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Närrischwerden. —
Ganz nah am Hotel standen ein paar Droschken. Die ledernen Verdecke waren herabgelassen, ein feiner Regen fing an, vom Himmel niederzurieseln. Im einförmig grauen Morgenlicht hasteten ein paar Zeitungsverkäufer, ein verschlafener Bäckerjunge vorüber. Die Straße entlang klapperte ein Gemüsekarren.
Ehe es Fenia noch gelang, den Kutscher auf seinem Bock wachzurufen und in den Fiaker einzusteigen, waren sie schon zur Stelle, Max Werner und der Spitz, letzterer in höchster Aufregung dazwischen bellend.
»Hören Sie mich an!« sagte er atemlos zu Fenia und half ihr unter das Verdeck zu gelangen, »hören Sie mich an! sehen Sie mich an! Nein, — sehen Sie mich nicht an,« verbesserte er sich, seines verwirrten Aussehens, seines hutlosen Kopfes gedenkend, — »aber Sie sehen ja, daß ich über meine eigne, wahnsinnige Dummheit außer mir bin! Sagen Sie mir, daß Sie mir verzeihen, — sagen Sie mir ein Wort, — gehen Sie nicht so, — ich meine: fahren Sie nicht so.«
Er wußte durchaus nicht mehr, was er eigentlich sagte.
Der Kutscher war schwerfällig vom Bock geklettert, hatte seinem Pferde den Futtereimer abgehängt, nahm dem Tier die Schutzdecke vom Rücken und faltete sie bedächtig.
Fenia schaute indessen unter dem Schirmdach des Verdeckes hervor, in sich zusammengeschmiegt wie eine weiche Katze, und sah Max Werner ganz groß und ernst an.
»Verzeihen?« wiederholte sie, — »ich will Ihnen noch mehr sagen: da ist gar nichts zu verzeihen. Denn ich bin ebenso dumm gewesen wie Sie, indem ich Ihnen folgte, ohne Sie und Ihren Speisesaal auch nur ein bißchen zu kennen. Ja, das war sehr dumm, und so sind wir quitt, denn Sie sind auch nur so dumm gewesen, weil Sie mich nicht kannten. — Wir haben beide dieselbe Entschuldigung dafür, daß wir es nicht besser wußten. — Denn obgleich ich so viel unter Männern gewesen bin, sehen Sie, so hat es sich für mich immer so glücklich getroffen, daß es immer die anständigsten Männer von der Welt waren. Ja wahrhaftig. Sie sind der erste unanständige — Mann, den ich —«
Sie brach ab, wie selbst erschrocken über das beleidigende Wort, womit ihre lange Rede abschloß. Der Kutscher war auf den Bock gestiegen, der Gaul zog an, und Fenia drückte sich errötend ins Dunkel des Verdecks, während der Fiaker mit ihr davonrasselte.
Max Werner stand auf dem Straßendamm und fuhr mechanisch, mit düsterm Gesicht, nach seinem Kopf, um den Hut zu lüften, — der nicht darauf saß.
In den darauffolgenden Tagen drängte es ihn sehr, Fenia aufzusuchen oder ihr zu schreiben, doch zauderte er immer wieder und unterließ es. Erst nach längerer Zeit, als er schon mit einigem Humor an seine Eselei zurückdachte, that er es trotzdem; aber da war Fenia, — Fiona Iwanowna Betjagin hieß sie, — bereits wieder nach Zürich abgereist.
Indessen schien es des Schicksals Wille, daß sie sich wiederfinden sollten, als sie beide längst nicht mehr dran dachten.
Ein Jahr ging hin. Max Werner verbrachte es, nach seiner Rückkehr aus Paris, in der österreichischen Heimat, wo ihn seit einiger Zeit etwas Liebes festhielt und seine Reiselust merklich abschwächte. Da erhielt er eines Tages einen Brief seiner einzigen Schwester, die sich den letzten Monat bei einer nach Rußland verheirateten Freundin auf deren Gut aufgehalten hatte: sie zeigte ihm ihre Verlobung mit einem in der Nähe von Smolensk begüterten Landedelmann an, und sandte ihm zugleich einen schönen Gruß von Fiona Iwanowna Betjagin, — einer Verwandten ihres zukünftigen Mannes, die im Auslande studiert und kürzlich promoviert habe.
Tief im Winter, Mitte Januar, reiste Max Werner zur Hochzeit seiner Schwester in die russische Provinz. Dort, auf dem Gut von deren Freunden, wo eine Unmenge fremder Gäste untergebracht waren, sah er mitten im Trubel der festlichen Vorbereitungen Fenia wieder.
Als er sie zuerst erblickte, hätte er sie fast nicht wiedererkannt, obgleich er nicht hätte sagen können, worin die überraschende Veränderung gegen den Pariser Eindruck liegen mochte.
Fenia saß in lässiger Haltung zwischen einigen Bekannten, ihre rechte Hand in träger Gebärde mit der Innenfläche nach oben gekehrt im Schoß, und seltsam festlich und feierlich im leuchtenden Weiß ihres seidenen Kleides. Während sie heiter lachte und sprach, sah sie doch zerstreut aus, als verträumten sich ihre Gedanken ganz wo anders hin.
Ihre Gestalt schien voller herangeblüht zu sein, in allen ihren Bewegungen lag etwas Weiches, Abgerundetes, was sie nicht besessen hatte, und was ihr eine harmonische Schönheit gab. Fenia war schöner geworden, als zu erwarten stand.
Ja, schöner, — doch den beunruhigenden Reiz von damals übte sie nicht mehr auf Max Werner aus, — das Widerspruchsvolle, Geheimnisvolle, was ihn damals an der fremden Studentin anzog und abstieß, schien von ihr abgestreift zu sein, seitdem das Weib, das er so unruhig in ihr gesucht hatte, in ihrem Aeußeren voller hervorgetreten war.
Das fühlte er trotz der herzlichen Freude, womit er sich von Fenia bewillkommnet sah. Sie begrüßte in ihm sogleich den neuen Verwandten, und beide lachten sie miteinander über ihren gemeinsamen verblichenen Pariser »Liebesroman«, der gar so kurz gewesen.
Bei der Hochzeitstafel setzte Fenia ihn neben sich, und sie tranken, zugleich mit vielen andern Paaren, sogar Brüderschaft, an der jedoch nie ordentlich festgehalten wurde, Max Werner fiel der große Ernst auf, womit Fenia ihm alle Einzelheiten und deren Bedeutung während der griechisch-katholischen Trauung, die der protestantischen folgte, zu erklären bemüht war. Ihn interessierten wohl die verschiedenen Zeremonien, die er da sah, doch konnte er eine etwas ketzerische Bemerkung über ihre Ueberflüssigkeit nicht unterdrücken.
»Ueberflüssig?!«sagte Fenia erstaunt, fügte jedoch schnell hinzu: »nun freilich, für einen Fremden, der’s mitmachen muß. Für mich ist es gradezu köstlich, so unterzutauchen in Weihrauchduft und Gesang und Kindheitserinnerungen. Ich bin ja so viele Jahre fortgewesen.
— — Und jetzt erst fühle ich mich wieder zu Hause, wo all dies Altvertraute wieder um mich ist. — — Rußland hat auch darin den großen Vorzug vor andern Ländern, daß man ganz sicher ist, alles auf dem alten Fleck wieder vorzufinden. Da ist kein Hasten von Fortschritt zu Fortschritt, — es ist alles jahraus, jahrein dasselbe.«
Ueber dies vaterländische Kompliment mußte Max Werner lachen.
»Auch ein Grund, seine Heimat zu verehren!« bemerkte er heiter, »aber in diesem besondern Fall — denken Sie — denkst du — doch auch nicht mehr wie einst als Kind.