Eine Ausschweifung - Page 12

Bild von Lou Andreas-Salomé
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Dürftigkeit, aus der Dunkelheit zu dir wie ins Licht. — — Sieh, warum soll das auch nicht sein? Es sind ja grade solche Frauen, die uns vor der Seelenöde retten, die unsre Berufsmonotonie ergänzen —. Im Beruf, da mögen wir ja die Ueberlegenen sein, mögen bestimmen, befehlen, unterweisen, was uns unterstellt ist, — aber der Frau gegenüber, die wir lieben: glaube mir, da fällt dieser schlechte Ehrgeiz fort. Da werden wir wieder gut und einfach und Kinder, und wollen uns gern beschenken, uns gern die schönsten Träume erzählen lassen, — mit unserm Kopf in eurem Schoß.«

Ich hatte mich in dem Sessel niedergelassen, die Arme aufgestützt und das Gesicht in den Handflächen vergraben. Er sollte mir nicht in das Gesicht sehen, das nichts zu verschweigen verstand. Er sollte nicht sehen, wie seine Worte auf mich wirkten — gleich einem feinen, Iangen, schmerzenden Stich durch alle Nerven.

Eine staunende und enttäuschte Traurigkeit legte sich über mich, als er so von seiner Liebe sprach, — eine Traurigkeit, als gölte diese Liebe gar nicht mir, sondern als liebte er sozusagen an mir vorbei ins Leere hinein.

Als ich noch immer schwieg, kam Benno näher, setzte sich mir gegenüber an das Kaminfeuer und sagte nach einer Pause:

»Siehst du, von diesen innern Umwälzungen ist auch meine äußere Existenz beeinflußt worden. Du mußt nicht denken, daß ich ewig hier bleiben will. Ich will nicht den Direktorposten hier, und habe Aussichten in einer größern Stadt — —. Nun, davon ein andres Mal. Ich wollte dir nur sagen, weshalb ich hier so unsinnig viel gearbeitet habe, — du dachtest wohl, weil ich ganz aufgegangen wäre hier im Winkel. Aber das ist nicht so. Mit einem Ziel vor Augen, einem einzigen Ziel, hab ich wie verrückt gearbeitet — und auch gespart und gegeizt, — der reine Hamster —.« Er bückte den Kopf gegen das Feuer und lächelte ein wenig: es sah beinah kindlich froh aus.

Ich hatte die Hände sinken lassen und schaute auf ihn, und eine unaussprechliche Weichheit kam über mich. Ich sah den blonden Kopf mit dem gelichteten Haar an den Schläfen, dem nervösen Zug um den Mund, und mit dem etwas angestrengten, gespannten Ausdruck, der fast nie mehr von seinem Gesichte wich. Und ich sah vor mir die Oede, durch die er gewandert war, die Summe von Arbeit und Einsamkeit, die hinter ihm lag. Wie ein neuer, zuvor nie in seiner Wirklichkeit von mir geschauter Mensch kam er mir vor; der »gepanzerte« Mann meiner Backfischromantik legte seine Rüstung ab, und dahinter stand ein kindguter, liebebedürftiger Mensch, der keinen, — nein keinen, mit hartem Fuß niederzutreten vermöchte.

»Um den Hals fallen sollte man ihm, und ihm alles Liebe anthun!« dachte ich weich und erschüttert. Aber in meinem Herzen blieb dennoch dieselbe große Traurigkeit und Enttäuschung, wie wenn er mir etwas Bitteres zu leide gethan hätte.

Er stand in seiner Unruhe wieder auf und sagte befangen:

»Was es mich damals gekostet hat, — nur deine Mutter weiß es, was es mich gekostet hat, dich fortzulassen. Du durftest es ja nicht wissen. Und um deinetwillen mußte es sein. Ich schuldete deinen Eltern so viel, — ich hätte ja auch nie um dich zu werben gewagt, — ich konnte dich nicht kranken und verkümmern lassen. Jetzt, — jetzt würd es anders sein, Adine.«

»— Benno —!« sagte ich leise, verwirrt, wie gestern, und auch in abwehrender Furcht wie gestern, vor den Worten, die nun kommen mußten. Aber es war doch nicht dieselbe Furcht, und nichts erzitterte in mir dabei in lähmendem Unterliegen, und nichts durchschauerte mich, wie gestern. Ich dachte in diesem Augenblick überhaupt nicht an mich, sondern nur allein an ihn, und alles, was ich fürchtete, war, ihn leiden zu sehen, ihm weh thun zu müssen.

Nie, noch nie bin ich ihm menschlich, in menschlicher Anteilnahme, mitempfindend so nahe gewesen, — nie aber auch war ich gleichzeitig so fern von ihm, so weit, weit fort, — als Weib.

»Ja, vielleicht hast du recht!« sagte ich atemlos, überstürzt, und richtete mich auf, »— vielleicht hätten wir von allem Anfang an anders miteinander verschmelzen können, ohne Kampf, ohne Hemmnis, auch ohne Unterordnung oder Ueberordnung des einen oder des andern! Einfach in der Freude und im Rausch unsrer frischen Jugend. Ja vielleicht! Vielleicht giebt es eine solche Liebe, und ist sie möglich und ist sie schön,« — ich stockte, und ein Schmerz, den ich selbst nicht begriff, machte mir die Brust eng; ich fügte mühsam hinzu: »— aber das ist verscherzt, das ist für mich zu spät —«

»Nein, — nicht! bitte, sage nichts!« bat er hastig und durch meinen plötzlichen Ausbruch erschreckt, »—du sollst gar nicht so übereilt — du sollst dir Zeit lassen, — prüfen — ; nur mir von der Seele sprechen mußt ich es gegen dich —«

Er brach ab, weil im anstoßenden Wartezimmer eine Thür knarrte; ein leichtes Geräusch, wie von einem Stock, der den Boden berührte, wurde hörbar.

Benno blickte unruhig auf die kleine Standuhr auf dem Kaminsims.

»Unmöglich kommt sie so früh,« murmelte er verwirrt, »ich habe ihr doch gestern abend die Stunde genannt.«

Doch schon pochte es leise, und er öffnete die Thür ins Wartezimmer. Vor ihm, ganz hell vor Freude, Erwartung und Ungeduld, stand die kleine Baronesse.

Sie begrüßte mich wie eine alte Bekannte, ohne irgend etwas von der Benommenheit zu merken, worin sie Benno und mich vorfand; sie war dazu selbst zu benommen.

»Wir sind gestern schon ganz schnell die besten Freunde geworden,« erklärte ich Benno, der ihr den Krückstock aus der Hand nahm und ihr den bequemsten Sessel heranrückte.

»Das wundert mich gar nicht,« erwiderte er mit der ruhigen und beruhigenden Stimme, die er als Arzt zur Verfügung zu haben schien, wie eine bereitliegende Maske, »du würdest auch in ganz Brieg schwerlich einen zweiten Menschen finden, mit dem du so gut zusammenpaßt, wie die Baronesse Daniela.«

»Nicht in allem!« sagte die kleine Verwachsene lächelnd, »man dürfte uns zum Beispiel schon nicht zusammen auf der Straße sehen; wie schön würd ich da nachhumpeln müssen.«

Benno warf ihr durch seine Brille einen forschenden Blick zu.

»Grade deshalb!« bemerkte er, »denn wären Sie so schlank gewachsen wie eine Tanne im Walde, so würden Sie in

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