Fenitschka - Page 9

Bild von Lou Andreas-Salomé
Bibliothek

Seiten

ihre Füße gegen den silberhaarigen Rücken der Russalka, die vor ihr lag und, die lange feine Schnauze auf die Vorderpfoten gedrückt, leise wedelte.

»Aber was ist denn nur los, Onkel Mischa?« fragte Fenia neugierig.

»Sage mir, mein liebes Kind, besitzest du Feinde? Du weißt, es kann eine Ehre sein, Feinde zu haben! — — Kennst du irgend jemand, der ein Interesse daran hätte, dich zu verleumden?«

Sie schaute erstaunt und lächelnd auf. »Ich?! — — sicher nicht. — Hat sich ein solcher Bösewicht gefunden?«

»Das wird ja ordentlich interessant,« bemerkte Max Werner und stand auf, »da könnte ich am Ende noch hier für Fenia gegen irgend einen sibirischen Drachen zu Felde ziehen?«

Aber der Onkel teilte die heitere Stimmung nicht; seine Miene blieb so feierlich und besorgt wie zuvor.

»Ich bitte euch, es ernst zu nehmen,« sagte er, beide Hände auf den Lehnen seines Sessels, — »laß jetzt das Spiel mit der Hündin, Fenia! Es ist eine ganz abscheuliche Verleumdung, worum es sich handelt. Jemand behauptet, dich gesehen zu haben, — zu sehr vorgerückter Nachtstunde in einer entlegenen Straße, — zusammen mit einem Herrn.«

»Wer ist es, der es behauptet?« warf Fenia ein.

»Das eben möchte ich durchaus ermitteln: die erste Quelle des Klatsches,«erwiderte der Onkel unruhig, »mir ist die Mitteilung vom schändlichen Gerücht durch einen erprobten alten Freund des Hauses zugegangen, der sich mit mir darüber aufregt.«

»Mein Gott! daß du das so ruhig nehmen kannst!« murmelte Nadeschda, die neben Fenia saß, und langsam ihren Kaffee schlürfte, »ich war ganz außer mir, wie ich davon erfuhr. Wie schlecht ist die Welt! Ich zerbrach mir dermaßen den Kopf darüber, daß ich fast meine Migräne bekam. — — Bei dir wird es auch noch morgen nachkommen.«

»Ich zerbreche mir den Kopf nicht. Bis morgen werf ich es weit — weit hinter mich!« sagte Fenia, und ihr Gesicht leuchtete auf.

Max Werner blickte auf sie.

Ihr Kopf lag an die Stuhllehne zurückgelehnt, die Augenlider waren so tief gesenkt, daß sie den Blick ganz verdeckten. Aber ihre Lippen wölbten sich ein wenig, — ein wenig nur, doch so überzeugend beredt im Ausdruck, als sei ihnen ein Trank zu nah gekommen, vor dem es sie ekelte.

Urplötzlich erinnerte dieser Ausdruck der vollen roten Lippen Max Werner an etwas, — an das Erlebnis im Hotelzimmer in Paris, — und durch diesen Umstand umstrahlte in diesem Augenblick in seinen Augen Fenia eine eisige, unanzweifelbare Reinheit.

Wie oft mochte sie in ihrem freien Studienleben im Auslande Verachtung empfunden haben für die Menschen, deren billige Klugheit ihre Freiheit mißverstand, und deren weises Urteil auf den ersten besten Schein hereinfiel!

»Vielleicht löst sich die Sache als ein unglückliches Mißverständnis auf,« meinte Max Werner. »Ließe es sich nicht feststellen, wie die Dame gekleidet gewesen sein soll?«

Der alte Ravenius blickte rasch auf.

»Jawohl! die Kleidung stimmt genau. Langer Mantel, Fuchspelz, — Mütze, Muff und Kragen von Biberfell.«

»Jawohl, es ist recht schlimm!« bemerkte Max Werner, »in Paris oder Berlin oder Wien könnte der Anzug einer Dame schon ein Erkennungszeichen abgeben. Aber hier? Hier sind die Damen auf das leichteste einer Verwechslung ausgesetzt. Denn sie sind alle gleichmäßig dunkel vermummt, höchstens drei, vier Pelzsorten variieren. Jede Dame muß eigentlich darauf gefaßt sein, ein paar Doppelgängerinnen zu besitzen.«

»Das ist wirklich wahr!« bestätigte der Baron ganz erfreut, »darauf vor allem müßte man hinweisen! Darauf gründet sich vielleicht der Klatsch. — — Und dann, denken Sie an die dichten Winterschleier, die man hier trägt! Und oft sind es nicht einmal Schleier, sondern die feinen, weichen Orenburger Wollgewebe, die unsre Damen wie ein weißes Spinngewebe vor das Gesicht binden, wenn es stark friert, — namentlich abends. — Reine Unmöglichkeit, dann jemand zu erkennen.«

»Lieber Onkel Mischa!«unterbrach ihn Fenia, »bitte, gieb dich mit dieser Geschichte nicht ab. Ich will es einfach nicht! Es ist mir fatal und gänzlich ungewohnt, daß andre sich um meinen Ruf abängstigen, — wenn der gläsern ist, — — ich bin’s nicht!«

Der Baron erhob sich und berührte mit seinen langen kühlen Fingern leicht, liebkosend Fenias Wange.

»Du darfst nicht so sprechen!«verwies er ihr ihre Worte; — »du weißt, dein guter Vater hat dich so frei erzogen, wie ich es für meine Töchter weder gewünscht, noch jemals gestattet haben würde. Aber du hast ihm Ehre gemacht! Und du bist, wenn nicht meine Tochter, so doch unser teures Familienmitglied, für das ich einstehe überall und in allem. C’est convenu. N’en parIons plus.«

Fenia drückte einen flüchtigen Kuß auf die liebkosende Hand ihres Onkels, als der alte Herr so einfach und vornehm zu ihr sprach. Aber in ihre ruhige Stirn grub sich die erste kleine Falte bei seinen guten Worten ein. Offenbar empfand sie es nur peinlich, daß irgend jemand für sie einstehen, verantworten, schützende oder verteidigende Maßregeln ergreifen wollte. Sie begehrte nicht nach dem Schutz der Familie, und erschien ihr vermutlich ebenso lächerlich wie unbehaglich, mit einemmal wie zerbrechliches Glaszeug behandelt zu werden.

Unwillkürlich versetzten Max Werners Gedanken Irmgard in die gleiche Lage, und er sah, wie sie schon bei der bloßen Vorstellung um vernichteten Mädchenruf litt und blutete. Besaß sie wirklich so viel mehr Menschenfurcht, so viel weniger Seelenkraft als Fenia? Nein! dafür kannte er sie zu gut. Aber was die öffentliche Moral tadelte und lobte, das tadelte und lobte sie selbst bis zu gewissem Grade auch. Wenn sie in Zwiespalt mit der vorgeschriebenen Lebensführung geriet, dann geriet sie auch mit sich selbst in Zwiespalt. Daher mitten im Rausch eines Kusses das Erzittern geheimer Angst, als besäßen die Wände Ohren, — daher das Gefühl, daß die Liebe sowohl der Genius ihres Lebens, als auch der allmächtige Dämon und Versucher sei, dem Gewalt gegeben ist, den Engel zu verscheuchen. — Irmgard erwartete von der Liebe nicht — Fenias »Frieden«.

Während alle in der Plauderecke verstummt waren, und Max Werner seine Gedanken so weit forttrugen aus dem Kreise, worin er sich befand, stand Fenia auf und trat, begleitet von der Russalka, an eines der hohen Fenster ihm grade gegenüber. Mit etwas erhobenen Händen faßte sie in die schweren dunkelroten Damastvorhänge, die geschlossen vor dem Fenster herabhingen, und schob sie ein wenig auseinander, um hinaussehen zu können.

Max Werner fiel ihre eigentümlich schöne Rückenlinie in dieser Haltung mit gehobenen Armen

Seiten