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Gras. Wie er sich aber zu ihr setzen wollte, wehrte sie ihn ab und sagte, er solle bessere Haltung vor ihr bewahren, denn sie sei die Wiesenherzogin. »Ach, Fenitschka, warum hast du nur gelbe Ranunkeln auf dem Kopf, — Rosen würden dir viel schöner stehn,«bemerkte er zu ihr, auch noch im Traum galant, und wagte nicht sich hinzusetzen. Sie aber sah ihn mit demselben strengen Blick an, wie gestern bei seinem Vorschlag, ihren Freund bei ihrem Onkel einzuführen, und entgegnete mit herzoglicher Hoheit: »Auch die Ranunkeln färbt dieselbe Sonne.«
Er erwachte durch die Anstrengung, dies tiefe Wort gehörig zu enträtseln. Es war schon spät am Vormittag, und er beschloß, in die Eremitage zu gehn. Unterwegs jedoch traf es sich, daß er statt dessen zu Fenia in ihre Wohnung hinaufstieg.
Zu seinem Bedauern fand er sie nicht zu Hause. An diesem Morgen war er ein wenig verliebt in Fenia; er wußte nicht, ob sein Traum hiervon die Ursache, oder die Wirkung sei.
Langsam und etwas mißmutig ging er den Weg nach seinem Hotel zurück. Es schneite schwach, in winzigen, harten Körnchen, die an Hagelgraupen erinnerten und auf dem Sand, womit die Trottoirs bestreut waren, weiß und rund liegen blieben wie Perlen. Der Himmel hing tief, tief herab, grau und lichtlos, und unter seinem gleichförmigen Schiefergrau ballten und stopften sich noch große weiße Wolken gleich Federkissen; es sah wahrhaftig aus, als habe der Himmel droben sich gut auswattiert, um sich vor der Kälte bei den Menschenkindern unten zu schützen.
Unterwegs traf er Fenia. Er sah sie auf der andern Seite des Trottoirs und ging über den Straßendamm auf sie zu; sie bemerkte es, blieb stehn und wartete auf ihn.
»Ich hatte dir einen Besuch zugedacht,« sagte er, während sie sich die Hand schüttelten, »fand dich aber nicht, und fürchtete schon, dich heute nicht mehr zu sehen. Daher bin ich dem Zufall jetzt doppelt dankbar.«
Sie sah ihn lächelnd und nachdenklich an.
»Ich bin ihm auch dankbar!« entgegnete sie, — »deinen Besuch hätt ich nämlich nicht angenommen —. Keinen Besuch, der heute kommt. — Und nun, wo ich dich unerwartet treffe, merk ich, daß ich mich drüber freue, mit dir zu gehn und zu plaudern. — — So wenig kennen wir uns selbst.«
»Woher kommst du denn?« fragte er im Weitergehn.
»Von einem zwecklosen Hin- und Hergehn. Ich ertrug’s in der Stube nicht. Ertrag’s aber auch draußen nicht. Ich habe entsetzliche Sorgen, Max. — — Denke dir, — vielleicht kann ich ›ihn‹ nur noch wenige Male wiedersehen.«
Er blieb stehn. »Wie das, — warum?!«
»Es hat sich so zugespitzt — all das mit den Heimlichkeiten. Wir sind nicht mehr sicher, — nirgends mehr. Es geht einfach nicht mehr. Es geht absolut nicht,«
»— Und gar kein Ausweg? man findet ihn ja doch schließlich in solchen Fällen,« Fenia schüttelte den Kopf.
»Im Auslande zu leben wäre einer, — ja. Aber ich bin hier durch meine Stellung gebunden, und habe keine andern Existenzmittel. Und im Ausland wär es dasselbe — in einer Stellung. Es scheint, man muß reich sein dazu. Lehrerinnen sind, scheint es, davon ausgeschlossen.«
»Aber deshalb könnt ihr doch nicht auseinandergehn?!«
Fenia lachte dazu unwillkürlich. Ihr ganzer froher Unglaube an irgend ein Auseinandergehn lachte aus ihren Augen. Aber die Augen waren gerötet wie vom Weinen.
»Wir haben eben die Wahl zwischen zwei Unmöglichkeiten,« sagte sie, noch lächelnd, und ging langsam weiter, »— ich war so tief im Glück und Frieden, weißt du, daß ich noch ganz dumm bin: ich begreif’s noch gar nicht, daß es Sorgen giebt — im Himmel.«
Sie standen an ihrer Hausthür.
»Höre, Fenia,« bat er, »laß uns doch noch ein wenig zusammen bleiben, — kann ich nicht hinein?« — Sie hatte die Thür geöffnet, und der Portier mit den Silberlitzen kam dienstbeflissen herbei, wollte hinter ihr schließen, und händigte ihr zugleich zwei inzwischen eingelaufene Briefe ein.
Fenia blieb auf der Schwelle stehn, besah die Briefadressen und bemerkte dabei zu Max:
»Ich beabsichtigte eigentlich noch nicht, hinaufzugehn, wir können also gern noch ein wenig draußen bleiben, — aber ich erwartete Nachrichten, und deshalb« — sie warf einen schalkhaften Seitenblick auf ihn und fügte hinzu: »— Diesen einen, siehst du, der ohne Marke hergebracht worden ist, den mußich gleich lesen. Es handelt sich um die Verabredung einer Stunde zu heute — oder morgen.«
Er ließ sie lesen, während sie die Straße langsam entlang schritten, und musterte dabei ungeduldig den Sand und Schnee auf dem Trottoir zu seinen Füßen. Heute morgen kam ihm Fenias Auserwählter etwas in die Quere.
Als Fenia aber den Brief eingesteckt hatte und, wie ihm schien, Minuten vergingen, ohne daß sie sprach, sah er scharf nach ihr hin.
Der Ausdruck ihres Gesichtes hatte sich ganz verwandelt, — zum Erschrecken verwandelt hatte er sich. Sie war erblaßt, um den Mund ein gespannter, nervöser Zug, ihre Augen blickten mit einer gewissen verwirrten Anstrengung grade vor sich hin.
»Fenia!« sagte er halblaut, »— was ist dir? was ist denn geschehen? Steht im Brief irgend etwas Schlimmes?«
»Ist er tot, — — — untreu?« fuhr es ihm durch den Kopf, und er konnte seine eignen Gefühle dabei nicht recht deutlich unterscheiden.
»Nein, — nein!« widersprach sie hastig, »—es ist nur, — ja, etwas Schlimmes.«
»Kann ich es nicht wissen? Nein, natürlich nicht, wenn du nicht magst.« — »Doch, — warum denn nicht? Es ist ja,« — sie stockte, und setzte dann leise, fast scheu hinzu: »Er will, daß wir uns heiraten sollen.«
»Heiraten!«
Er rief es zuerst ganz konsterniert; gleich darauf bemerkte er aber selbst: »Ja, lieber Gott, warum auch nicht? Das ist doch eigentlich ganz natürlich? Hast du denn nicht selber schon an dieses Ende gedacht?«
»— Ich? — Nein, — ich, — es schien ja aus äußern Gründen zunächst so ganz unmöglich, — ich meine: es ging eben noch nicht, — so daß man nicht daran denken konnte, — — nicht zu denken brauchte,« erwiderte sie, noch ebenso scheu und verwirrt, — bedrückt.
»Nun — und jetzt?«
»— Er hat irgend eine Anstellung im Süden erhalten, — was weiß ich, ach, ich weiß nicht. —
— Mir ist so furchtbar zu Mut,« sagte sie hilflos, und sah aus, als ob sie gleich anfangen wollte loszuweinen.
Max Werner bog in eine kurze breite Nebenstraße ein,