Fenitschka - Page 3

Bild von Lou Andreas-Salomé
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den äußeren Deckmantel abgab für ein ganz freies Leben? Sie mußte doch schon recht viel von der Welt und den Menschen kennen, — mehr als eines der wohlbehüteten jungen Mädchen unsrer Kreise.

Immer wieder schweiften seine Augen und seine Gedanken zu ihr hinüber, von der er argwöhnte, sie halte sich eine höchst kluge und gelungene Maske vor. Steckte nicht hinter diesem Nonnenkleidchen, das unter den andern Toiletten fast auffiel, etwas recht Leichtgeschürztes, — hinter diesem offenen, durchgeistigten Gesicht nicht etwas Sinnenheißes, worüber sich nur ein Tölpel täuschen ließ? — Spielte nur seine eigne Phantasie ihm einen Streich, oder erinnerte Fenia nicht an die Magerkeit, Geistigkeit und stilisierte Einfachheit einer modern präraphaelitischen Gestalt, die so keusch ausschauen will, und doch geheimnisvoll umblüht wird von verräterisch farbenheißen, seltsam berauschenden Blumen — —?

Jedenfalls ging etwas Aufregendes von Fenia über ihn aus und reizte ihn stark, trotz der Abneigung, die ihm damals jede studierende oder gelehrte Frau einzuflößen pflegte. Ja, er nahm’s fast als Beweis, daß Fenia nur zum Schein eine solche sei —.

Beim Verlassen des Restaurants wurde noch der Vorschlag laut, die lange Nachtschwärmerei mit einer Fahrt ins Bois de Boulogne abzuschließen, aber ein vielstimmiges Gähnen protestierte dagegen. Uebrigens ließ sich auch an keiner Straßenecke ein Fiaker blicken. Endlich entschloßman sich, zu Fuß den Heimweg anzutreten, jeder Herr begleitete eine der Damen nach Hause, und Max Werner gelang es, Fenia auf seinen Anteil zu bekommen.

Schon drang die Sonne durch den Morgennebel und übergoß Paris mit jenem köstlichen Frührotschein, den die feuchte Luft über den Ufern der Seine erzeugt.

»Das ist ganz herrlich!« rief Fenia und blieb mitten auf der Straße stehn, setzte aber sogleich sehr prosaisch hinzu:

»Wenn ich jetzt eine Tasse starken Kaffee bekommen könnte! Dann brauchte ich mich zu Hause nicht erst niederzulegen, und der Tag wäre nicht verloren.«

»Sie sehen nicht müde aus, sondern ganz wunderbar klaräugig,« bemerkte er und sah sie an, »es wird Ihnen offenbar leicht, eine Nacht nicht auszuruhen.«

Sie nickte.

»Ich bin’s gewöhnt,« sagte sie, »ich habe vorzugsweise nachts bei den Büchern gesessen. Wenn’s um einen her so still ist —«

»Das klingt doch wirklich rein wahnsinnig, wenn man ein junges Mädchen so etwas sagen hört,« erwiderte er fast gereizt, denn es mißfiel ihm heftig, »ich, so wie ich hier stehe, bin eben erst der Bücherstudiererei entlaufen wie dem ärgsten aller Frondienste. Und Sie — ein Weib — spannen sich freiwillig hinein.«

»Warum soll denn das ein Frondienst sein?« sie blickte erstaunt auf — »das, was unsern Gesichtskreis erweitert, uns das Leben aufschließt, uns selbständig macht —? Nein, wenn irgend was in der Welt einer Befreiung gleicht, so ist es das Geistesstudium.«

»Sie ist imstande und benutzt diesen Heimweg, — mitten auf der Straße, im Morgennebel, — zu einem philosophischen Disput über den Wert des Geistesstudiums für das Leben!« dachte er fast erbittert, und entgegnete im Brustton seiner festesten Ueberzeugung:

»Aber, mein Fräulein! da irren Sie sich nun wirklich! Es ist im Gegenteil das Beschränkendste, Einschränkendste, was es auf der Welt giebt! Und eigentlich versteht sich das ja von selbst. Die Wissenschaft führt an der Wirklichkeit des Lebens, mit all seinen Farben, all seiner Fülle, seiner widerspruchsvollen Mannigfaltigkeit, völlig vorbei, — sie erhascht von alledem nur eine ganz blasse, dünne Silhouette. Je reiner, je strenger und sicherer ihre Erkenntnismethoden sind, desto bewußter und größer dann auch ihr Verzicht auf das volle, das wirkliche Erfassen selbst des kleinsten Lebensstückchens. — — Deshalb ist der Wissenschafter, der ihr dient, an so viel Selbstkasteiung gebunden, an so viel bloße Schreibtischexistenz und geistige Bleichsucht.«

Während er redete, überlegte er sich zugleich, daß der Weg bis zu Fenias Hotel sehr kurz sei, und machte deshalb auf alle Fälle einen Umweg, obwohl der Himmel sich bezog. Sie bemerkte auch gar nichts davon, weder von der Himmelstrübung noch vom Umweg.

»Für uns Frauen, — für uns, die wir erst seit so kurzem studieren dürfen, ist es durchaus nicht so, wie Sie da sagen,« widersprach sie, ganz eingenommen von ihrer Sache; »für uns bedeutet es keine Askese und keine Schreibtischexistenz. Wie sollte das auch möglich sein! Wir treten ja damit nun grade mitten in den Kampf hinein, — um unsre Freiheit, um unsre Rechte, — mitten hinein in das Leben! Wer von uns sich dem Studium hingiebt, thut es nicht nur mit dem Kopf, mit der Intelligenz, sondern mit dem ganzen Willen, dem ganzen Menschen! Er erobert nicht nur Wissen, sondern ein Stück Leben voll von Gemütsbewegungen. Was Sie von der Wissenschaft sagen, klingt so, als sei sie nur noch die geeignetste Beschäftigung für Greise, für abgelebte Menschen. Aber vielleicht seid nur ihr greisenhaft. Bei uns begeistert sie die Starken, die Jungen, die Frischen!«

»Ja, wissen Sie denn, was das beweisen würde, wenn es wirklich so ist?« fragte er ärgerlich, und studierte dabei mit verliebtem Wohlgefallen den Ansatz des braunen Haares an ihren Schläfen, der eine reizende kleine Linie bildete; »es beweist einfach, daß Ihr Geschlecht zurück ist, daß es da lebt, wo wir vor Jahrhunderten standen. Etwa da, wo wir für jede wissenschaftliche Erkenntnis auf den Scheiterhaufen gerieten, oder mindestens in öffentlichen Verruf. Damals hatte allerdings das Leben für die Wissenschaft noch etwas verdammt Charakterstählendes und zog die ganze Existenz eines Menschen in die abstraktesten Erkenntnisfragen hinein. Aber solange das so ist, ist auch die feinste geistige Kultur noch nicht möglich, — die Kultur von heute, die über den Dingen schwebt, — und von der die Frauen nichts wissen, wenn sie studieren.«

»Aber wenn sie nicht studieren?« fragte sie spottend.

»Jawohl. Dann bekommen sie durch den Mann eine Ahnung davon.«

»Bitte, — wo sind wir?«unterbrach mich Fenia, und blieb stehn.

»Werden Sie nicht böse! Im Eifer des Gefechts sind wir von der kürzesten Heimwegslinie abgewichen.

— — Aber ich wußte wohl: hier muß schon ein kleines Lokal offen sein, wo Sie Kaffee bekommen können,« fügte er schnell hinzu und führte sie ein paar Schritt weiter, — »ich konnte nicht vergessen, daß Sie so schmerzlich nach Kaffee verlangten.«

Das kleine Café, vor dem sie standen, wurde allerdings grade geöffnet. Aber auf so frühe Besucher war es noch keineswegs eingerichtet. Der Besen, der drinnen über die Dielen fuhr, fegte ihnen mächtige Staubwolken entgegen, und

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