Eine Ausschweifung - Page 7

Bild von Lou Andreas-Salomé
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der Irrenanstalt, als eine Art von Bevollmächtigtem des Direktors, der alt und kränklich war, und ihn zu seinem Nachfolger vorgeschlagen hatte. Die Briefe meiner Mutter erzählten mir stets Wunderdinge von Bennos Tüchtigkeit und fieberhaftem Berufsfleiß.

Ich pochte leise an die Thür seines Studierzimmers, doch niemand antwortete darauf. Ich öffnete sie und blickte hinein. Niemand war anwesend.

Vor dem Kaminofen, worin ein helles Feuer brannte, stand zwischen zwei Sesseln ein Metalltischchen, worauf alles zum Theetrinken vorbereitet war. Ein blankes Kesselchen dampfte über einer Spiritusmaschine. Jedenfalls war Benno schon hier gewesen und wieder abgerufen worden.

Ich setzte mich in einen der Sessel und schaute mich um. Sehr viel behaglicher sah es hier aus als in dem häßlichen, kahlen Dienstzimmer, das Benno ehemals im Irrenhause innegehabt, und das ich immer nur mit Grausen besucht hatte, denn jedes Geräusch dort und jeder Anblick entsetzten mich. Und dennoch that es mir jetzt fast leid, daß ich ihn hier wiedersehen sollte, und nicht in dem Rahmen, der dort zu ihm gehörte. Ich behandelte ihn in dieser pietätvollen Regung unwillkürlich ganz als Bild —.

Da ging die gegenüberliegende Thür auf, und Benno trat aus seinem Wartezimmer herein.

»Grüß dich Gott!« sagte er mit seiner verhaltenen Stimme und kam, fast etwas ungeschickt, mit ausgestreckter Hand auf mich zu. Als ich meine Hand hineinlegte, hielt er sie einige Sekunden lang fest und hinderte mich dadurch, mich aus meiner halbruhenden Lage aufzurichten.

»Bleib sitzen! grade so, wie du gesessen hast, aber den Kopf hebe, und gegen das Licht; ich muß dich doch deutlich wiedersehen,« sagte er wie entschuldigend.

Ich fand keine Entgegnung und gehorchte nur, den Kopf zurücklehnend und den Blick zu ihm hebend, während ich fühlte, daß ich unter dem seinen errötete.

»Wie gesund und hell und glücklich du ausschaust, — — und wie schön!« sagte er treuherzig. Aber zugleich wurde er besangen und trat etwas zurück.

Ich überflog seine ganze Gestalt und sein Gesicht. Das Gesicht erschien mir zu sehr gealtert in diesen sechs Jahren. Die unausgesetzte, nervenaufreibende Thätigkeit hatte verfrühte Falten in seine Stirn gezogen und das weiche aschblonde Haar an den Schläfen ein wenig gelichtet. Ob er wohl noch die interessanten, furchterweckenden Irrenarztaugen hat? dachte ich und suchte seinen Blick. Aber auf den Gläsern der Brille blitzte und glitzerte das Morgenlicht, und mir kam der Gedanke, wie viel öfter ich überhaupt dieses alles verdeckende Brillenfunkeln gesehen hätte, als den dahinter vermuteten Augenausdruck.

Das Wasser im Kesselchen zwischen uns brodelte heftig, und um das Schweigen zu brechen, bemerkte ich heiter:

»Ich bin zu deinem Frühstück hergekommen, wie du siehst. Wirst du mir auch zu trinken geben?«

Er deutete auf eine zweite Tasse, die bereit stand, und äußerte zögernd:

»Ich hoffte, du würdest kommen. — — Willst du nicht, — — wenn es dir nicht — — willst du mir nicht die Freude machen, uns den Thee zu bereiten?«

Ich erhob mich und griff nach dem Theetopf. Aber während ich mit dem Geschirr hantierte, trat wieder das Schweigen ein, und ich fühlte mit Verlegenheit, wie Benno, der stumm dasaß und rauchte, den Blick nicht von meinen Händen ließ.

Es war etwas so ganz andres, sich im vollen, nüchternen Tageslicht wiederzusehen, als am Abend vorher in der Schneenacht. Man scheut sich unwillkürlich vor all den leise mitflüsternden Erinnerungen, die schwer sind von alten Träumen, und die sich in der hellen Wirklichkeit des Tages nicht zurechtfinden können, sondern allem unversehens phantastische dichter aufsetzen, — blasse, mystische Lichtlein —.

»Es geht nicht an, daß wir hier stumm dasitzen,«dachte ich unruhig und sagte schließlich hoffnungslos, nur um irgend ein lautes Wort zu finden, scherzend:

»Du willst wohl aufpassen, ob ich bei meinem Farbenkleckserberuf noch zur geringsten weiblichen, häuslichen Arbeit tauglich geblieben bin.«

»Ach nein,« versetzte er so ernsthaft erstaunt, daß man seiner Stimme anhörte, von wie weit er eben herkam, »— du bist ja, — du hast ja andres zu thun gehabt. Jedenfalls Interessanteres. Besonders Paris ist ja die große Stadt aller Genüsse.«

»Das ist sie gewiß, aber die große Stadt der Arbeit ist sie auch, des rastlosen Weiterarbeitens,« versetzte ich, und schob ihm sein Glas Thee zu.

Er rührte mit dem Löffel darin herum, dann fragte er unvermittelt:

»— Der Tomasi, — wie ist denn der?«

Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken über die unbeholfene Art, wie der Pedant und Moralist aus ihm herausrückte.

»Von meinen Kollegen ist er mir der liebste Genosse,« gab ich zu, »ich danke ihm viel Anregung und Freundschaft. Als ich mir den linken Arm verstaucht hatte und der Ausstellung wegen so eilen mußte, um doch noch fertig zu werden, da hat mir der Tomasi die besten helIen Morgenstunden geopfert, und mir den Arm untergeschoben und mir die Palette gehalten. Das kann nämlich nur ein sehr lieber Freund thun.«

»Den Arm so ausdauernd unterschieben, — das glaub ich,« meinte Benno, und rauchte so stark und unausgesetzt, daß eine Wolke um ihn stand.

Ich lachte, ganz lebhaft geworden.

»Nein, aber die Palette halten,« verbesserte ich, »denn der linke Arm mit der Palette arbeitet mit, mußt du wissen, er mußlebendig zu einem selbst gehören.«

Benno stieß gewaltsam die Asche, die sich kaum noch an seiner Zigarre angesetzt hatte, am Glasteller ab. »Lebendig zu einem selbst. So kann natürlich nur ein Künstler zu dir gehören,« bemerkte er, und stand unmotiviert auf, ohne mich anzusehen.

Dabei sah ich plötzlich das Finstre, Gequälte in seinem Gesicht. Mitten aus der Plauderei heraus, wobei ich für den Augenblick gar nicht mehr an ihn gedacht hatte, sah ich ihn plötzlich so, wie ihm wirklich zu Mute war: in mühsam verhaltener Erregung, — in zorniger Eifersucht —. Daher also sein Brief! Das war nicht pedantische Moralisterei gewesen, — nein, — Liebe —.

Es kam ganz unerwartet über mich, ein Blutstrom, der rasch und heiß zum Herzen quillt, und ein Erschrecken. Ja, eigentlich ein nachträgliches Erschrecken: denn wenn ich das geahnt hätte in der ersten Zeit unsrer Trennung, — geahnt, daß auch er leide, und daß er mich liebe, — ich wäre ja besinnungslos zurückgestürzt zu ihm.

Jetzt freilich konnte ich das nicht mehr wollen. Aber auch er sollte es nicht wollen. Nein, auch er soll es nicht, dachte ich, und mein Herz schlug zum Zerspringen. Denn ihm, seinem Willen, diesem harten, engen, bewußten Willen, bin ich

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