Eine Ausschweifung - Page 9

Bild von Lou Andreas-Salomé
Bibliothek

Seiten

schaute sie nicht ganz ohne die alte unwillkürliche Bewunderung an, wie sie das so fest und ruhig aussprach.

»Das glaub ich von dir,« erwiderte ich, »mir wärs unmöglich, etwas so gegen meine intimste Umgebung durchzusetzen.«

»Dir —?!« Gabriele lachte; »du hast ja grade dein Ziel gegen deine ganze Umgebung durchgesetzt.«

»Durchgesetzt? — nein, nichts. Alles nur geschenkt bekommen,« bemerkte ich leise.

Sie zuckte die Achseln. »Du bekommst es eben geschenkt, — wir andern müssen es erobern. — — Aber nur eine thörichte Heirat hätte dich aus dem Geleise werfen können.«

»Das könnte auch dir noch passieren, Gabriele.« Sie wurde sehr rot und entgegnete heftig:

»Du meinst doch nicht etwa, daß die Brieger Herren dafür in Betracht kämen? Die sind heute noch genau so schlimm, wie sie damals waren.«

»Wie denn: schlimm?«fragte ich.

»Noch ebenso anmaßend und dünkelhaft und zurückgeblieben in ihren Anschauungen, angefangen vom kleinsten Beamten bis hinauf in die Offizierskreise. Nur die Form ist je nach ihrem Stande verschieden, das Wesen ist dasselbe. Glaubst du, auch nur einer von ihnen ahnte etwas davon, daß wir doch nicht mehr denken wie unsre Mütter und Großmütter? Daß wir nicht mehr lauter Käthchen sind, die wimmern: ›mein hoher Herr!‹ sondern daß wir unser eigner Herr geworden sind? — kurz, daß wir mit den alten knechtischen Vorstellungen aufräumen —.«

»Ach, thun wir das wirklich?« fragte ich ganz erstaunt, »nein, denke nur! wer thut denn das eigentlich?«

»Das weißt du nicht? Adine, du scherzest wohl! Du, die so weit herumgekommen ist, du, die sich so frei entwickelt hat, — ja, was hast du denn die ganze Zeit gethan?!«

»Ich? ich habe ja gemalt!« sagte ich ganz betreten.

»Nun ja, gemalt! Aber während man malt, denkt man doch an etwas! Hast du denn dabei nie über Liebe und Ehe nachgedacht, und wie die sich zu unsern persönlichen Rechten verhält? Das ist sehr unrecht von dir. Und dir lag das doch nah genug: denn eigentlich ist doch deine Verlobung daran gescheitert. Nur daran: denn wenn irgend ein Mann dazu imstande gewesen ist, sich in diesem Punkt vernünftig erziehen zu lassen, so ist es jedenfalls Doktor Frensdorff.«

Ich schüttelte verwundert den Kopf.

»Darin irrst du dich, Gabriele. Seine zauberhafteste Wirkung war seine Tyrannei. Und so ist es wohl meistens.«

Gabriele warf einen forschenden Blick auf mich.

»Du redest wie deine eigne Urgroßmutter!« bemerkte sie kurz.

»Unsre armen Urgroßmütter!« sagte ich lächelnd, »die wußten freilich rein gar nichts von solchen Neuerungen. Die einzige Form ihrer Liebe war wohl Unterordnung, — in dies Gefäß schütteten sie alle ihre Zärtlichkeit. Sollte nicht auch in uns was davon übrig sein? was machen wir dann mit solchem ererbten kostbaren alten Gefäß?«

»Wir stellen es meinetwegen in den Nippesschrank zu andern Kuriositäten, wenn es nicht schon so löcherig ist, daßwir es hinauswerfen müssen,« antwortete Gabriele und stand unruhig auf, »ich hasse alten Plunder! er paßt doch nicht zu den Anforderungen des praktischen Lebens.«

»Vielleicht nicht. Aber er kann den praktischen Gerätschaften so unendlich überlegen sein durch seine Schönheit,« bemerkte ich, stand aber gleichfalls auf, um nicht all das zu sagen, was mir auf dem Herzen lag. »Wir reden darüber heute nicht zu Ende, Gabriele, aber ganz außerordentlich fortgeschritten seid ihr ja hier in Brieg!«

Gabriele kämpfte mit etwas, was ihr nicht über die Zunge wollte. Sie äußerte nur noch zögernd:

»Du bist eben eine Künstlerin, Mine. Ich sage ja nicht, daß du mit Gefühlen spielen würdest, aber ihre Tauglichkeit fürs Leben ist dir doch nicht alles, — wenn sie dich irgendwie künstlerisch anregen. Aber — — du kannst damit leicht Menschen unglücklich machen.«

Sie errötete, ihre Stimme wurde unsicher, und sie ging schnell zu alltäglichern Gesprächsstoffen über. Während wir weiter plauderten, mied sie meinen Blick, und ich den ihren. Aber ich that es ohne die geringste Ahnung von dem, was sich in ihrem Herzen an Befürchtungen regte: sie jedoch begriff aus meinem Schweigen alles. —

Ich verspätete mich bei Gabriele so sehr, daß bei uns meine Mutter und Benno schon mit dem Abendbrot auf mich warteten, als ich herunterkam.

»Das thut mir leid; ich wußte nicht, daß ihr so genau die Minute einhalten müßt,« bemerkte ich etwas erschrocken und nahm eilig meinen Platz am Tisch ein, »wie du siehst, bin ich noch immer unpünktlich, Benno.«

»Es ist nur an mir, mich zu entschuldigen,« versetzte er, ohne mich anzusehen, »denn es ist sehr Iästig, daßman um meinetwillen so genau sein muß. Das ist eben der Sklavendienst. Sklaverei von früh bis spät, und keine Möglichkeit, einmal frei und menschenwürdig aufzuatmen.«

Meine Mutter blickte mit Befriedigung vom einen zum andern, seelenfroh, daß ihre beiden »Kinder« sich in Liebenswürdigkeiten überboten. Sie hatte im stillen davor gezittert, daß wir uns am Ende schlecht vertragen würden.

Ich sah unverwandt Benno zu, wie er zerstreut und hastig aß, was er grade auf dem Teller hatte. Endlich konnt ich mich nicht enthalten zu bemerken:

»Wie seltsam, daß du so von deinem Beruf sprichst, Benno. Grade als ob er dich zum Sklaven, und nicht zum Herrn machte. Oder als ob du ebensogut einen ganz andern Beruf haben könntest, oder auch gar keinen Beruf, oder —«

»— Und warum scheint es dir denn so ganz undenkbar, daß ich einen andern Beruf ausfüllen könnte,« unterbrach mich Benno nervös.

»Warum? Das weiß ich nicht. Ich kann es mir einfach nicht anders vorstellen, als daß du Irrenarzt in Brieg, — oder sonstwo — bist. Ich meine, das ist kein Zufall, sondern ein Beweis, wie dein Beruf mit dir verschmolzen ist.«

Er erwiderte gereizt:

»Es ist vielmehr ein Beweis, wie sehr ein Mensch bei strenger, einseitiger Berufsarbeit verstümmelt, in seiner vollen Entwickelung verkürzt wird. Deshalb nehmt ihr so ohne weitres den Berufsmenschen in uns schon für den ganzen Menschen.«

»Verstümmelt, verkürzt?« wiederholte ich staunend, »aber Benno, entwickelt ihr euch denn nicht dabei so sehr, daß schon die Frauenzimmer es euch neidisch nachthun wollen? Schließlich wählt ihr ja den Beruf.«

»Um in ihm irgend ein paar Fähigkeiten und Fertigkeiten auszubilden, — ja,« fiel er ein, »um mehr als das zu thun, dazu gehört Zeit und Geld, also ist es nur für die wenigsten. Was meinst du wohl, was von unserm ganzen nicht beruflichen Innenleben zur Entwickelung kommt, wenn man in solchem Zeitmangel lebt, wie etwa ich gelebt habe? Mir kommt es vor,

Seiten