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Fahrdamm und tönte hinter Fenitschka drein.
Max Werner hatte das Gefühl, daß er Fenitschka nach dieser Begegnung nicht gleich wieder aufsuchen dürfe, — daß sie augenblicklich keinem Menschen Gesellschaft brauchen könne. So ließ er den ganzen nächsten Tag verstreichen, ohne sie zu sehen.
Ein Brief von Irmgard kam am Vormittag; er beantwortete ihn sofort, und berechnete zugleich das Datum seiner Ankunft in München.
Seine Abreise aus Rußland war von ihm längst auf diese Tage festgesetzt worden, aber noch nie hatte es ihn so gedrängt, wie heute, Irmgard wieder in die Arme zu schließen. Und Fenia, trotzdem er sich erst gestern ein wenig in sie verliebte, trug die Schuld daran.
— Denn plötzlich wollte es ihm weit weniger selbstverständlich erscheinen als bisher, daß Irmgard ihn so stark und treu liebe, wie sie es that, — es drängte ihn daher, ihr das Geständnis ihrer Liebe aufs neue aus den Augen und von den Lippen zu lesen.
Im Grunde wußte er wohl: der Zweifel, der über Fenia gekommen, konnte über Irmgard niemals kommen, — ganz zweifellos liebte sie ihn und ging ganz in dem Wunsch auf, mit ihm für immer das Leben zu teilen, — in jedem Sinn es mit ihm zu teilen. Ja, er wußte es, aber es beglückte ihn anders als bisher, und stimmte ihn dankbarer, weicher.
Er sagte sich, daß er für Irmgard von vornherein glücklicherweise mehr bedeute, als für Fenia ein Mann augenblicklich bedeuten konnte. Er bedeutete für sie zugleich das einzige sie belebende Geisteselement inmitten ihrer konventionellen Familienkreise, — er hatte mit ihrer Liebe, ihren Sinnen zugleich auch ihre geistigen Bedürfnisse geweckt und angeregt, ihre geistige Sehnsucht auf ihn und seine Entwickelung bezogen.
Das machte seiner Meinung nach einen gewaltigen Unterschied! Wenn ein Mann mitunter eine Frau weniger tief und absolut liebt, als sie ihn, so mochte es nicht zum wenigsten damit zusammenhängen, daß sie für sein gesamtes Geistesdasein meistens eine geringere Bedeutsamkeit besessen hat, als er für sie. Er erholt sich mehr bei ihr, als daß er ihrer außerhalb der Liebe bedarf. —
— — So erholte Fenia sich vielleicht von ihren eignen geistigen Kämpfen und Anstrengungen bei dem Mann ihrer Liebe. Nach Jahren konzentriertester Studien, asketischen Lebens eine unbewußt vollzogene, ganz naiv hingenommene Reaktion —. Erst der Heiratsantrag rührte ihre friedlich ruhenden Gedanken darüber plötzlich auf, ließ sie erwachen, — sich klar werden.
Dem andern mußte die Vorstellung, daß sie ihn nicht genügend liebe, um ihr ganzes Leben an ihn zu binden, natürlich völlig fern liegen. Man nimmt ja wohl von minderwertigen Frauen an, daß ihre Neigung eventuell der Tiefe und Treue entbehren werde, — hochstehenden Frauen gegenüber erscheint es als ein Sakrilegium. Und doch, fragte sich Max Werner, können dafür denn nicht dieselben Gründe maßgebend sein, die den Mann so leicht dazu verführen, seiner Liebe nur einen Teil seines Innern zu öffnen, ihr Grenzen zu ziehen, sie neben › und nicht über seine sonstigen Lebensinteressen zu setzen? Die Frau, die ihr Leben ganz so einrichtet und in die Hand nimmt wie der Mann, wird natürlich auch in ganz ähnliche Lagen, Konflikte und Versuchungen kommen wie er, und nur, infolge ihrer langen anders gearteten Frauenvergangenheit, viel schwerer daran leiden.
Am Nachmittag traf er den alten Baron Ravenius auf der Straße und erfuhr von ihm, das Fenia krank sei, — wenigstens habe sie Hausarrest.
»Wahrscheinlich hat sie sich in ihrem Eifer überarbeitet!« fügte der Baron bekümmert und kopfschüttelnd hinzu.
Max ging sofort zu ihr. Noch während er die Treppe hinaufstieg, öffnete schon die Wirtin im Kattunmorgenrock die Thür zum ersten Stockwerk und blickte mit einem widerwärtigen Ausdruck spähender Neugier heraus, wer da komme. Als sie ihn erkannte, veränderte sich ihre Miene, sie war etwas enttäuscht und wurde zugleich wohlwollender.
Er gab ihr seine Karte und ließ fragen, ob Fenia ihn empfangen könne. Der Bescheid kam sofort zurück, er möge nur eintreten.
Fenias Zimmer war künstlich verdunkelt. Die Vorhänge vor dem Fenster waren niedergelassen, und sie selbst lag, in einem Schlafrock von feinem weichem Stoff, auf ihrer Ottomane ausgestreckt, das Haar in zwei hängenden Flechten und die Hände hoch über dem Kopf verschränkt.
»Was, Fenitschka, — du bist krank?« fragte er beim Eintreten und kam zu ihr.
Sie schüttelte den Kopf.
»Bin nicht krank. Möchte nur dafür gelten. Menschen sehen, ausgehn, ausfahren, ist mir jetzt unleidlich, — nein, unmöglich. Ich danke dir aber, daß du da bist.«
Möglich, daß sie nicht krank war, aber sie sah ganz so aus. Selbst in dieser künstlichen Dämmerung sah sie blaß und erschöpft aus, und unter ihren Augen zogen sich tiefe Schatten. »Fenitschka,«bemerkte er, indem er einen Stuhl zu ihr heranzog, »mir öffnete vorhin deine Wirtin die Thür, — widerwärtig schaute das Frauenzimmer heraus, — wie das schönste Exemplar von einem Spion. Ist es dir nicht aufgefallen?«
»Ja, sie ist jetzt ganz besonders neugierig und mißtrauisch geworden. Sie achtet darauf, wer zu mir kommt.
— — Wenn jetzt ein Klatsch entsteht, so entsteht er von hier aus. Ich habe selbst schuld dran.«
»Aber dann darfst du hier doch nicht bleiben! Den Hals umdrehen werd ich der Kanaille! Seit wann ist es denn?«
»Ich war unvorsichtig. — — ›Er‹ ist einigemal hier gewesen,« entgegnete Fenia apathisch.
»Das hättest du schon lieber vermeiden sollen,« sagte er besorgt, »warum auch grade hier?«
Sie zuckte die Achseln. »Uns auswärts zu treffen, ist uns ja auch schlecht bekommen. — — Ach, laß doch! Es liegt so gar nichts dran,« fügte sie freundlich hinzu.
Ihre Stimme fiel ihm auf. So sanft und lieb klang sie, daßsie Rührung in ihm weckte. Aber ein so matter Ton klang darin mit, und weckte auch Sorge, wie man sie etwa am Krankenbett von lebhaften Kindern fühlt, wenn sie plötzlich gar zu artig und gut werden. —
Sie schwiegen eine Zeitlang. Endlich sagte er:
»Ich war gestern nicht bei dir, weil ich nicht wußte, ob du mich sehen wolltest. Aber gedacht hab ich an dich —«
Sie unterbrach ihn mit einem Lächeln:
»Ich auch an dich. Und an die erste Zeit unsrer Bekanntschaft — weißt du? Denk’ nur — mir hat sogar in der Nacht davon geträumt.«
»Von Paris?«
Sie richtete sich etwas auf, stützte sich mit der einen Hand auf das Polster der Ottomane und sah ihn an. Das Stirnhaar hing