Reflexion über „Farbe bekennen“

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von Marie Mehrfeld

„Farbe bekennen“ ist eine deutsche Redensart und bedeutet so viel wie: offen für eine Meinung eintreten. Der Ausdruck kommt aus dem Bereich des Kartenspiels und ist seit dem 18. Jahrhundert gebräuchlich. Fast jeder Mensch hat eine Lieblingsfarbe. Meine ist das Rote, deine vielleicht das Grüne, das Graue, Blaue, andere Menschen reagieren auf violett oder gelb, schwarz, weiß. Kleine Mädchen lieben es rosa, während den Jungen die Farbe Blau zugeordnet wird. Farben können beruhigen und beleben, sie strahlen Wärme oder Kälte aus, fördern die Konzentration, regen den Geist an, wirken auf unser Unterbewusstsein. Farben bestimmen unser Dasein, wie arm wäre die Natur, wären wir - in einer ausschließlich schwarz-weißen Welt.
Das Phänomen Farbe ist schwer beschreibbar. Nicht nur Goethe hat vergeblich versucht, es in seiner Gesamtheit zu erfassen. Der Schweizer Maler und Bauhausanhänger Johannes Itten (1888-1967) hat mit seiner Darstellung eines Farbkreises der sieben Kontraste und der Erkenntnis, dass Farben sich gegenseitig beeinflussen und im Blickfeld immer voneinander abhängig sind, das Wesen der Farbe am deutlichsten umrissen. Er gilt als der Begründer der Farbtypenlehre.
Auch politische Parteien, politisch orientierte Menschen definieren sich über Farben, sie nennen sich die Schwarzen, die Roten, die Grünen, die Gelben und neuerdings die Blauen. Dann gibt es noch die Braunen, die passen überhaupt nicht in die Harmonielehre unseres nationalen Farbspektrums, haben den muffigen Geruch des abgestandenen, schon dagewesenen Gescheiterten, an dieser Farbe klebt Krieg, Mord, sie steht gegen eine offene Gesellschaft, man sollte sie meiden oder mit klaren Farben überdecken.
Jetzt ist die Zeit, Farbe zu bekennen und darüber zu reden. Wir schätzen uns glücklich, in einem freien Land zu leben, in dem das offene Sprechen, das Farbebekennen gesetzlich garantiert ist. Die Grenze dessen, was gesagt werden darf, bestimmt unser Grundgesetz. Lautstark verkündete Naziparolen werden deshalb strafrechtlich verfolgt. Einem ausländischen Regime, dessen Richter, Lehrer und Journalisten wegen kritischer Meinungsäußerung inhaftiert werden, sollten in unserem Land aus dem gleichen Grund öffentliche Wahlkampfreden untersagt werden. Ansonsten ist das Einstehen für Toleranz unabdingbar. Wer sich nur zum Beispiel das Maul darüber zerreißt, dass der überzeugte Christ Max den Atheisten Ben liebt, während dessen mit Körperbemalung verzierte Schwester, die mit einem moderaten Muslim zusammen lebt, dem Buddhismus anhängt, der hat den Artikel 1 des Grundgesetzes nicht verstanden. Farbe bekennt man beim aktiven Bemühen um zugewandten zwischenmenschlichen Umgang im nächsten Umfeld, in der Familie oder im Freundeskreis. Wir bekennen Farbe, wenn wir uns gegenseitig unsere Wertschätzung oder Zuneigung erklären und Meinungsunterschiede tolerant austragen. Wir bekennen Farbe, wenn wir uns gegen üble Nachrede wehren, die anonym via „Soziale Medien“ im Internet verbreitet wird, denn sie kann menschliche Existenzen zerstören. Wir bekennen Farbe, wenn wir erkennen und aussprechen, dass wir unseren Wohlstand anders verteilen, die Chancengleichheit der Menschen verbessern müssen, die sich benachteiligt fühlen. Das gilt nicht nur für unsere Gesellschaft. 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung und Hunger. Man kann die Augen nicht davor verschließen und meinen, das hätte mit uns nichts zu tun. Hierzulande muss man bei den Jüngsten beginnen. Ganztagsschulen mit gesundem Mittagstisch und attraktiven sportlichen und musischen Nachmittagsangeboten, die auch Kindern aus abgehängten Bevölkerungsschichten eine Chance bieten, sich in die Gesellschaft zu integrieren und später in ihr aufzusteigen, verhindern die Radikalisierung vieler Jugendlicher. Solche Schulen sollten die Norm werden, besonders in Brennpunktvierteln. Das kostet Milliarden, ist aber sinnvoll investiertes Geld und wichtiger für die Zukunft unseres Landes als jede schwarze Null. Wir sollten Farbe bekennen, indem wir uns lautstark und international gegen jede weitere Aufrüstung mit konventionellen und erst recht atomaren Waffen wenden. Denn wir wissen, das hat in der Menschheitsgeschichte letztlich immer zu Kriegen geführt. Genügen uns die beiden Weltkriege nicht? Die heutige atomare Overkill-Kapazität gleicht bereits der Zerstörungskraft von 2.500 Zweiten Weltkriegen! Genügt der Menschheit nicht Hiroshima mit „Little Boy“ und der genau so erschreckend niedlich benannten Atombombe „Fat Man“, die auf Nagasaki fiel, mit geschätzten 200.000 Toten - für alle Zeiten als Abschreckung? Hat sich dieses Ereignis nicht tief genug in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt? Ist es nicht zutiefst unmoralisch, dass Deutschland die weltweit drittstärkste Waffenexportnation ist? An welche Staaten liefern wir diese Waffen? In welche Hände geraten sie? Wird nicht auch in Syrien mit unseren Waffen getötet? Wie können wir das mit unserem christlich geprägten Gewissen vereinbaren? Noch aktiver als bisher sollten wir uns außerdem für die Erhaltung unseres schönen Planeten einsetzen. Jede, jeder mit kleinen alltäglichen Maßnahmen, nur nicht nachlassen, bitte. Und lasst uns gemeinsam aktiv dafür eintreten, dass die bunten Fahnen der 28 Mitgliedsländer der EU auch zukünftig nebeneinander und miteinander im Wind flattern, Brexit, Erdogan und Trump zum Trotz, nun erst recht. Im Alleingang werden wir scheitern.
Wir müssen uns aufraffen, Farbe bekennen, Flagge zeigen. Nicht nur vernehmlich darüber reden, sondern handeln. Sich engagieren nur zum Beispiel bei Greenpeace, Amnesty International, bei Attac oder in einer Kirchengemeinde. Mitmachen, aktiv etwas verändern wollen ist sicher besser, als nur über „die da oben“ zu schimpfen. Lassen wir es einfach so weiter laufen, werden uns die Nachkommen zu Recht schwere Versäumnisse vorwerfen.

Der Farbkreis des Johannes Itten aus dem Jahre 1961 ist weiter verbreitet als Farbkreise von bekannten Persönlichkeiten wie Newton oder Goethe. Johannes Itten ist es gelungen ist, mit wenigen Farben als einfache geometrische Darstellung die Zusammenhänge der Farben aufzuzeigen. Gerade einmal 12 Farben verwendet er in seinem Modell. Die Basis bilden die drei Primärfarben Blau, Gelb und Rot. Man spricht hier von "Farben erster Ordnung." Eine sogenannte Sekundärfarbe, "Farbe zweiter Ordnung", erhält man, wenn man zwei Primärfarben mischt. Aus Blau und Gelb entsteht Grün, Blau und Rot ergeben Violett und wenn man Gelb mit Rot mischt, bekommt man Orange. Die drei Sekundärfarben erweitern Ittens Farbkreis auf insgesamt sechs Farben. Weitere sechs Zwischenfarben komplettieren die bunte Darstellung.

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