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legte sie unschlüssig wieder hin. Er war gradezu verdrießlich. Endlich stand er auf, um fortzugehn. Aber jetzt konnte er sich doch nicht enthalten, zu bemerken:
»Wissen Sie übrigens, daß ich kürzlich Ihre Doppelgängerin ebenfalls zu sehen geglaubt habe?«
»Ach!« machte Fenia frappiert, und fragte nach kurzem Schweigen:
»Wann denn?«
»Gestern abend. Nicht sehr weit vom Kloster, wo wir uns neulich trafen. Sie stieg mit einem Herrn in einen Schlitten und sauste mit klingelnden Schellen davon. — — — Ich habe sie übrigens nur von hinten gesehen,« fügte er schnell hinzu, denn plötzlich zweifelte er durchaus nicht länger, und schämte sich seiner unritterlichen Aufwallung. »Also vielleicht sieht sie Ihnen auch nur von hinten ähnlich, Fenitschka.«
Sie erhob sich von ihrem Stuhl und las mit gesenkten Augen von ihrem Rock die Fäserchen und Fädchen ab, die beim Nähen daran hängen geblieben waren.
Sie sah blaßund in sich gekehrt aus. Sehr lieb sah sie aus.
Ihm that es weh, er verwünschte sich und blickte mit Anstrengung fort.
Da reichte Fenia ihm zum Abschied die Hand.
»Nun, — und wenn sie mir auch von vorn geglichen hätte, — Ihnen das Gesicht zugekehrt hätte, — mein Gesicht, — was hätten Sie sich dann gedacht?« fragte sie und sah ihn dabei an.
Er hielt ihre etwas kalte, etwas nervös zuckende Hand in der seinen, beugte sich darüber und drückte zwei Küsse darauf. »Liebe Fenitschka!« murmelte er, — »ich würde mir auch dann nichts weiter gedacht haben, als nur: welche frappante Aehnlichkeit.«
Dies geschah am Vormittag.
Am Abend wollte Max Werner in die kaiserliche Oper und kehrte nach sieben Uhr in seinem Hotel ein, um sich dazu umzukleiden.
Sein Zimmer lag zwei Treppen hoch, dem Treppenaufstieg schräg gegenüber.
Als er im Hinaufsteigen einmal aufblickte, sah er von oben herab eine verschleierte Dame kommen, die er durch Haltung und Bewegung fast augenblicklich erkannte.
Es war Fenia.
Ihn durchblitzte förmlich der Schreck, ihr in den Weg gekommen zu sein. Diese erste jähe Ueberraschung in seinen Zügen konnte er hinterdrein nicht wieder gut machen, mit so unbeteiligter Miene er dann auch, fremd und harmlos, auf der Treppe an ihr vorbeizugehn suchte.
Sie zauderte einen Augenblick auf der Stufe, wo sie einander begegnet waren.
Dann, blitzschnell, drehte sie sich um, eilte ihm die übrigen Stufen nach, erreichte ihn grade noch, als er im Begriff stand, ganz entsetzt in seinem Zimmer zu verschwinden, und riß den Schleier von ihrer Mütze.
»Mar!« schrie sie leise, heiser, mit zugeschnürter Kehle; »nein! das hier ertrag ich nicht!«
In höchster Bestürzung blieb er stehn, und seine erschrocken forschenden Blicke irrten über sie weg nach der Treppe, ob auch niemand ihren Aufschrei gehört habe.
Dann stieß er die schon aufgeschlossne Zimmerthür auf und schob Fenia so eilig er konnte hinein. Denn vom untern Stockwerk wurden Stimmen laut, und einer der Tatarenkellner geleitete fremde Herrschaften hinauf.
»Liebe Fenitschka!«murmelte er fassungsIos und horchte gespannt nach dem Gang.
Sie stand, den Schleier in ihrer Hand zusammengekrampft, und zitterte am ganzen Leibe, während sie mit einem wilden Blick um sich sah und hinter sich, — als stände da irgend jemand.
»Nein! nein! ich will das nicht! ich ertrag das nicht!« rief sie außer sich, — »Sie glauben, mich mitleidig ignorieren zu müssen, — und jetzt wieder — — — mich schützen, — ich bin doch keine Verbrecherin, die man aus lauter ritterlicher Schonung nicht erkennt, — — o nein, pfui!«
Und sie brach in leidenschaftliches Weinen aus.
Er schob den einzigen bequemen Lehnsessel heran und drückte sie sanft hinein.
»Beruhigen Sie sich doch nur ein wenig, Fenitschka,«sagte er, — »was sind denn das für Ideen — Verbrecherin, — Unsinn! Wollen Sie etwas trinken? Wein, — Limonade? — Knöpfen Sie den Pelz ein wenig auf, Sie ersticken mir sonst noch hier. Darf ich ihn ein wenig aufknöpfen?«
Sie stieß seine Hand hinweg und weinte weiter.
Er kniete neben ihr auf den Teppich hin und bückte demütig den Kopf.
»Ach, Fenia!« sagte er lachend, »was sind Sie doch für ein verrückter Kerl! — Wenn Sie wütend sind, so zausen Sie mich, bitte, am Haar, — schlagen Sie mit Ihren lieben Fäusten drein, — das dürfen Sie thun. — — Aber mit solcher Hingebung zu weinen! — Werden Sie wieder ruhig und lieb, ja? — — Sonst sperre ich Sie wahrhaftig ein, und stelle Sie in den Winkel. — — — Wissen Sie nicht mehr, wie ich Sie mal eingesperrt habe in Paris? Ach ja, damals haben Sie mich einigermaßen mißhandelt. Aber jetzt — jetzt sind wir doch Freunde, feste, gute Freunde! Etwa nicht, Fenia? Ich gehe für Sie durchs Feuer, wenn Sie wollen.«
Sie nahm ihr Taschentuch vom Gesicht und sah ihn mit ihren nassen, geröteten Augen an.
»Wie sollte ich wissen, daß Sie hier wohnen,« sagte sie mit noch von Thränen erstickter Stimme, — »Sie waren ja doch im Hotel de Paris. — — Sonst wäre ich — hätte ich — — « sie stockte und wurde verwirrt. »Ja, das war eine entsetzliche Dummheit von mir, es Ihnen nicht rechtzeitig zu sagen, daß ich jetzt hier — — aber andrerseits, wissen Sie, konnte ich ja auch nicht wissen, daßSie —,« murmelte er, und setzte in leichtem Ton hinzu: »— nun, was macht es denn! Soll ich Ihnen einen Schlitten besorgen? Waren Sie im Fortgehn?«
Fenia sprang auf, und eine Blutwelle ergoß sich über ihr verweintes Gesicht. Sie sah zornig und beinah wild aus.
»Hören Sie mich!« rief sie entschlossen, »wozu spielen Sie Komödie mit mir, wozu fassen Sie mich wie eine zerbrechliche Puppe an, der man gern was vormachen kann, wenn man sie nur schön in Watte packt! Ich weiß sehr gut, daß Sie alles wissen! Nun wohl, so wissen Sie es denn! Ja, ja, ja, es ist so! Ich kam hierher, weil ich neulich hier in meinem Zimmer etwas vergessen habe. Denn ich habe hier ein Zimmer. — —
Und gestern nacht, — gestern nacht war ich es, die in den Schlitten stieg mit einem Mann, den ich lieb habe!«
Er fand sie herrlich, wie sie mit fliegendem Atem das sagte. Herrlich wie ein Mensch, der Gefahren trotzt, wie ein Mensch im Todessprung, oder vor dem Feinde, vor dem Schuß, den er nicht in den Rücken erhalten will. In ihrem Gesicht prägte sich ein verzweifelter Heroismus aus,