Eine Ausschweifung - Page 14

Bild von Lou Andreas-Salomé
Bibliothek

Seiten

so viel laute Geselligkeit im Hause herrscht —. Man möchte ihr schon ein wenig Glück zu Weihnachten wünschen, als Christgeschenk.«

»Ach Mama, kein Mensch weißja so recht, was der andre sich wünscht. Ich könnte mir zum Beispiel Danielas Schicksal wünschen. Oder einfach zu Weihnachten einen schön gewölbten Buckel, Mama.«

»Aber Dienchen! so sündhafte Scherze soll man nicht machen.«

Das Dienstmädchen kam herein und brachte die eingelaufene Post. Sie überreichte die paar Kartenbriefe mit einer Würde auf dem Präsentierteller, als wären es mindestens hochwichtige Depeschen.

»Ich möchte wohl wissen, warum die Anna immer so feierlich thut,« bemerkte ich, nachdem sie wieder hinausgegangen war, »wenn sie abends die Lampe bringt, trägt sie sie auch vor sich her wie eine Gottesfackel.«

»Sie ist krank gewesen. Das ist ihr von der Krankheit verblieben.«

»Was — die Feierlichkeit?«

»Die Wahnvorstellung, als ob alles, was sie thut, die feierlichste Bedeutung hätte. In ihrer Geisteskrankheit war sie nämlich ganz glückselig. Da hat sie gemeint, beim Kaiser von China zu dienen. Das kann sie sich in ihren Manieren noch nicht recht abgewöhnen. Aber Benno meint, das schade nichts.«

»Und das nennt man nun Wahnsinn!« sagte ich seufzend. »Eine Fähigkeit, so beglückende Illusionen einfach festzuhalten. Ich glaube, Mama, ich wünsche mir zu Weihnachten außer dem Buckel auch noch einen ganz niedlichen kleinen Wahnsinn.«

»Aber, Kind! Du redest ja schon den reinen Wahnsinn!« meinte die Mutter unwillig, und las ihre Kartenbriefe.

Ich legte die Arme auf den Tisch und den Kopf darauf. Der Kopf war mir so leer, und das Herz so schwer, wie nach einer Vergeudung und Erschöpfung aller Kräfte. Und dabei war der Morgen doch so idyllisch friedlich verlaufen. Ohne Not hatte ich mich vor den Morgenstunden bei Benno gebangt, als drohte mir in ihnen eine Gefahr, die heimlich anzieht, wie Schwindel und Abgrund —. Da war gar kein Abgrund. Flache grüne Wiese, eine Landschaft geschaffen zum Schäferidyll — —.

Und Sehnsucht und Enttäuschung und ein Widerwille gegen alles, was nicht Abgrund und Gefahr sein wollte, wachten in mir auf. In mir erwachte ganz dieselbe Gemütsstimmung und Gemütsspannung, in der ich mich damals von Benno losriß, — weil mir der volle Becher zwischen den Lippen zerschellte.

Ungern entschloßich mich gegen Abend, zum Rendanten in die kleine Gesellschaft zu gehn. Aber es wäre mir ebenfalls schwer gefallen, diesen Abend neben meiner Mutter im Wohnzimmer zu sitzen und mit ihr heiter und eingehend zu plaudern. So kleidete ich mich denn auf ihr Zureden um und schickte mich an hinaufzugehn, um Gabriele nicht zu kränken.

Als ich aus unsern Stuben in den Hausflur trat, fand ich seltsamerweise die Thür nach der Straße weit offen. Eh ich sie zumachte, blieb ich einen Augenblick lang auf der Schwelle stehn und schaute hinaus. Draußen war es unwirtlich und häßlich. Der Frost zeigte Neigung, in Tauwetter überzugehn; die Schneeschicht lag nur noch dünn und klebrig auf der Straße, und ein feiner Winternebel verschleierte das gelbe Licht der Laternen.

Da, wie aus der Erde gewachsen, ging ein junger Mann draußen vorüber und grüßte. Die Straße war er nicht herabgekommen, ich hätte seinen Schritt durch den getauten Schnee hören müssen.

Ich schloßdie Thür, von der feuchten Kälte durchschauert, als im selben Augenblick jemand von der Hofseite durch das Hinterpförtchen in den Flur huschte. Ich wandte mich um und erkannte Mutchen.

Mutchen sah erschrocken aus; in einen Mantel gehüllt, aus dem das helle Gesellschaftskleidchen hervorleuchtete, stand sie wie verstört da und horchte nach oben, wo das Geräusch herabkommender Schritte hörbar wurde.

Dann lief sie plötzlich auf mich zu, faßte mich am Arm und flüsterte hastig und ängstlich:

»Ach, lassen Sie mich um Gottes willen zu Doktor Frensdorff hineinschlüpfen, — er ist nicht zu Hause, — bitte, bitte, ich erkläre Ihnen gleich —«

Ich stieß die Thür zu Bennos Wartezimmer auf und zog Mutchen dort hinein.

»Was ist denn geschehen? vor wem fürchtest du dich? wer bedroht dich?«

»Ich glaube, das Mädchen geht nach Bier,« flüsterte Mutchen atemlos; »— bitte, bitte, sagen Sie nur Papa oder gar Gabriele nichts, — nein? Sie haben’s ja gesehen, Sie standen ja an der Hausthür, als Doktor Gerold vorüber mußte.«

»Doktor Gerold? war das der, der eben vorüberging? wer ist es denn? und wozu heimlich?«

Mutchen schmiegte sich in der dunkeln Stube an mich und flüsterte halb schüchtern, halb schelmisch:

»— Wozu?! — ja, wie soll man denn anders? Haben Sie denn nie einen lieb gehabt? Ich kann ihn doch nicht plötzlich da oben hinstellen zwischen Papa und die Tanten und Verwandten. Sie würden ja auf den Tod erschrecken. Abgesehen davon, daß Gabriele mich — na!«

»Ihr seid wohl heimlich verlobt, Doktor Gerold und du?«

»Ich glaube,« sagte Mutchen zögernd.

»Du glaubst es nur?! Du weißt nicht, ob ihr verlobt seid?«

»Ja, kann man denn das so ganz genau wissen?« Mutchens Stimme klang kläglich, »wir sind noch so jung alle beide, er kann ja eigentlich noch gar nicht etwas so Festes — — ach du, kann man denn daran denken, wenn man jung ist und einen lieb hat?« setzte Mutchen in raschem Stimmungswechsel resolut hinzu und merkte nicht einmal, daß ihr das vertrauliche »Du« entschlüpft war. »Laß mich jetzt schnell hinauf, ehe die Guste mit dem Bier wiederkommt. Und ich danke dir! Nicht wahr,— o nicht wahr, du verrätst es nicht? Von dir glaub ich’s, eine andre würd ich nicht einmal erst drum bitten.«

»Warum dann mich, Mutchen?«

»Ich weiß nicht. Du schaust so aus. So, als müßtest du’s verstehn.«

»Nun, Mutchen, verraten werd ich dich nicht. Aber unter einer Bedingung, hörst du? nur wenn du mir alles sagst, — wenn du mir morgen sagst, was eigentlich zwischen euch ist. Versprichst du mir das?«

»Ja, ja!« murmelte Mutchen, küßte mich hastig und schlüpfte aus dem dunkeln Zimmer.

Ich stand und schüttelte den Kopf.

»Ich bin wirklich eine schöne Autorität für solchen Mutchen-Fall!« dachte ich ratlos, »was soll das nützen, wenn sie mir auch alles erzählt? kann ich etwa entscheiden und eingreifen? Gewiß thut sie unrecht mit diesen Heimlichkeiten. Gewiß, — vielleicht. Vielleicht hat sie auch ganz recht.«

Ich tappte mich in die daneben gelegene Studierstube, wo die Zündholzschachtel stets auf dem Rauchtischchen lag, und machte Licht.

Jetzt, nach diesem Zwischenfall, mochte ich nicht, wenigstens nicht gleich, zu Gabriele hinaufgehn, — am liebsten hätt ich es ganz gelassen.

Auf

Seiten

Mehr von Lou Andreas-Salomé lesen