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Diese langen Trauungszeremonien sind ihres tieferen Sinnes ja doch entkleidet.« Fenia schüttelte den Kopf.
»Durchaus nicht! im Gegenteil! Streift man die äußere Form ab, was ist der tiefere Sinn? Er lautet etwa: da sind zwei Menschen, die sich zusammenthun wollen für immer, — vermutlich weil sie sich lieben, — aber nicht nur zum Zweck ihrer persönlichen Verliebtheit, sondern zu einer gemeinsamen Aufgabe, — sozusagen im Dienst eines Höheren, Dritten, worin sie sich erst unlöslich verbinden. Sonst ist die ganze Unlöslichkeit zwecklos. Nein, sie wollen darin über das nur Persönliche, rein Gefühlsmäßige hinaus, — ob sie es nun Gott nennen, oder Heiligkeit der Familie, oder Ewigkeit des Ehebündnisses, — das gilt dafür gleich. — —
In jedem Fall ist es etwas andres, — auch etwas durchaus Anderwertiges, als nur Liebe zwischen den Geschlechtern.«
»Mein Gott, Fenia Iwanowna!« sagte Max Werner ganz konsterniert, »Sie können einem wahrhaftig das ganze Heiraten verleiden! Mir läuft förmlich eine Gänsehaut über den Rücken. Zum Glück irren Sie sich.
Unlöslich ist die Geschichte wenigstens nicht. Es giebt ja doch Aussicht auf Scheidung —«
Fenia zuckte die Achseln.
»Mag sein — bei euch. Da drückt eben die Form den Inhalt nicht mehr voll aus. Hat also auch die ihr zukommende Schönheit und Feierlichkeit nicht mehr. Da kann ich mir ganz gut denken, daß ihr vielleicht leichtsinniger drauf los heiratet. — — Wir aber, — — ehe wir es thun, werfen wir uns auf die Kniee — ganz so, als ob wir das Entgegengesetzte thun und auf Lebenszeit unsre persönlichen Genußrechte in einem Kloster aufgeben wollten.«
Es war Max Werner noch ebenso angenehm und anregend wie früher, mit Fenia zu disputieren, wenn ihre Meinungen auch ebenso aufeinanderstießen wie damals in Paris. Aber wie in ihrem Aeußeren erschien Fenia ihm auch in ihren Meinungen jetzt weit frauenhafter als früher, und vielleicht bewirkte es grade dieser Umstand, daßsie sich in der kurzen Woche fast unausgesetzten Zusammenseins schließlich eng befreundeten.
Die einfache Schwesterlichkeit ihrer Umgangsformen, die er damals mit so argwöhnischen Augen angesehen hatte, wurde ihm hier im fremden Lande unendlich sympathisch, und sehr bald erkannte er auch im Schlichten, arglos Vertrauenden des Benehmens einen spezifisch slavischen Zug der Mädchen und Frauen. Fenia unterschied sich von den andern nur wenig, — am wenigsten durch den Umstand, daß sie ein so langes Studienleben geführt hatte. Der Ausdruck ihres Naturwesens war viel stärker als irgend etwas Angelerntes.
Endlich kam es sogar dazu, daß Max Werner Fenia den größten Vertrauensbeweis gab, indem er ihr andeutete, was ihn jetzt so ganz an seine Heimat fesselte und ihn dahin zurückzog. Sie erfuhr, daß er seit Jahresfrist heimlich verlobt sei.
Er gestand es ihr während einer großen Schlittenpartie, die alle Gutsgäste gemeinsam bei prachtvollem Winterwetter in die verschneite waldreiche Umgebung unternahmen. Fenia und ihr deutscher Freund kamen zusammen in eine der niedrigen zweisitzigen »Salaski« zu sitzen, die beim hellen Schellengeklingel der flinken kleinen Pferde pfeilschnell über die hartgefrorene Schneefläche dahinsausten.
Auf Max Werners Geständnis bemerkte Fenia mit lebhaftein Interesse:
»Eine wirklich ganz ›heimliche‹ Liebe? Ich meine so, daß wirklich niemand, selbst die Nächsten nicht, etwas davon ahnt? Das muß ja sehr schwer durchzuführen sein.«
»Das ist es auch. Doppelt schwer, weil Irmgard eine Norddeutsche ist und das Leben nichts weniger als leicht nimmt. Jede Heimlichkeit jagt ihr hinterher tagelanges Entsetzen ein. Kleiner norddeutscher Adel, der in alten, festen Familientraditionen groß geworden ist.«
»Wie sind Sie denn miteinander bekannt geworden?« fragte Fenia, »denn Sie, mein Lieber, machen doch umgekehrt einen leichtlebigen Eindruck auf uns junge Mädchen.«
»Bitte, bitte! Ich bin nicht immer wie in Paris. Für Irmgard war ich anfangs eine Art Ausweg und Rettung aus der etwas engen geistigen Atmosphäre ihres Hauses. Damit fing es an.«
»Und deshalb hält Ihre Braut Sie für einen Tugendbold?« fragte Fenia spottend.
»O nein! Sie hält mich im Gegenteil für viel schlimmer, als ich bin. Das ist meistens so. Aber das schreckt sie nicht ab. Sie liebt wie eine Königin, die gewählt, ohne zu verlangen. Das ist die trotzigste Art von Mädchenstolz.«
»Doch nur eine Maskerade für lauter übergroße Demut,« fiel Fenia lebhaft ein, »— ach, wie deutsch ist das! Aber da bringt sie Ihnen doch lauter Opfer. Leiden Sie denn nicht darunter?«
Max Werner machte unter seiner geliehenen Pelzkappe ein verlegenes und pfiffiges Gesicht.
»— Leider nein!« bemerkte er kleinlaut. »In dieser Selbstüberwindung und stolzen Demut liegt etwas, was unsereinen entzückt. Es steigert die gegenseitige Liebe, glaub ich —.«
Fenia schwieg einige Minuten. Irgend ein Gedanke schien sie zu beschäftigen. Dann äußerte sie plötzlich:
»Und trotzdem, — trotz all diesen schwierigen Umständen, — will sie Sie noch nicht heiraten?«
Max Werner sah so verblüfft aus, daß Fenia zu lachen anfing.
»— Nicht heiraten —? ja, wie denn? Das ist ja nur — — eigentlich bin ich ja doch nicht recht in der Lage dazu,« entgegnete er, noch immer ganz verdutzt von dieser unerwarteten Auffassung, » — sie würde natürlich gern so bald als möglich —. Ich habe meinen sehr kleinen Vermögensanteil früher schon so sehr zu Reisen und Studienzwecken angegriffen, daß ich erst eine Professur haben müßte.«
Fenia verfiel in Nachdenken. Sie saß mit gesenktem Gesicht, als horche sie aufmerksam auf das Schellengeklingel der Schlittenpferde. Aber es mußten liebe und angenehme Betrachtungen sein, die sie hegte, denn sie saß so glücklich in sich zusammengesunken da, und auf ihrem von der Kälte rotgehauchten Gesicht blieb ein Lächeln stehn —.
Nach den letzten Hochzeitsfeierlichkeiten reiste Max Werner zusammen mit Fenia nach St. Petersburg, wo er sich noch etwas umsehen wollte, ehe er nach Deutschland zurückging. Fenia mietete sich in einer maison meublée des Rewskij Prospekts ein, um sich in Ruhe für ihre künftige Lehrthätigkeit vorzubereiten. Ihn führte sie gleich bei ihren einzigen Petersburger Verwandten ein, ins Haus ihres Onkels, des Mannes einer verstorbenen Schwester ihrer Mutter, weil man dort deutsch sprach und deutsche Interessen pflegte. Der Onkel war von baltischem Adel, Admiral in russischem Dienst und unterhielt mit seinen drei Töchtern die gastfreieste Geselligkeit.
Den größten Teil der ersten Tage seines Aufenthalts widmete Max jedoch eingehenden Besichtigungen der Hauptstadt. Einmal, nachdem er so lange in den Kunstsälen der Eremitage verweilt hatte, als das spärliche Winterlicht irgend zuließ, verlangte es ihn nach einem ausgiebigen Spaziergang, und so ging er noch den