein.
Gabriele drehte sich rasch nach mir um und rief:
»Ich bin nur da, um dich zu fragen, ob du nicht heute abend ein wenig zu uns heraufkommen willst? Es sind lauter alte Bekannte bei uns, die neugierig sind, dich wiederzusehen, wie du dir wohl denken kannst.«
»Ja, danke. Vielleicht. Nimm es lieber nicht als gewiß,« entgegnete ich, von der Vorstellung erschreckt, den Abend gesellig verbringen zu sollen, und setzte mich an den Tisch, auf dem mehrere aufgeschnürte Pakete mit blitzenden Anhängseln zum Christbaum lagen.
»Auf mich mußt du keine Rücksicht nehmen,« bemerkte die Mutter und legte ihr Notizbuch neben mich hin, »so früh, wie ich’s gewohnt bin, kannst du dich ohnehin nicht zur Ruhe begeben. Aber ich wache nicht davon auf, wenn du später ins Schlafzimmer kommst.«
Ich langte nach dem kleinen abgenutzten Bleistift am Notizbuch und begann zerstreut auf dem harten grauweißen Paketumschlag zu zeichnen.
»Doktor Frensdorff kommt wohl sicher nicht mit herauf?« fragte Gabriele zögernd.
»Schwerlich,« versetzte die Mutter, »er fährt mittags weit über Land und kehrt erst spät zurück.«
»Also nicht!«bemerkte Gabriele in so merkwürdig resigniertem Ton, daß ich unwillkürlich aufblickte.
Ich vermochte in dem gesenkten Gesicht, das von feinem Kraushaar wie von einer leuchtenden Wolke umschattet wurde, nichts zu lesen. Aber jetzt nachträglich fiel mir Gabrielens fortwährendes Erröten bei unserm gestrigen Gespräch und manches ihrer Worte auf.
Fast kam mir ein Lächeln. Wenn sie wirklich in Benno verliebt war, so mußte man es humoristisch nennen, um wie verschiedener, ja einander ausschließender Eigenschaften willen wir drei uns für ihn interessiert hatten. Was ist nun ein Mensch wesentlich andres, als was wir uns aus ihm zurechtmachen?
Aber von uns dreien traute ich Gabriele das beste Urteil über ihn zu. Vermutlich hatte sie ganz recht damit, daß sie eine passende Frau für Benno wäre, von der er sich dann sicher auch genau so erziehen ließe, wie es sich nach Gabrielens Meinung für die Frau von heute schickte.
Da bemerkte Gabriele:
»Doktor Frensdorff ist überanstrengt und überbeschäftigt, daher geht er nirgends hin. Jemand sollte ihm das ausreden. Das solltest du thun, Adine.«
»Er hört doch nicht drauf,« meinte die Mutter und ging hinaus, um ihren Hut abzulegen.
»Auf dich würd er wohl hören,« sagte Gabriele halblaut.
Ich ließ überrascht den Bleistift fallen und sah sie an.
»Wär es dir denn im Ernst angenehm, wenn ich mich drum kümmerte oder ihn beeinflussen wollte?«
»Ja. Wenn es zu seinem Wohl dient,« versetzte Gabriele finster.
Etwas von meiner alten Bewunderung für sie regte sich in mir. Und eine warme Bereitwilligkeit, ihr zu helfen. Sie sollte wissen, daß ich ihr nicht in den Weg treten würde.
»Meine Sache ist das aber gar nicht,« sagte ich rasch und in leichtem Ton, während ich fortfuhr zu zeichnen, »du weißt ja: ich gerate lieber selbst unter jemandes Einfluß. Ich will aber beides nicht. Es ist also besser, wenn dir das zugehört, und niemand anders teil dran nimmt.«
Gabriele stand auf.
»Ich muß hinaufgehn, um nach unserm Mittag zu sehen, auf Mutchen ist kein Verlaß,« bemerkte sie ruhig, dann aber, als ich ihr die Hand gab, sah sie mir fest und fast etwas hochmütig in die Augen und fügte ernst hinzu:
»Was uns wahrhaft gehört, Adine, das nimmt niemand uns fort. Was uns wahrhaft gehört, das fällt uns zu, früher oder später. Daher sind alle kleinlichen Sorgen um Dein und Mein niedrig. Alles was wir zu thun haben ist, selber vorwärts zu gehn; wer zu uns gehört, geht mit, wer das nicht thut,« — sie hielt inne und atmete tief auf, — »der — ja der darf uns auch nicht aufhalten.«
Ich beugte mich, etwas verdutzt, über mein Paketpapier. Leidenschaftslosigkeit und Ueberzeugungskraft sind gewiß hohe Tugenden. Und ich —? Ach, ich!
Ich blickte erst wieder verwundert auf, als die Mutter wieder eintrat und mir über die Schulter sah.
»Aber das ist ja die kleine Baronesse!« rief die Mutter überrascht, »nur gar so schön, wie du ihren Kopf gezeichnet hast, ist sie doch nicht, Kind.«
»Nicht schön —? — Uebrigens ist es eigentlich auch nicht grade die Baronesse Daniela. Es ist nur das Glück, Mama.«
»Das Glück —?!«
»Ja. So ungefähr schaut es aus. Aus solchen Augen schaut es das Leben an.«
»Arme Daniela,« meinte die Mutter, »sie hat es schwer genug im Leben. Weißt du, daß sie auch grade eine Majorstochter sein muß, wo