Nadelstiche (unerwünschte Betrachtungen)

Bild von Alf Glocker
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Manchmal, wenn ich aus meinen Träumen erwache, die meistens ohnehin Alpträume sind, beginnen auch schon die Teufelchen oder die Engel (?) mit ihrer täglichen Vernichtungstherapie an meiner Seele: Mir fallen sofort Augenblicke im Leben ein, in denen ich mich falsch verhalten habe. Diese werden natürlich mit der Zeit immer mehr. Denn ich kann es einfach nicht abstellen, Dummheiten zu machen.

Ich schreie dann innerlich auf und rufe unhörbar: „Das kann doch alles nicht wahr gewesen sein!“ Aber es hatte sich leider tatsächlich so zugetragen. Dabei geht es um dumme Bemerkungen, um ein Schweigen an der falschen Stelle (wo man eigentlich hätte reden sollen), um das Nichtwahrnehmen einer Chance (jemanden zu lieben) oder um das Ereignis, jemanden geliebt zu haben, der es gar nicht verdiente.

Ungerechtfertigte Wutausbrüche kommen hinzu, wo ich einen Menschen niedermachte, der nichts Böses tat, ebenso wie braves Stillhalten, bei Gelegenheiten, wo ich über einen Missetäter hätte herfallen sollen. Es ist zum Auswachsen! Mindestens 1 Million X habe ich mir schon vorgenommen, daß mir derlei Ungereimtheiten nicht mehr unterkommen – es hat nichts genützt.

1 Million X habe ich schon zu mir gesagt: „So, Freundchen, das war jetzt genau das letzte Mal, daß du dich verhältst wie ein Oberdepp – aber du bist ja noch nicht völlig verblödet … und deshalb wird das in Zukunft nicht mehr passieren, denn du bist ab sofort ein anderer Mensch geworden, ein erwachsener, vernünftiger Mensch!“ Doch was kommt dann? Dann kommt die Zukunft … und die ist leider nicht perfekt planbar.

Ganz besonders in Situationen, wo ich mich außerordentlich wohl fühle, wo ich mir und dem Leben so sehr vertraue, daß ich meine, einfach so sein zu dürfen, wie ich nun mal eben bin … genau da muss ich reinfallen, muss ich mich hereinlegen lassen, muss ich Opfer werden, von unglücklichen Umständen, die ich, leidenschaftlich, wie ich manchmal bin, nicht richtig beurteilt habe.

Und warum ist das so? Weil ich halt fehlerhaft bin, weil ich naiv bin, und weil ich mich bisweilen einfach zu optimistisch verhalte, zu unbekümmert, um dem einzigen wahren Gott, dem großen Fallensteller, den angemessenen Tribut zu erweisen. Ich schaffe es einfach nicht, mich an den richtigen Stellen, genauso verschlossen, listig und triebhaft zu verhalten, wie es einem Mann meines Alters zukommt.

Schon in der Schule konnte ich die Anforderungen dieses Gottes, der selbstverständlich auch der Gott der Lehrer, wie auch der Schüler war, erfüllen. Ich liebte einfach das Leben und hasste alle, die es für sich vorteilhafter bewältigen konnten als ich … und deshalb konnte mich jeder austricksen. Die wichtigen Dinge auf Erden konnte ich einfach nicht erlernen und so hatte ich überall schlechte Noten.

Die Schule des Lebens erteilte mir einen Verweis nach dem anderen, ich musste nachsitzen, wurde körperlich und geistig verprügelt, von den Mädchen ausgelacht, manchmal auch wirkungslos angelacht … und warum? Weil ich keines der Zeichen verstand, verstehen konnte, die mir der große Fallensteller zukommen ließ, um mich, von der schiefen Bahn weg, ins rechte Leben zu führen.

Niemand weiß, warum ich, mitten auf der Straße, oder auch am Mittagstisch, auch im Bett, wenn ich noch gar nicht eingeschlafen bin, laut aufstöhne, so als hätte ich einen Nadelstich, mitten ins Herz, oder womöglich auch nur in den Allerwertesten bekommen. Das weiß nur ich. Eine meiner unzähligen Erinnerungen hat mich eingeholt – eine, die ich einfach nicht verdrängen kann.

Es ist, als gäbe es für mich kein Unterbewusstsein, eines, in dem sämtliche Leichen gestapelt werden können, die man hinterlassen hat. In meiner Seele leben sie alle fort – sie sind unsterblich! Und jeden Tag, jede Nacht erscheinen sie von neuem. Nichts von alledem habe ich vergessen/werde ich je vergessen können, was mich plagt … und täglich kommen neue Ereignisse, neue Wunden hinzu.

Wann sie einmal heilen werden, ist ungewiss. Nur wenn ich nicht mehr bin, darf ich darauf hoffen, mit mir ins Reine zu kommen? Nein! Vermutlich werde ich, schwer beladen, die Seiten wechseln … und wenn es ein Jenseits gibt, dann wird sich dort höchstwahrscheinlich fortsetzen, was auf Erden seinen fatalen Anfang nahm: Ich werde darunter leiden, nicht fehlerlos reagieren zu können und ich werde wohl niemals vergessen können, wer ich bin, wer ich war und wer sich nicht daran hindern lässt, so zu sein, wie er nun, verdammt noch mal, zu sein hat. Es ist eine Schande!

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Kommentare

24. Apr 2018

Nicht zum Vergessen. der Essay -
Erinnerung tut gerne weh ...

LG Axel

29. Apr 2018

Am besten gleich total dement -
damit man nichts von allem kennt....

LG Alf