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und in ihren Blicken zitterte dennoch das ganze Entsetzen vor der Heimlichkeit, vor der Verfolgung, — und vibrierte in ihrer Stimme.
Er faßte ihre Hände und küßte sie.
»Danke, Fenia!« sagte er ernst, »ich danke Ihnen! Nein, wir wollen keine Komödie spielen, — wir haben es beide nicht nötig, — nicht wahr? Dafür aber nehmen Sie mich zum Freunde und Bundesgenossen an, ja?
— — Ich weiß wohl, daß nur der elende Zufall mich zum Mitwisser gemacht hat. Aber lassen Sie es keinen Zufall bleiben, machen Sie ein Vertrauen daraus! Darf ich es so auffassen?«
Sie zog ihre Hände aus den seinen, hob sie an ihre Schläfen, als sei ihr der Kopf am Zerspringen, und schaute ihn ganz ratlos und kindlich an.
»Wissen Sie, das ist wie eine Erlösung! — Wie eine Erlösung!« sagte sie, — »wie eine Erlösung, daßes ausgesprochen ist! Wenn ich es doch schnell hinausschreien könnte, — hinaus! hinaus! Allen in die Ohren! So daß niemand es erst mit seiner Neugier zu erschleichen braucht! — — — Ach, ein Grausen hab ich in letzter Zeit bekommen, — ja, ein solches Grausen, als ob lauter Gespenster um mich herumliefen, — ein Grausen, wie ich es als kleines Kind manchmal im Traum gehabt habe, wenn jemand hinter mir war, und ich lief und lief, — — und doch nicht vorwärts konnte.«
Es durchschauerte sie, Ihre Augen öffneten sich ganz groß und erschreckt.
»Sie müssen sich zusammennehmen, Fenia!« sagte Max Werner in bestimmtem Ton und faßte ihre Hand, »augenblicklich sind Sie in einem Zustand, wo Sie sich fortwährend selbst verraten würden. Ich lasse Sie so nicht fort. — — Dies Grausen, wovon Sie sprechen, müssen Sie beherrschen, es darf Ihnen nicht über den Kopf wachsen, hören Sie? Es ist Nervenüberreizung, es wird vorübergehn, Fenitschka.«
Sie hatte den Pelzmantel vorhin zurückgeworfen und auf die Sessellehne hinter sich niedergleiten lassen. Sie stand im Kleide, aber scheu, wie auf dem Sprung. Ihre Blicke gingen flüchtig durch das Zimmer, über die ihr fremde Umgebung, als frage sie sich nun erst, warum sie eigentlich hergeraten sei, warum sie verweile.
Max Werner fürchtete, daß nach dem ersten, fast willenlosen Ausbruch sie sich plötzlich von ihrer eignen Offenheit kalt und peinlich berührt fühlen könnte, — unter der Situation leiden, worin sie sich ihm gegenüber befand. Er fügte deshalb schnell hinzu:
»Sehen Sie sich nicht erst hier um, es ist kein herrlicher Aufenthaltsort, das geb ich zu! Aber da Sie einmal bei mir zu Besuch sind, entlaufen Sie mir nicht gleich wieder, Fenitschka. Setzen Sie sich ein wenig her, hier ist niemand, der Sie beunruhigen oder belauschen kann, — denken Sie sich, Sie seien ruhig zu Hause. — —
Und wissen Sie, daß in diesem selben Zimmer Ihnen jemand nahe ist, der auch ›das Grausen‹ hat überwinden müssen — um meinetwillen, Fenia, — jemand, den Sie innig lieben würden.«
Damit hatte er das richtige Wort getroffen. Sie setzte sich wieder und blickte ihn erstaunt und erwartungsvoll an, — für den Augenblick von sich selbst abgelenkt —.
»Ist ›sie‹ hier? Wo?« fragte sie leise.
»Nein, sie selbst nicht. Aber dort im Handkoffer, — da liegen wohlverschlossen in einer Kassette alle ihre Briefe. Und so sind Sie hier in feiner, lieber Menschennähe, Fenia, das dürfen Sie glauben. Diese Briefe würden Ihnen erzählen, wie gern auch sie offen gegen alle Welt wäre, — und es doch nicht darf.«
»Ja, ja!« fiel Fenia etwas hastig ein, — »genau so ist es eigentlich auch bei uns.«
»Haben Sie ihn hier in Rußland getroffen?«
»Nein. Er ist mir hierher nachgereist.«
»Also kein Russe.« Sie sah erstaunt auf. »Kein Russe?! — — Ach so, — ja, warum sollten Sie nicht meinen, daß es ein Ausländer sein könnte — —. Kein Russe! nein, das wäre mir unfaßlich. Für mich liegt eine ganze Welt darin, daß er ein Russe, — mein Landsmann, mein Bruder, ein Stück von meinesgleichen ist.«
»Sie haben doch aber mit Ausländern schon so früh und so vertraut verkehrt, studiert, — wie leicht hätte einer —«
»Ja, verkehrt, studiert!«unterbrach sie ihn. »Und damals dachte ich auch wohl: die Liebe, das ist sicher nur die höchste Fortsetzung solcher kameradschaftlichen Freundschaft, wo man ja schon so vieles teilt —.«
»Aber keinen davon haben Sie geliebt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Nie. Um manchen, der um deswillen fortging, trauerte ich. Aber was konnte das ändern? Ich wartete darauf, daß die Freundschaft in mir bis zur Liebe stiege — —. Sie stieg auch zuweilen, — immer höher und höher, — aber nicht in die Liebe hinein, — sie wurde dann zugleich immer dünner und spitzer, — — und eines Tages brach stets die Spitze ab.«
»Also ist es schließlich auch gar nicht einer Ihrer eigentlichen Geisteskameraden gewesen?«
»O nein!« sagte sie lebhaft, — »es war einer, mit dem ich noch nichts teilte. Den ich kaum kannte. — Grade nach Beendigung meiner Studien, während einer Erholungsreise. — — Ja, und im Grunde trieb es mich auch nicht, mit ihm dies und das zu teilen, — oder irgendwohin dort oben hinaufzuklettern, wo die Spitzen doch immer abbrachen. — — Dazu war ich auch zu angestrengt und erholungsfroh. — — Aber mich trieb es fast von der ersten Stunde an, zu ihm hinzutreten und ›du!‹ zu ihm zu sagen.«
Sie hatte den Kopf gesenkt und sprach mit einem glücklichen Lächeln um die Lippen. Sie sah bei ihren Worten ganz weltentrückt und bräutlich aus. Er schaute sie mit Entzücken an.
»Ja, so geht es nun im Leben zu,« bestätigte er, bemüht, sie in der schönen Stimmung zu erhalten, »man macht sich große Theorien, man will geistig zusammenpassen und will sich auf Herz und Nieren prüfen, — und schließlich wählt man einander doch in der Gunst der Stunde, und ohne alle weitern Kennzeichen.«
»Aber das sind ja die allertiefsten Kennzeichen!« rief sie erstaunt, — »das ist ja eben der ungeheure Irrtum, zu glauben, daß ›Geist‹ und ›Seele’, und wie alle diese schönen Dinge im Menschenverkehr heißen, etwas Edleres oder Tieferes sind, als sie. Nein, das weiß ich besser! Besonders der Geist, der ist schon durchaus nicht edler, sondern das Gröbste und Pöbelhafteste ist er, und saugt sich mit seinem kalten Interesse unterschiedslos an die allerverschiedensten Menschen an, um sie loszulassen,