Der Ballon - Page 2

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von Mark Read

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Sebastian Bäumler, dessen Erfindung er, Schneider, vermarktet und weltweit erfolgreich gemacht hatte. Mit beißendem Sarkasmus erzählte er, wie einfach es war, Bäumler aus der Firma zu drängen und ihm seine Anteile für ein paar hunderttausend Mark abzukaufen.

Ich habe mir sagen lassen, dass Sebastian heute wieder in Geislingen lebt, wo er aufgewachsen ist, sagte Schneider breit grinsend. Das sagt doch alles, nicht wahr. Geislingen, Provinz, da gehört er hin, der Bäumler. Das ist sein natürlicher Lebensraum. Für die große Bühne war er nie gemacht, im Gegensatz zu mir. Einen Puma können sie auch nicht an den Nordpol stecken und dann sagen: Mach mal, werde der Herrscher dieses Landstrichs. Der geht dort ein, weil er nicht dafür gemacht ist. So war das mit dem Bäumler, dem armen, naiven Kerl.

Und sie, sie lächelte an dieser Stelle, obwohl sie sich innerlich dachte, was für ein Arschloch dieser Schneider doch war. Ihm hingegen gefiel es, dass sie lächelte. Ich sehe, mein Humor kommt bei Ihnen an, sagte er. Das freut mich. Das macht Sie nur noch attraktiver.

Aus ihrer Sicht gab es eine bittere Wahrheit an der ganzen Geschichte: sie war auf Schneider angewiesen. Dass sie diesen Auftrag bekommen hatte, war für sie ein Geschenk des Himmels. Zwar war sie schon lange eine bekannte und gefragte Ghostwriterin, doch eigentlich waren Aufträge mit derart bekannten Kunden für sie eine Nummer zu groß. Dennoch hatte Schneiders Berater sie ausgewählt, um die Autobiographie des erfolgreichen Investors zu verfassen. Ein Buch, in dem die Geschichte eines grandiosen Aufstiegs erzählt werden sollte. So etwas liebten die Leute: Armer Junge vom Land wird zu einem der reichsten Männer der Republik, fast wie in Hollywood. Sie wusste, dass das Buch sich gut verkaufen würde, und sie konnte das Geld derzeit gut gebrauchen.

War aber die Hoffnung auf gute Verkäufe der einzige Grund dafür, dass sie Schneiders arrogantes Gehabe bislang kommentarlos hingenommen hatte? Normalerweise war sie Männern gegenüber nicht so zimperlich. Wenn ihr das Verhalten eines Gegenübers nicht gefiel, hatte sie keine Scheu, das auch deutlich zu machen. Es gab Männer, die genau diese direkte Art an ihr anziehend fanden, doch ihr war auch bewusst, dass dies ein Grund für ihre Einsamkeit war. Noch nie hatte sie eine Beziehung länger als sieben Monate am Leben halten können. Immer war die Luft raus, sobald die Phase des rein körperlichen Verlangens überwunden war und es ans einträchtige Zusammenleben ging.

Was hatte es also mit Schneider auf sich? Was war der Grund dafür, dass sie seine Avancen nicht rundheraus abgelehnt hatte, dass sie sogar hier mit ihm beim Edelitaliener in Bogenhausen saß?

Wieder flackerte das Bild von einem Leben an seiner Seite vor ihrem geistigen Auge auf, ein Dasein frei von materiellen Sorgen. Würde sie über seine charakterlichen Schwächen hinwegsehen können, wie auch über die Tatsache, dass sie Schneider nicht im eigentlichen Sinn begehrte, wenn sie dafür ein Leben in Luxus führen könnte? Kurz dachte sie an Kreuzfahrten über das Mittelmeer, Reisen auf die Malediven und ein Ferienhaus in der Toskana. Doch erneut verwarf sie das alles und zwang sich zu rationalen Gedanken. Bei einem solch widerwärtigen Menschen wie Schneider konnte keine Liebe im Spiel sein, dafür kannte sie sich selbst zu gut. Vielleicht, sagte sie sich, war sie ja nur mitgekommen, um eine gute Gelegenheit abzuwarten, dem Ballon die Luft abzulassen.

Schneider schüttete bereits sein drittes Glas Rotwein in sich hinein, während sie noch beim ersten war. Sein ohnehin ausgeprägter Hang zum Erzählen steigerte sich mit jedem Schluck. Das Gespräch wurde zunehmend vertraulicher. Schneider wollte ihr zeigen, wie sehr er ihren Intellekt schätzte. Also plauderte er nicht mehr über Banalitäten oder über ihr Aussehen.

Er hatte schnell begriffen, dass ihm hier kein blondes Dummchen gegenüber saß, das man mit leichtem Aufwand zum Kichern bringen konnte. Nein, sie sollte sehen, dass sie für ihn nicht nur eine Frau wie viele andere war. Vom ersten Moment an, als er ihr die Tür zu seiner Villa geöffnet und sie mit einem sanften Händedruck willkommen geheißen hatte, hatte sie ihm ausnehmend gut gefallen.

Er fand sie ausgesprochen hübsch mit ihrer leicht spitz zulaufenden Nase und den hohen Wangenknochen, zudem war sie brünett. Die allermeisten seiner Kurzzeit-Freundinnen waren Blondinen, die sahen einfach immer gut aus und machten etwas her. Doch die hier, diese Ghostwriterin, gefiel ihm auch mit anderer Haarfarbe sehr gut. Auch weil sie so zurückhaltend war. Viele dieser austauschbaren Weiber, die er in Edel-Nachtklubs kennen lernte oder die ihm zuweilen auch schon mal bei Geschäftsmeetings mehr oder weniger unverblümt angeboten wurden, plapperten und kicherten pausenlos, und das konnte er nicht aushalten. Da hätte er auch gleich in seinem oberbayerischen Dorf bleiben und die Tochter des Schmieds heiraten können. Nein, er brauchte eine gebildete Frau mit Taktgefühl und Verstand, und die gab es nun einmal nicht von der Stange.

Zum Glück war sein Lebensweg so verlaufen, dass er eben nicht im Dorf geblieben war. Durch Ehrgeiz, Geschäftssinn und Tatkraft hatte er, Peter Schneider, es zu etwas gebracht. Nun war er sechsundvierzig und einer der reichsten Menschen des Landes, bald würde ein Buch über die erste Hälfte seines erfolgreichen Lebens erscheinen. Und er verspürte das Bedürfnis nach einer Frau an seiner Seite. Warum nicht die Ghostwriterin hier?

Kennen Sie eigentlich, sagte Schneider und fixierte sie mit seinen Augen, um deren Wirkung auf Frauen er nur zu gut wusste, das Sprichwort: Auch das Glück muss man sich erarbeiten? Sie lächelte wieder und nickte. Wollte etwas sagen, fand aber die Worte nicht.
Aber Sie wussten mit Sicherheit nicht, fuhr Schneider fort, dass ich meinen geschäftlichen Erfolg auch einem glücklichen Zufall verdanke. Sie schüttelte den Kopf und nippte an ihrem Wein.

Schneider lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er schien sich zu sammeln.
Also, begann er schließlich, und sein Gesicht verwandelte sich in das eines Märchenonkels, dann erzähle ich Ihnen jetzt mal eine Geschichte, die außer Ihnen niemand je gehört hat. Und die außer Ihnen nie jemand zu hören bekommen wird. Denn eines müssen Sie mir versprechen, schöne Frau – und hier blickte er ihr direkt ins Gesicht – diese Geschichte darf nicht

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"Der Ballon" ist eine von sieben Erzählungen im Samelband "Zufällige Bekanntschaften" (eBook oder Taschenbuch).

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"Der Ballon" ist eine von sieben Erzählungen im Sammelband "Zufällige Bekanntschaften" (eBook oder Taschenbuch).
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