Meine Freundin hat einen Esel

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von Heide Nöchel (noé)

Meine Freundin hat einen Esel. Aus ihrer Sicht ist das nicht so, der Esel mag das anders sehen; vielleicht hat er ja auch sie? Wir haben ihn jedenfalls zusammen kennengelernt. Und das ging so.

Was auf alle Fälle wahr ist: Meine Freundin hat ein kleines rotes Cabrio, auf das sie sehr stolz ist und mit dem sie immer „offen“ fährt, wenn es nur irgendwie geht. In diesem Cabrio saßen wir, als wir von der Via Costituzione in die Via Mormora einbogen – und sofort im Stau standen. Die Ursache dafür schien ein weiter vorne rangierender LKW zu sein, der den Verkehr am Fließen hinderte, die Via Mormora ist ein nur schmales Einbahngäßchen.

„Ouh! Das wird schwierig …!“, stöhnte meine Freundin und meinte damit das Finden einer Parklücke weiter voraus, wo sie wohnte.

Es ging schrittchenweise vorwärts. Die Automusiker hinter und vor uns stimmten ihre Hupen: Es ist erstaunlich, welche Klangfarben da verbaut werden!

Plötzlich tauchte ein hängender grau-brauner Zottelkopf neben meiner Freundin auf, ein Esel. Er trottete geduldig in Schleichgeschwindigkeit neben uns her, hielt an, wenn wir anhalten mussten und trottete weiter, wenn wir weiterkonnten. Wenn wir standen, spielten seine Ohren etwas und er warf meiner Freundin einen schnellen Seitenblick zu. Natürlich waren wir zuerst etwas erschrocken, denn unvermutet einen großen Eselskopf in Greifhöhe neben sich zu haben – da wird es schon etwas dunkel. Aber er war ja friedlich und so begannen wir, unsere Witzchen zu machen und darüber zu lachen.

Unbeeindruckt zottelte das Tier auf gleicher Höhe mit uns weiter. Der Stau zog sich.
„Pardulas hast du gekauft?“, fragte meine Freundin mit einem Blick hinter mich auf die Rückbank.
„Ja, Pardulas miste“, antwortete ich und griff nach dem Päckchen aus der Pasticceria, in dem sich das Gebäck befand. „Willst du schon jetzt eine?“
„Das dauert hier sicher noch länger“, sagte sie, „ich habe seit heute Morgen nichts mehr gegessen …“

Auch mir war bei dem Gedanken an die Süßigkeit das Wasser im Munde zusammengelaufen. Ich wollte den Espresso bei ihr nicht mehr abwarten, öffnete das Päckchen und wir verspeisten genüsslich jede eine dieser gehaltvollen Minitörtchen. Plötzlich schlang sich eine Eselszunge um das Lenkrad, das meine Freundin mit ihren wohl noch gesüßten Fingern angefasst hatte: Der Esel leckte das Lenkrad und die Hand meiner Freundin hingebungsvoll ab. Unser beider Kreischen erschreckte ihn nicht im mindesten und ging sowieso in dem Hupkonzert hinter und vor uns unter. Der Esel blickte uns freundlich und langandauernd mit feucht gewordenen Augen – so schien es uns – genau in unsere Gesichter. Sein Blick war sehr eindringlich, aber er schien ganz geduldig abzuwarten.

Wir schauten uns mit klopfenden Herzen an, verständigten uns ohne Worte und ich reichte ihm mit ausgestrecktem Arm, an meiner Freundin vorbei, ein Gebäckstück mit Käse, das er sehr vorsichtig mit großen gelben Zähnen von meiner Handfläche pflückte und ohne zu krümeln aß. Die anderen Törtchen versteckte ich in einem unbeobachteten Moment in meiner Tasche.

Der Esel geleitete uns weiter. Und gerade, als wir einen parkenden LKW überholt hatten, fädelte sich genau vor uns ein Wagen in den stockenden Verkehr und räumte so meiner Freundin seinen Platz – genau vor ihrem Haus! Das war mehr als Glück.

Der Esel ließ uns aussteigen, meine Freundin verschloss ihr Cabrio und wir gingen ins Haus, nicht, ohne dem geduldigen Begleiter die Stirnfransen zu kraulen, was er sichtlich genoss, denn er senkte sein schweres Haupt und lehnte sich damit auf den Arm meiner Freundin.

Das Hupkonzert ließ nicht nach. Als wir aus dem Küchenfenster nach unten schauten, sahen wir: es galt ihm, „unserem“ Esel, der die schmale Fahrbahn neben dem Cabrio blockierte und die wütenden Autofahrer zwang, sich an ihm vorbei auf dem eng begrenzten Gehstreifen nahe der gegenüberliegenden Hauswand entlangzuschummeln.
Irgendwann fiel uns auf, dass niemand mehr hupte und als wir nachschauten, war der Esel verschwunden.

Tage nach dem gemeinsam verbrachten Wochenende rief mich meine Freundin an. Sie hatte Neuigkeiten von dem Esel zu berichten:

Er hatte sie am Montag an der Kreuzung Via Costituzione/Via Mormora regelrecht abgepasst und war in Fahrgeschwindigkeit neben ihr hergetrottet. Am Dienstag stand er schon ein Stückchen weiter am Eingang zum Vico Barcelona und begleitete sie von dort aus zu ihrem Hauseingang. Sie hatte schon mit dieser Möglichkeit gerechnet und sich auf Verdacht ein Panino imbottito mit Salami aufbewahrt, das er ihr dankbar – wie es schien – aus der Hand fraß. Am Mittwoch hatte er wohl gelernt, dass sie dort immer hielt, wo sie hielt, und erwartete sie vor ihrem Haus. Und das war sehr praktisch, denn er stand genau am Straßenrand und räumte ihr seinen Platz, so dass sie problemlos einparken konnte.

Seitdem hatte meine Freundin nie wieder Parkplatzprobleme, denn ihr grauer Ritter von der traurigen Gestalt war niemand, der sich so einfach fortbewegen ließ. Keiner Argumentation zugänglich hielt er ihr treu jeden Tag ihren Platz direkt vor ihrem Haus frei – und das für ein kleines Handgeld in Form von Karotten, einem Apfel oder auch mal einem belegten Brötchen. Und natürlich einem Zausen seiner Zotteln, das er mit einem leichten Stüber seiner weichen Nüstern beantwortete.

© noé/2018

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