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und vorgeneigtem Kopfe auf, und seine Blicke blieben darauf ruhen. Noch immer hatte sie die Vorliebe für dunkle, schlichtfallende Kleider, und noch immer trug sie ihr Haar in zwei lichtbraunen Flechten kranzförmig um den Kopf geschlungen.
Irgend etwas trieb ihn, sich ihre ein wenig gezwungene Haltung gelöst zu denken, passiv geworden, — er meinte vor sich zu sehen, wie ihre Hände den Vorhang zusammenfassen und vor das Gesicht ziehen, — wie der Kopf sich tiefer und tiefer herabneigt in die schweren tiefrotschimmernden Falten, — wie der Rücken gebeugt ist, — die Schultern weiche, gleitende Linien bekommen, — bis die ganze Gestalt in sich gesunken dasteht und, das Antlitz im Vorhang geborgen, weint. —
Es war wie eine Zwangsvorstellung, aber nicht durch seelische Eindrücke oder Mutmaßungen hervorgerufen, sondern wie ein malerischer Zwang, der in den Linien lag, die durchaus in dieser Weise zusammenfließen wollten, — hartnäckig, alle Wirklichkeit fälschend.
Aber dafür ging von dem Illusionsbilde eine fast seelische Wirkung aus, — etwas von dem widerspruchsvollen Zauber, den Fenia ursprünglich für ihn besessen hatte. —
Er fuhr sich über die Augen, die zu schmerzen anfingen, — nervös geworden. Da sagte mitten in das Schweigen hinein Nadeschda in ihrem fest anerzogenen, ihr eingewöhnten Bewußtsein, daßes schicklich sei, sich irgendwie zu unterhalten:
»Heute abend muß draußen herrliches Wetter sein.« Fenia wandte sich rasch zu ihr um.
Die Hände unwillkürlich noch ausgebreitet, den Vorhang wie einen schweren Flügel hinter ihrem Rücken, stand sie da, ein Bild sorgloser Gesundheit und lächelnder Freude, und rief hell:
»Bitte, Onkel Mischa! nehmen wir eine große Troika und fahren wir Schlitten!«
Das Hotel de Paris, wohin Max Werner bei seiner Ankunft in Petersburg geraten war, befand sich zur Zeit grade im Zustand einer teilweisen Renovierung, weshalb man seine schönsten Zimmer, diejenigen mit der Aussicht auf den Isaaksplatz und die Isaakskathedrale, sämtlich gesperrt hielt. Infolge der daraus entstandenen Ueberfüllung in den übrigen Räumlichkeiten sah er sich auf einen Winkel angewiesen, wo er, eingeklemmt zwischen einem Ungetüm von Ofen und einem fest verklebten, unaufschließbaren Fenster, fast zu ersticken meinte. So zog er denn an einem der folgenden Tage aus, und fand schließlich in einem echt russischen Gasthof, der »Ssewernaja Gostiniza«, auf dem entferntern Teil des Newskijprospekts ein ihn ansprechendes, preiswürdiges Zimmer mit viel Licht und freiem Blick über den weiten Platz vor dem Moskauer Bahnhof.
Den Abend nach seinem Umzug dorthin passierte ihm etwas Seltsames.
Müde der Kramerei und der Scherereien des Nachmittags, flanierte er ganz ohne Ziel ein gutes Stück jenes Newskijendes hinab, dessen unbelebte Straße er kürzlich vom Moskauer Bahnhof bis zum Alexander-Newskijkloster hin mit Interesse studiert hatte.
Da, etwa zwanzig Minuten vom Kloster, in dieser des Abends völlig vereinsamten Gegend, hält ein Schlitten mit drei Pferden und klingelnden Schellen am Trottoir.
Ein Paar ist im Begriff hineinzusteigen. Der Herr groß, elegant gewachsen, in eng anliegendem kurzem Pelz, — die Dame von Fenias Wuchs, mit Biber an Kragen, Muff und Mütze.
Sie wendete Max Werner beim Einsteigen den Rücken zu. Nur sekundenlang erhaschte er ein Stückchen verlorener Profillinie im Licht der hier nur spärlich brennenden Gaslaternen, — und doch! — es mußte Fenia sein!
Er zweifelte nicht daran, — ja, er zweifelte so wenig, daß er nicht wagte, seinen Schritt anzuhalten, oder sie anzurufen, oder zu grüßen, — und im nächsten Augenblick sauste der Schlitten in der Richtung des Klosters nach den Stadtgrenzen hinaus.
Er zog die Uhr. Es war elf vorüber.
Eine ungeheure Spannung bemächtigte sich seiner. Fenia! sollte Fenia ihn zum zweitenmal in seinem Leben zum Dummen gemacht haben, — dieses Mal im entgegengesetzten Sinn wie damals? Er war jetzt genau so geneigt gewesen, in Fenia nur das herb Unschuldige zu sehen, als sei es ein für allemal ihre Eigenart und Signatur, wie er in Paris geneigt gewesen war, dahinter ein besondres Raffinement zu wittern.
Warum nur? Warum hatte er in beiden Fällen ihr Wesen so typisch genommen, so grob fixiert? fragte er sich. Es war ganz merkwürdig, wie schwer es fiel, die Frauen in ihrer reinmenschlichen Mannigfaltigkeit aufzufassen, und nicht immer nur von der Geschlechtsnatur aus, nicht immer nur halb schematisch. Sei es, daß man sie idealisierte, oder satanisierte, immer vereinfachte man sie durch eine vereinzelte Rückbeziehung auf den Mann. Vielleicht stammte vieles von der sogenannten Sphinxhaftigkeit des Weibes daher, daß seine volle, seine dem Mann um nichts nachstehende Menschlichkeit sich mit dieser gewaltsamen Vereinfachung nicht deckte.
Am nächsten Morgen war es Max Werners erster Gedanke, Fenia einen Besuch zu machen.
Sie wohnte etwa eine halbe Stunde den Newskijprospekt weiter zur Admiralität hinauf in einem ganz aus chambres meublées bestehenden Hause. Unten im behaglich durchheizten Treppenraum, der oft eleganter zu sein pflegt als die Wohnungen selbst, nahm ein Portier mit prächtigen Silberlitzen auf seiner Livree den Ankommenden die Pelze ab. Auf der teppichbelegten Treppe begegnete man auch gewöhnlich der Wirtin, einer Provinzlerin in losem, weit nachschleppendem Kattunrock, die hier von früh bis spät umherstrich und überall eine gewisse Unruhe und Unordnung um sich verbreitete. Außer ihrem Russisch radebrechte sie nur noch ein fehlerhaftes Französisch, Deutsch war ihr gänzlich fremd.
Fenia besaß einen eignen Eingang von der Treppe in ihr Wohnstübchen, das sich in ein schmales Schlafgemach öffnete. Das Fenster war ganz vollgestellt mit schönen Blattpflanzen, die in der gleichmäßigen russischen Zimmertemperatur so vortrefflich gedeihen. Neben dem Fenster, über eine Näharbeit gebeugt, saß Fenia, als Max Werner eintrat.
Sie blickte auf und streckte ihm mit Herzlichkeit die Hand entgegen.
»Das ist schön, daß Sie kommen, Setzen Sie sich dorthin. Ich meinte gestern abend, ich würde Sie bei meinem Onkel treffen. — Setzen Sie sich. Wollen Sie rauchen?«
»Sie waren gestern abend bei Ihrem Onkel? Waren Sie lange da?« fragte er mit schlecht verhehltem Interesse, und fügte deshalb schnell hinzu: »Nun, hat er sich über die Klatschgeschichte beruhigt?«
»Bis zum Thee blieb ich. — Diese alberne Geschichte hab ich ihm ziemlich ausgeredet,« sagte Fenia ruhig, und stichelte an ihrer Arbeit. Sie hatte heute eine weiße Morgenbluse an, worin sie weit jünger aussah, kindlicher. Ihre beiden Flechten hingen ihr den Rücken hinunter.
»Dann wird die arme Dame, die da gesehen worden ist, also wohl nicht weiter durch Nachforschungen behelligt werden. Sonst hätte dabei noch das Drollige herauskommen können, daß sie plötzlich irgend eine