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wo sie vor der Menschenmenge auf dem Newskijprospekt sicher waren. Nur ein paar Kinder rutschten spielend und schreiend auf einem schneefreien Eisstreifen längs dem Damm umher. »Aber, Fenitschka, auf dem Gut, während der Hochzeit meiner Schwester, warst du ja noch so vollgestopft mit den allergraulichsten Ehebetrachtungen!« sagte Max Werner beruhigend, »— willst du denn nicht —«
Sie blieb stehn und sah mit ihren großen, klaren, so eigentümlich seelenoffenen Augen zu ihm auf.
»Ist es dir jemals so vorgekommen, — in dieser ganzen Zeit, — als ob ich heiraten wollte?«
»Nein, — das wohl nicht,« gab er zu, »aber es mußte schließlich —«
»Ich konnte es auch gar nicht wollen!« unterbrach sie ihn, »sage mir, will es denn etwa einer von euch, — will es ein junger Mensch zum Beispiel, der seine ganze Jugend drangesetzt hat, um frei und selbständig zu werden, — der nun grade vor dem Ziel steht, — auf der Schwelle, — der das Leben grade um deswillen lieb gewonnen hat, — um des Berufslebens willen, um der Verantwortlichkeit willen, um der Unabhängigkeit willen!
— Nein! Ich kann es mir einfach nicht als Lebensziel vorstellen, — Heim, Familie, Hausfrau, Kinder, — es ist mir fremd, fremd, fremd! Vielleicht nur jetzt, — vielleicht nur in dieser Lebensperiode. Weiß ich’s? —
Vielleicht bin ich überhaupt untauglich grade dazu. — — Liebe und Ehe ist eben nicht dasselbe.«
Sie sprach rasch und erregt, sie vergaßganz, wo sie war, und lehnte sich einfach mit dem Rücken gegen eine Hausmauer, vor der sie gerade standen. Dies war sicher kein geeigneter Aufenthalt für eine solche Unterhaltung; Max Werner fürchtete, sie könnte mit ihrem Tuchpelz an der weißbeworfenen Hauswand festfrieren, und außerdem rieselten die kleinen, feinen, runden Schneekörnerchen unablässig um sie nieder. Aber dabei war er selbst in einiger Spannung und Erregung; er war, offen gestanden, bezüglich des Mannes, der da soeben Fenia einen Heiratsantrag gemacht hatte, nicht ganz ohne Schadenfreude, — — aber da hinein mischte sich ein ganz sonderbares Gefühl, — fast ein verblüfftes, beleidigtes, — fast, als sei er es, den sie abgewiesen habe. — — Das war die Verblüffung über ihre Worte, — Worte einer Frau, die ganz so sprach, als sei sie ein Mann, und als sei es eine unerhörte Zumutung, einen Mann, seinesgleichen, zu heiraten. —
»Das ist mir denn doch noch nicht vorgekommen, Fenitschka,«sagte er, und trat von einem Fuß auf den andern, denn ihn fror sehr, »— diese spitzfindige Unterscheidung zwischen Liebe und Ehe. — Wenn du deiner Liebe sicher bist, dann dürfen dich auch die Schwierigkeiten des Ehelebens nicht abschrecken, — die wahre Liebe setzt sich drüber hinweg, — glaube ich. Und dann, siehst du, soll es ja auch grade so schön sein, alles miteinander zu teilen, — und besonders, wenn es für immer ist, — und selbst wenn Krankheit, oder Sorge, oder sonstige Unannehmlichkeiten mitunterlaufen, — nun, so hat man doch dafür ein wahrhaftes, wirkliches Stück Leben miteinander gelebt, — und grade das will die Liebe, — sie will doch nicht etwa nur den Genuß? O nein, bewahre! sie hat sozusagen die Tendenz zur Ehe.«
Fenia hörte ganz anfmerksam, mit zur Seite geneigtem Köpfchen zu; unendlich lieb schaute sie dabei aus, mit ihren halbgeöffneten Kußlippen, — wie jemand ungefähr, der einer gar erstaunlichen Mär und Kunde lauscht.
»— Denkst du das wirklich?« fragte sie zweifelnd und erwartungsvoll, »— ich meine, denkst du so im tiefsten Ernst? Hast du denn jemals diese Dinge so empfunden, wie du da sagst, — grade so?«
»— Ich? — — Nun, ich selbst grade nicht. — — Aber ich hab es von andern gehört,« bemerkte er etwas kleinlaut.
Sie bückte enttäuscht den Kopf. »Von andern gehört!« wiederholte sie.
Sie that ihm leid. Offenbar hatte sie von seinen halb ironisch gemeinten Worten eine Art von Hilfe in ihren Zweifeln erwartet, — war er doch ihr Freund! Es drängte ihn über die Maßen, sie wieder beruhigt und heiter zu sehen.
»Aber Fenitschka,«redete er ihr zu, »was kommt denn auf mich an! Bin ich denn ein Vorbild auf diesem Gebiet?! — Nein, — nicht wahr? Und überhaupt, was so ein Mann darüber spricht! Ihr Frauen empfindet schließlich doch anders, — besser, feiner. — Aus der Ueberzeugung heraus sprach ich. Glaube mir, ihr wollt im Grunde doch die Dauer und vollkommne Zusammengehörigkeit, — das weiß ich von der, die mich lieb hat, Fenia. Denn wollte sie das im Grunde nicht, wollte sie nicht so inbrünstig das ganze Leben mit mir teilen, so wär es ja keine rechte Liebe, sondern nur eine — eigentlich eine reine Sinnen —«
»Sondern nur eine rein sinnliche Leidenschaft, — nur eine sinnliche,« ergänzte Fenia mit bedeckter Stimme, sah ihn an, und wurde plötzlich blaß. »Ach Unsinn, Fenia, — ich —«
Sie antwortete nicht, sondern stand nur regungslos da, und in ihren Mienen prägte sich etwas ganz Ergreifendes aus, das ihn verstummen machte.
Wohl schaute sie ihn noch an, aber sichtlich ohne sich dessen bewußt zu werden, wohin sie gerade schaute; ihre ganze Seele war nach innen gekehrt, — hielt gleichsam den Atem an.
Ihre Augen öffneten sich weit, eine Art von Entsetzen flog durch sie hindurch, es war, als schlüge eine plötzliche Erkenntnis, einem Blitze gleich, ihr mitten durch die Seele.
Und langsam ergoßsich über ihre Wangen, ihre kleinen Ohren, über den Hals, soweit das Pelzwerk davon einen Fleck sehen ließ, — eine warme tiefe Röte, — immer flammendere Röte. Und ehe Max Werner sich’s versah, wandte sie sich von der Hausmauer fort, an der sie lehnte, und enteilte ihm plötzlich mit schnellen Schritten.
»Fenia! Fenitschka!«rief er bestürzt, und griff unwillkürlich nach ihr. Aber er griff ins Leere. In wenigen Sekunden schon war sie um die Ecke gebogen, und entschwand ihm unter den Menschen, die auf der Hauptstraße vorüberströmten.
Der Eindruck war ein ganz seltsamer. Obgleich sie mit gesenkten Stimmen zu einander geredet, — und mehr noch geschwiegen, als geredet hatten, war ihm mit ihrem Verschwinden doch, als sei mit einemmal eine laute, gewaltige Unterhaltung verstummt.
Still, ganz totenstill lag die breite Nebenstraße, wo sie gestanden, plötzlich da, wie eine schlafende verschneite Welt.
Und ganz verwunderlich klang aus dem tiefen Schnee jetzt wieder das helle Geschwätz der beiden umherrutschenden Kinder auf dem