Das Geschenk zum 25. Hochzeitstag - Page 2

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dem Limit, 70 Euro. Wir müssen uns an die Vorgaben halten. Dann also das Silberhufeisen. Ich bestelle es gleich heute. 30 Euro. Dann können wir noch eine sündhaft teure Flasche Wein dazu geben. Was meinst du?“

„Am Ende haben wir dann auf dem Geschenketisch 3 oder 4 Silberhufeisen, zudem mehrere Kerzenhalter aus Silber und mindestens 2 Hochzeitsfoto-Karikaturen. ALLE schauen sich das im Internet an. Echt ALLE. Wir können diese Online-Suche vergessen, Biggi, komplett vergessen. Da jeder Eingeladene dort surft, selbst die Eltern der zwei Glücklichen, werden alle, außer uns, die angesprochenen Geschenke bringen. Keine Eigeninitiative, keine Fantasie, keinerlei echtes Engagement. Wir müssen uns daher vom tumben Pöbel abheben. Wir sollten ein extraordinäres Geschenk aussuchen. Eines, von dem die Familie Kubscharre noch in Jahren sprechen wird. Es soll Thema auf jeder Haus-Fete, auf jeder Feuerwasser-Feier, auf jeder Kubscharre’scher Home-Orgie sein. Es soll in aller Munde...“ (Birgit unterbricht)

„Schon gut, ist ja gut. Du echauffierst dich ja richtig. In Ordnung, ich bin mit diesem Vorschlag einverstanden. Wir haben exakt 3 Wochen Zeit. In dieser Zeit suchen wir täglich, gleich nach der Arbeit, unabhängig voneinander, in diversen Shops, Stores und Geschäften aller Art, außer Tankstellen, die Tanke ist tabu, nach einem wirklich passenden Geschenk. Am Abend vergleichen wir die Ergebnisse. Der Kauf wird erst dann getätigt, wenn wir ihm beide dann zustimmen. Spätestens in 18 Tagen muss eine Entscheidung gefallen sein. Einverstanden, Bärchen?“

Konrad nickte. „Das geht so in Ordnung!“

Birgit schien engagierter. Sie stöberte in bizarren Hobby-Höhlen, in exquisiten und viel zu teuren Gift-Shops, in allerlei kuriosen Antiquitäten-Läden und auch in sieben Weinhandlungen der gehobenen Klasse. Konrad schob, mit einigem Missmut, den dicken Bauch durch Büchereien, Gourmet-Spezialitäten-Geschäfte - und Sexshops. In letzteren hielt er sich stets sehr lange auf. Zuhause klammerte er diese Besuche grundsätzlich aus, den mitunter hochroten Kopf konnte er jedoch nicht verstecken. Die sehr clevere Birgit wusste Bescheid. Ihr war aber auch klar, dass ihr „Bärchen“ gar keine Traute und, vor allem, keinerlei „kriminelle Energie“ zum Fremdgehen in sich trug. Er war harmlos. Und umschauen durfte er sich gern. Davon profitierte ja auch, in der Regel, ihr Sexleben. Sie verglichen also Abend für Abend die Notizen. Dann strichen sie alles aus, was auf gar keinen Fall in Frage kam. Vieles war zu teuer. Einiges kam zwar in Frage, scheiterte aber am Veto Birgits.

Schließlich hatten sie nur noch 2 Tage Zeit. Ergebnisse hatte ihre mehr oder weniger intensive Suche nach einem passenden Geschenk nicht erbracht. Birgit spürte immer hektischer den wirklich guten Geschenk-Ideen nach, während Konrad, stetig träger und desinteressierter werdend, kaum noch wirklich engagiert nach einem Präsent suchte. Oberflächlich trieb er sich in den großen Kaufhäusern herum, argwöhnisch von den Sicherheitsangestellten beäugt. Stundenlang schlurfte Konrad durch all die Gänge und Etagen, wusste nicht so recht, wohin ihn die Füße trugen. Treppauf und treppab, mal einen Schirm betrachtend, dann wieder einen Luxus-Rucksack. Heftig seufzte der dicke Konrad. „Geschenke... Ich hasse das so. Geschenke aussuchen. Wir haben uns ja geschworen, uns nie wieder etwas zu schenken, Birgit und ich. Das war eine gute Idee. Seither entfällt dieser Stress. Wenn Biggi mal einen Hunni nebenbei braucht, bekommt sie den eben. Kein Stress, keine Hektik, keinerlei Probleme mit dem Einpacken und dem Umtauschen. Alles easy...“

Konrad schmunzelte. Solch eine Vereinbarung ist der reine Segen für eine Ehe. Die gute Birgit. Stets so pragmatisch, rational und unkompliziert. Die perfekte Ergänzung für einen großen, dicken Teddybären, der nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte zu sein scheint. Auch Birgit hatte das schon sehr früh gewusst: In der Partnerschaft konnte das schwächste Glied der Kette nur einer sein: Konni. Und so ließ sie ihm die eine oder andere Dummheit durchgehen. Er war eben ihr großer, tapsiger Bär, auch etwas, wie sie es gern nannte, „langsam im Kopf“. Aber eben sehr lieb. Und treu. Sie liebte Konni, wusste sie doch ganz genau, was sie an ihm hatte. Er brachte sie zum Lachen. Das ist eigentlich der entscheidende Faktor vor der Eheschließung gewesen. Das allein hatte den Ausschlag gegeben. Sie liebte Konnis Humor. Es tat ihr aber auch gut, der Boss zu sein. Beide wussten das, und beide akzeptierten diese Konstellation.

„Übermorgen ist die Feier. Was ist denn nun, Birgit? Wir haben endlos lange Zettel, auf denen ohne Ende die Ergebnisse unserer Sichtungs-Touren vermerkt sind. Aber da ist alles durchgestrichen. Nicht ein Punkt ist übrig. Nein, wir hatten keinen einzigen Favoriten. Vieles ist zu teuer, einiges zu billig. Die Torte mit der riesigen 25 hat dir nicht gefallen?“

„Nein. Weil Rita hervorragend kocht und bäckt. Es würde ihr Ego beschädigen, wenn wir mit einer Mega-Torte anrückten. Sie wäre ernsthaft beleidigt. Nein, das geht nicht. Versuchen wir es heute noch einmal. Mit gewaltiger Anstrengung, bitte, ja? Schwärmen wir also aus. Ein letztes Mal. Treffen wir uns hier wieder, um 19 Uhr. Da bleiben uns jetzt noch exakt 5 Stunden. Gib dir Mühe, Bärchen. Wenn wir uns einigen, können wir das Geschenk morgen früh gleich kaufen gehen. Also? Bereit?“

Konrad nickte. Wie er mittlerweile diese Shopping-Touren hasste. Er hatte längst den Bezug komplett verloren. Oftmals wusste er gar nicht mehr, was er in all den Läden überhaupt suchte. Wenn er dann sinnend und leicht verloren wirkend einen silbernen Fingerhut hochnahm und lange betrachtete, hatte er den Eindruck, als sei er in einer Art abstrusen Zwischenwelt gefangen, von Parallel-Universum zu Parallel-Universum schlingernd. Unwirklich, wie benebelt, taumelte Konni von Shop zu Shop. Als er dann in einem 1-Euro-Shop angelangt war und eine Karte für, folgerichtig, 1 Euro sah, zum 25. Hochzeitstag, hätte er fast geweint. „Was mache ich hier? Ich sollte nach Hause gehen, es ist jetzt 18:30 Uhr. Biggi hat sicherlich etwas gefunden. Sie hat´s deutlich bessere Gespür für die zwischenmenschlichen Dinge. Ich geb auf. Hoffentlich hat die gute alte Birgit Erfolg gehabt.“ Müde und träge schlurfte Konrad nach Hause. Zurück zur cleveren, noblen und aufopferungsvollen Gattin. Doch recht bekümmert erwartete ihn Birgit. Schuld, Scham und Schwäche zeichneten sich im Gesicht ihres Gatten ab... Eine ganz ähnliche Mimik zeigte Biggi auf.

„Schon gut. Du hast nichts gefunden, ich auch nicht. Zuletzt hatte ich eine dieser Schneekugeln, mit einer 25 drin, in Händen. Da hätte ich fast geheult...“ Ja, Konrad kannte das. Sie waren komplett gescheitert. 20 Tage der verbissenen Suche und des konzentrierten Wühlens, Schauens und Stöberns - und kein Ergebnis. Was sollte da morgen überbracht, übergeben werden? Und wirklich alle Augen würden auf dieses Geschenk gerichtet sein, wenn das glückliche Silber-Paar gemeinsam das Geschenkpapier zerfetzte. In bester Manier: gescheitert. Wie peinlich.

Auf zur Tankstelle. Dort wurde ein großes Pralinenschachtel-Herz gekauft, zu einem völlig überteuerten Preis, außerdem eine Flasche Whisky, der etwas besseren Sorte. Und weil all die Peinlichkeiten an diesem Tag einfach kein Ende zu nehmen gewillt schienen, kauften sie auch noch das neueste „Guinness Buch der Rekorde 2020“. Jetzt hatten sie 93,95 Euro für diese 3 Präsente ausgegeben. Beide waren sich da einig: Sie hätten unbedingt eine Flasche Latte di Suocera kaufen sollen, mit 70 %, und dieses blöde Silberhufeisen. War Rita nicht auch ein glühender Fan von Florian Silbereisen, zu Dieters Leidwesen? Was wäre wirklich passender gewesen? Eben. Das Hufeisen.

Nach der Feier küsste Rita ihren Dieter. Ein gelungener, wenngleich auch etwas steriler Hochzeitstag mit insgesamt 8 Gästen. Im eigenen Garten hatten die Kubscharres die festliche Tafel aufgebaut. Es gab ein wunderbares Mahl mit drei Gängen, eine Nachspeise, in die man sich hätte reinlegen können, so Onkel Max, und erlesene Weine aller Art. Alle mit Mund- und Nasen-Schutz-Masken, in angemessenem Abstand. Es sah lustig aus, wie alle zehn Anwesenden die Masken geringfügig herunter zogen, um sich das Futter einverleiben zu können, um sie hernach gleich wieder, zum Kauen und Verdauen, hochzuziehen. Es gab auch drei Raucher, die entsprechend kurz, nur für das Einsaugen, die Masken herabzogen. Maske wieder hoch. Dann, zum Ausatmen, wieder runter damit. Alle sollten auf gar keinen Fall, wäre ein Ordnungsamt-Mitarbeiter auf der Feier aufgetaucht, getadelt werden. Es war, rein vom Faktor Corona-Krise aus betrachtet, eine einwandfreie Feier. Richtig Stimmung sollte jedoch nie aufkommen. Selbst dann nicht, als Max seine berühmte Hans-Albers-Persiflage brachte, nach der 4. Flasche Wein im Rund: "Kleine Möwe, flieg nach Helgoland, bring dem Mädel, das ich liebe, einen Gruß, ich bin einsam und verlassen, und ich sehne mich nach ihrem Fuß..." Eigentlich sehnt sich der einsame Seemann nach einem Kuss von seinem fernen Mädel. Das wäre der Original-Text. Aber alle, wirklich alle wissen von Onkel Max und seinem Fuß-Fetisch. Schade, durch die Schutzmaske wirkte das Lied ein wenig kehlig und dumpf, seltsam verfremdet. Die "kleine Möwe" blieb das einzige Highlight des trunkenen Onkels. Man hörte ihn hernach in einer Gartenliege schnarchen, nach diesen vier Flaschen Wein. Dort mochte er von zierlichen Damen-Füßen träumen. Man gönnte es ihm, hatte der arme Mensch doch sonst nicht viel vom Leben überlassen bekommen.

Rita fand, wie auch ihr Mann, die Feier zum 25. Hochzeitstag gelungen. Nicht übermäßig, kein Schenkelklopfer, sicher kein Highlight dieses Jahrzehnts, aber doch, sagen wir, ganz in Ordnung. Vor allem das Essen und der Wein wurde vielmundig gelobt. Auch der Kuchen, Ritas Werk, wurde in den höchsten Tönen gepriesen. Hierfür wurden, nur ganz kurz, die Masken nach unten gezogen. So begeistert war man. Nach all dem Trubel, als alles aufgeräumt und wieder sauber war, meinte Rita dann, sehr glücklich über die gelungene Feier:

„Birgit und Konrad laden wir aber nicht mehr ein, was meinst du? Solch fantasielose Präsente hat sonst keiner gebracht. Da hat sich selbst Onkel Max mit seinem Silberhufeisen plus Gravur mehr Mühe gegeben. Ich war tief enttäuscht. Für mich sah es so aus, als hätten die das mal eben, auf den letzten Drücker, an der Tankstelle, hier nebenan, besorgt. Ich hab dort exakt diese Pralinenschachtel in Herzform gesehen. Und die haben auch das Guinness-Buch der Rekorde 2020. Das ist ja so peinlich... Das hat mich sehr enttäuscht. Freunde werden wir sicherlich nie werden. Eben nur Nachbarn und leidlich gute Bekannte. Ich war schon drauf und dran, Birgit als echte, gute Freundin zu betrachten. Und dann dieses Präsente-Fiasko. Ehrlich jetzt, Dieter, peinlicher geht´s nicht.“

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