Eine Ausschweifung - Page 6

Bild von Lou Andreas-Salomé
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grüßend an.

Ich dehnte mich voll Behagen in meinen Kissen. In dieser süßen Indolenz der Stimmung war es herrlich, sich hier ein wenig pflegen und verziehen zu lassen. Bald genug kam ich ja wieder in mein eignes Leben draußen zurück, in mein eignes Schaffen und Genießen.

Mein Blick fiel auf das liebe faltige Gesicht im weißen Nachthäubchen, das über der verblaßten grünseidenen Steppdecke herausschaute. Ohne diese gute Mutter mit ihren bereitwilligen Liebesopfern hätt ich mir nie meine freie, glückliche Künstlerexistenz erringen können. Damit mir das gelingen möchte, saß sie nun hier so geduldig und einsam ohne Tochter, und mühte sich heimlich damit ab, sich für Malerei zu interessieren, was doch so ganz hoffnungslos war. Der Offizierskreis in Brieg, ihr einstiger alter Gesellschaftskreis, äußerte sich ziemlich tadelnd über diese fernlebende Tochter, und ich wußte wohl, daß meine Mutter mich dann verteidigte wie eine Löwin ihr Junges, und daß die Leute sich des Todes verwunderten, bis zu welchen modernen Anschauungen sie sich dabei zuweilen verstieg. Aber in Wirklichkeit war sie weder eine Löwin noch ein moderner Bahnbrecher, sondern ganz einfach eine einsame alte Frau, deren Lebensauffassung himmelweit von der ihres Kindes entfernt war —.

Ich glitt geräuschlos aus dem Bett, kam auf nackten Sohlen zur Halbschlummernden und umhalste sie stürmisch.

»Mama, meine liebe Mama! wie bin ich froh, bei dir zu sein, und wie dank ich dir für alle diese schönen — schönen Jahre! Jetzt auf einmal fällt es mir aufs Herz, wie viel du mir geschenkt hast, — immerfort geschenkt, und nichts dafür bekommen, du liebste aller Mütter du!«

Meine Mutter streichelte mich beschwichtigend über den bloßen Arm, und öffnete ihre blassen blauen Augen mit einem Ausdruck voll zärtlichen Glücks.

»Ich wurde schon ganz müde vom Liegenbleiben, du Langschläferin,« sagte sie, sich ermunternd, »ich glaube wirklich, mir sind die Glieder eingeschlafen. Jetzt laß mich rasch in die Kleider kommen, Kind.«

»Wo steckt denn eigentlich Benno am Morgen?« fragte ich, und fuhr in die Strümpfe.

»Ich habe ihn nebenan im Wohnzimmer gehört, ehe du wach wurdest. Er wollte dich wohl schon begrüßen. Jetzt aber könntest du zu ihm gehn, während er seinen zweiten Thee bei sich im Zimmer nimmt, — das ist bald. Es wäre freundlich von dir, — du mußt gut gegen ihn sein, hörst du? Er ist ein so vortrefflicher Mensch, Adine. Du mußt dich nicht dran stoßen, wenn er dir einmal ein wenig schroff vorkommt.«

»Dran stoßen? ach nein, Mama, im Gegenteil. Das gehört ja so unabänderlich zu ihm. Ohne das würde es gar kein Wiedersehen sein.«

»Du bist es nicht gewöhnt. Bist verwöhnt, mein Kind.«

»Eben darum, Mama,« bemerkte ich, und kam vor den Spiegel, um mein Haar aufzuflechten. Unwillkürlich riß ich an den dunkeln Strähnen, die sich eigenwillig unter dem Kamm lockten, denn ich hatte, was ich eigentlich nie habe: Eile.

Die Mutter saß halb angekleidet, mit im Schoß gefalteten Händen, daneben und betrachtete mich mit besorgter Zärtlichkeit im Gesicht.

»— War es schön, — der Einweihungsschmaus in deinem Atelier?« fragte sie zerstreut. »Ja, schön — und lustig! Später erzähl ich dir —«

»Aber lieber nur mir allein, Adine, denn Benno —«

»Nun, was ist mit Benno?«

»Ja, stell dir vor, er macht sich so leicht Gedanken deinetwegen, — weil du so frei für dich lebst, und weil du so viel mit dem Tomasi bist, der Atelier an Atelier mit dir wohnt, — und überhaupt —«

»So. Thut Benno das?« bemerkte ich, und fühlte, wie eine Blutwelle mir ins Gesicht schoß.

»Ja. Aber warum errötest du denn darüber? Du bist ja ganz rot geworden, — wirklich, Adine. Was ist es mit dem Tomasi?« fragte die Mutter ängstlich.

»Aber nichts! Du kennst ihn ja. Wir sind eben Kollegen.«

»Nein, sage mir nur eins: du glaubst doch nicht, daß du dich in jemand verliebt haben könntest in dieser Zeit?«

»Das kann ich wirklich nicht so genau wissen, Mama.«

»Aber Jesus, Kind! so etwas weiß man doch! — —

Nun, übrigens, dann ist es auch nichts,« sagte die Mutter beruhigt, und griff nach ihrem Kleide.

Ich ließ den Kamm sinken und betrachtete im Spiegel nachdenklich mein eignes Bild. Mir fuhr der Gedanke durch den Kopf, daß ich Benno auf seinen eigentümlichen Brief ziemlich wahrheitsgemäß hätte antworten können: »wenn die Gerüchte unrecht haben, und du mit deinen geheimen Zweifeln auch, so ist das nur dein eignes Verdienst. Du hast mich vielleicht auf lange Zeit für mancherlei untauglich gemacht durch den allzu stark gewürzten Wein, den ich bei dir getrunken habe. Dagegen fällt jeder andre Rausch ab.«

Laut sagte ich:

»Ich bin übrigens ganz unschuldig dran, daß ich mich nicht einmal gehörig verliebe. Es ist sonderbar genug.«

»Das kommt, weil du malst, mein Kind,« bemerkte die Mutter so resigniert, daß ich anfing zu lachen.

»Nun ja, wenn du nicht maltest, so würdest du wohl verheiratet sein, — und ich würde einen kleinen Enkel haben!« fügte sie etwas verdrießlich hinzu.

Ich nahm sie beim Kopf und küßte sie. »Ach, beim Malen ist man eigentlich immer etwas verliebt. — — Man malt immer irgend etwas Verliebtes aus sich heraus, scheint mir. — — Aber all das ist so fein und flüchtig und wunderlich, und heiraten läßt es sich nicht. Wie schaff ich dir also einen kleinen Enkel?«

Meine Mutter hatte brummend ihren Kopf freigemacht, sie seufzte nur, und sah schweigend nach dem Kaffeetisch. In ihrem heimlichen Innern war sie so froh, daß wir wieder zusammen dasaßen und unsern Morgenkaffee tranken, daß ihr kein Unsinn, den ich sprach, etwas anhaben konnte. Manchmal mochte sie allerdings ein wenig verwirrt werden über das viele, was ich ihr schon vorgeredet hatte, und was von ihrer Mutterseele ganz friedlich neben ihren eignen Ansichten und Auffassungen beherbergt und verarbeitet wurde. Mutterboden mag wohl ein fruchtbarer Boden sein, worauf die verschiedensten Dinge durcheinander wachsen und gedeihen können, aber Mühe mocht es ihr wohl bisweilen machen, sich in diesem zärtlichen Krautgarten zurechtzufinden, über dem, alles segnend, eine so große Sonne der Liebe schien —.

Nachdem ich mein Frühstück beendet hatte, ging ich sofort zu Benno hinüber. Seine Zimmer waren von denen meiner Mutter durch den weiten, ganz primitiv mit roten Ziegelsteinen ausgelegten Hausflur getrennt, und wurden früher von einem andern der Hilfsärzte bewohnt. Seit längerer Zeit bekleidete Benno eine sehr angesehene Stellung an

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