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schon einmal erlegen.
Die Erinnerung daran durchrieselte mich heiß und beinah lähmend.
Benno blickte mich staunend und ungläubig an. In meinem Mienenspiel mochte sich etwas von dem verraten, was in mir vorging. Eine Möglichkeit mochte in ihm aufdämmern, mich wieder zu fassen. Wenigstens schien es mir so, — und da schien es mir gradezu, als käme er mit einer Riesenkeule bewaffnet auf mich zu, um mich niederzustrecken. »— Benno —!« sagte ich schwach, erschrocken, wie jemand, der sich wehren soll, und nicht kann.
Der schwache Ausruf durchzitterte ihn förmlich. Mein Gebaren mußte ihn in eine Zeit zurückversetzen, wo mir dieses furchtsame Gesicht und diese furchtsame Stimme ihm gegenüber natürlich waren. Unwillkürlich, wortlos, fast ohne zu atmen, beugte er sich über mich —.
Da streckte ich angstvoll meine Hand gegen ihn aus, sie mit einer unsichern Bewegung zwischen seine und meine Augen schiebend, als müßte sie ihm meinen Blick verdecken und mich seinem Blick entziehen, wie einer unkontrollierbaren Macht, die noch einmal mich mir selber rauben könnte.
»— Nein — nein! — nicht! zu spät!« murmelte ich.
Er richtete sich auf und legte die Hand über die Augen.
Ohne ein Wort der Erwiderung verließ er das Zimmer.
Ich starrte ihm nach. Ich weiß nicht, wie lange ich da noch sitzen blieb, in seinem Zimmer, in seinem Sessel.
Ich war ja heimgekommen, um Reminiscenzen zu feiern. Um in ein paar alte Erinnerungen niederzutauchen. Ich wollte mich sogar an all dem freuen, was an ihnen meinem jetzigen Geschmack widerstand, — denn all das gehörte ja zu ihnen, und auf mein wirkliches Leben hatte es keinen Einfluß.
Dies da aber war keine Erinnerungsgewalt gewesen. Nein, dies da war eine Lebensgewalt, eine Wirklichkeitsgewalt, die mich selber bedrohte. Konnte ich nicht fort? konnte ich denn nicht fliehen? kannte ich denn nicht die Folgen, den Zusammenbruch von allem, ja von allem, was meinem Wesen und meinem Leben Wert gab?
Ja, das alles wußte ich. Ich wußte auch, daß sich mein Leben niemals wahrhaft mit Benno verknüpfen ließ, — und daß es keine Liebe zu ihm war, die mich hielt.
Keine Liebe, — etwas Dunkleres, Triebhafteres, Unheimlicheres — —.
Wie ein Blitz, — Warnung und Symbol zugleich, — glitt an meiner Seele das Bild der Klingerschen Radierung vorüber —.
Nein, — ich konnte nicht fort.
Am Nachmittag besann ich mich darauf, daß ich seit meiner Ankunft Gabriele noch nicht begrüßt hatte, und stieg die Treppe zur Rendantenwohnung hinauf.
Fast gleichzeitig betrat Gabriele von der Straße her den Hausflur unten, am Arm ein großmaschiges Marktnetz, aus dem sich allerlei Gemüsesorten hervordrängten. Sie lief rasch ein paar Stufen aufwärts, ehe sie mich aber oben stehn sehen konnte, wurde ihre Aufmerksamkeit durch Benno abgezogen, der grade über den Flur schritt, um aus seinen Wohnräumen zu meiner Mutter hinüberzugehn.
Gabriele beugte sich über die Treppenbrüstung.
»Guten Abend, Herr Doktor!« rief sie ihn an, »ich bin ganz böse auf Sie. Gestern und vorgestern nacht brannte ja wieder so spät Licht in Ihrer Studierstube. Ich kann den Schein sehr gut von oben bemerken! Sie arbeiten aber wirklich zu spät.«
»Ich muß wohl, Fräulein Gabriele,« antwortete Benno, »übrigens geben Sie mir gewiß an Fleiß nichts nach. Aber ich verspreche Ihnen, heut abend früher auszulöschen und mich brav schlafen zu legen.«
Das ist ja ein drolliges Versprechen! dachte ich, innerlich belustigt, als Gabriele aufschaute, mich bemerkte und mir nun eilig die Treppe nachsprang.
»Gott, wie lieb von dir, zu kommen!« rief sie atemlos und umarmte mich mit der alten Mädchenherzlichkeit, »ich wäre schon selbst bei dir gewesen, mochte euch nur nicht gleich stören.«
»Wie hübsch du geworden bist!« sagte ich und betrachtete sie voller Freude. Gabriele glich gar nicht mehr dem langen, rothaarigen Backfisch von ehedem; ihr rötliches, sehr feines und krauses Haar umsprühte förmlich leuchtend ein Gesicht von den zartesten weißroten Farben, und von den Sommersprossen schienen nur ein paar ganz pikant wirkende Tupfe über der Nasenwurzel übrig zu sein. Größer als ich, auch von derberm Knochenbau, bot sie ein Bild blühender Kraft.
Sie hatte die Thür aufgeschlossen und führte mich in das wohlbekannte Eßzimmer mit der karrierten Wachstuchdecke auf dem langen Tisch und dem Nähtisch am Fenster. An diesem Fenster, das von der starken Zimmerwärme leicht beschlagen war, lehnte ihre jüngere Schwester Mathilde, Mutchen genannt, zwischen den weißen Mullvorhängen und malte mit dem Zeigefinger mystische Buchstaben auf die Scheibe.
»Mit dem bißchen Ordnen der Tischwäsche hättest du auch fertig werden können, scheint mir,« bemerkte Gabriele verdrießlich, und warf einen Blick über die Stöße von Servietten, die neben einem halbgeleerten Wäschekorb auf den Stühlen umherlagen, »es giebt ohnehin vor Weihnachten noch viel zu thun.«
Mutchen fuhr bei unserm Eintritt ein wenig zusammen und drehte sich so geschwind herum, daß der kurze Mozartzopf in ihrem Nacken mitflog. Sie war eine ganz allerliebste kleine Person von etwa achtzehn Jahren, und der heiterste Uebermut blitzte aus ihren hübschen Augen. Als ich sie herzlich begrüßte und sie fragte, ob sie sich meiner auch noch erinnere, da sah sie mich mit großen, listigen Augen an und atmete tief auf.
»O ja!« sagte sie, »aber damals waren Sie anders —. O, so wie Sie, — ja, so möchte ich aussehen!«
»Aber warum denn, Mutchen? was ist denn mit mir?« fragte ich verwundert über diesen Ton.
Sie flog auf mich zu, küßte mich und flüsterte lachend:
»Ich meine nur, weil Sie so aussehen, daß jedermann — jeder Mann — Sie gern haben muß.«
»Wirst du aufhören, mit solchen Dingen zu tändeln!« rief Gabriele aufgebracht, die eben ihre Sachen abgelegt und nur die letzten Worte recht gehört hatte, »du bist das unnützeste Geschöpf auf der Welt. Es ist nicht das geringste Vernünftige mit ihr aufzustellen,«fügte sie unwillig, zu mir gewandt, hinzu, während Mutchen trällernd entfloh.
»Ich kann mir denken, daß sie dir auch jetzt noch zu thun giebt,« sagte ich, »überhaupt hab ich dich innig nach dem Tode eurer Mutter bedauert. Denn nun bist du natürlich hier gebundener als je. Und du hattest doch ganz andre Pläne.«
»Ich habe sie noch — für einen gewissen Fall, wenn der eintritt,« antwortete Gabriele und setzte sich zu mir, »aber es ist mir einstweilen recht, hier zu sein und den Hausstand weiterzuführen. Das kann ich dir nicht erklären. Doch sei gewiß, gegen meinen Willen thät ich’s nicht.«
Ich