Es ist Winter, tiefer, tiefer Winter.
Seit Tagen hat es unaufhörlich geschneit, so dass die Schneedecke auf mindestens zwei Meter angestiegen ist.
Für uns Flachland-Tiroler läuft bei solchen Mengen gar nichts mehr. Alle Straßen, Wege, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen sind geschlossen. Supermärkte und Tankstellen sowieso.
Wer nicht rechtzeitig vorgesorgt hatte, war nun am Arsch.
Zum Glück hatten mein Mann und ich die Warnungen und Vorankündigungen des Wetterdienstes ernst genommen und riesige Mengen an Vorräten gekauft, so dass wir jetzt eine ganze Weile auskommen müssten.
Vorvorgestern nun war der erste Tag an dem es weniger heftig schneite und unsere beiden Kinder Marie und Justin hatten eine Schneemannfamilie gebaut, bestehend aus Vater, Mutter, zwei Kindern und einem Hund.
Schön sind sie nicht geworden, das muss ich schon sagen. Der eine Schneemann hatte einen Buckel und nur ein Auge, der andere hatte gar keine Augen, die Kinder haben Reißzähne implantiert bekommen und der Hund hatte einen riesigen Kopf mit glühenden Augen, die aus roten Äpfeln bestanden.
Wir wohnen am Waldrand, drei Kilometer vom nächsten Haus entfernt, und wir waren jetzt echt abgeschnitten. Diese ganze Situation hatte etwas Bedrohliches an sich, denn wir waren so etwas nicht gewöhnt, kamen wir doch aus einer Großstadt und wohnten erst seit einem Jahr hier.
Mein Mann Thomas musste kurz vor diesem unnormalen Wintereinbruch kurzfristig auf Geschäftsreise, so dass der Rest unserer Familie mutterseelenallein hier draußen war.
Ich möchte nicht verschweigen, dass sich Beklommenheit bei mir breit machte, auch hatte ich eine gewisse
Vorahnung .
Die Schneefamilie machte die Sache auch nicht besser. Bedrohlich und hässlich stand sie vor unserem Haus und blickte hämisch in unsere Richtung. Die Kinder empfanden das natürlich nicht so, für sie war alles ein Riesenspaß.
In der vorgestrigen Nacht konnte ich nicht einschlafen. Das Holzhaus ächzte und knarrte und ich dachte, das müsse wohl von den Schneemassen auf dem Dach kommen.
Ich ging in die Küche um mir etwas zu trinken zu holen, dabei blickte ich durch das Fenster. Die Schneefamilie war
weg.
Wir hatten Vollmond und ich konnte alles glasklar erkennen. Dort, wo sie stand, waren Vertiefungen im Schnee und es schien, als führten Spuren um das Haus.
Während es weiter im Haus rumorte, besonders auf dem Dach, begab ich mich wieder ins Schlafzimmer, nicht ohne vorher bei den Kindern vorbeizusehen. Die jedoch schliefen ruhig, wie ich es gewohnt war.
Zurück in meinem Zimmer fiel mein Blick auf die halboffene Jalousie und mir stockte das Blut. Ich erahnte dahinter eine Gestalt, weiß und gespenstisch. Langsam und mit Watte in den Beinen näherte ich mich dem Fenster und öffnete mit einem Ruck die Jalousie.
Ein reißzahnbewehrtes weißes Ding, das nur entfernt an einen Schneemann, als vielmehr an eine grausige Mutation erinnerte, tauchte mit einer aberwitzigen Geschwindigkeit ab, nicht ohne ein schauriges Gelächter zu hinterlassen. Bevor ich in eine wohltuende Ohnmacht fiel, sah ich die gesamte Schneefamilie hinkend, schleifend , bucklig, heulend und gespenstische Laute ausstoßend, rasend schnell wieder um das Haus verschwinden.
Als ich wieder zu mir kam, war es noch immer Nacht. Mir war kalt und ich rief mir ins Gedächtnis was ich gesehen hatte. Das konnte doch nicht wahr sein. Noch nie in meinem Leben hatte ich Halluzinationen.
Wie in Trance ging ich noch einmal in die Küche und blickte durch das Fenster. Draußen standen alle Schneefiguren, jedoch in einer völlig anderen Formation. Alle sahen sehr bedrohlich in Richtung des Hauses und schienen nur auf dem Sprung zu sein. Meine Angst ließ mich keinen klaren Gedanken fassen. Ich konnte nur immer denken, Thomas, warum bist du jetzt nicht bei mir?
Ich sah noch sehr lange auf die gespenstische Gruppe im Schnee, dann wurde ich von der Müdigkeit übermannt und Morpheus forderte sein Recht.
Als die Kinder mich weckten und mich fragten, wie ich die Figuren umgestellt hätte, konnte ich ihnen keine Erklärung, geschweige denn eine Ausrede geben. Mein dumpfes Hirn schien keines klaren Gedankens mächtig.
Die Kids stürzten hinaus und wollten die Schneefamilie zerstören, aber es klappte nicht . Sie waren durch die eisigen Temperaturen steinhart gefroren. Der Teufel hatte an alles gedacht.
Da kam mir eine Idee ...
Die folgende Nacht rückte näher und ich konnte mir vorstellen, dass die Schneefiguren der Hölle heute mutiger sein würden als noch eine Nacht zuvor.
Ich hatte den Kindern natürlich nicht erzählt, was mir widerfahren war und was ich gesehen hatte. Sie hatten nur die umgestellte Formation gesehen. Also waren sie nicht so sehr beunruhigt wie ich und gingen zu Bett.
Es kam natürlich, wie es kommen musste. Kaum stand der Mond in seiner allergrößten Pracht am Himmel, kam Bewegung in die Schneekreaturen. Sie näherten sich dem Haus und aus toten Kohlen- und Apfelaugen starrten sie durch die Scheiben. Höhnisches und höllisches Gelächter drang an mein Ohr. Mir wurde schwindelig vor Angst und jetzt versuchten sie auch noch ins Haus einzudringen.
Der Bucklige stemmte sich gegen die Eingangstür, die Kinder fletschten die Reißzähne und der Höllenhund setzte zum Sprung an, dabei stieß er ein Geheul aus, das direkt aus den Tiefen des Hades zu kommen schien.
Jetzt wäre der geeignete Augenblick, dass mir jemand zu Hilfe eilen würde. Ich hatte ja einen Plan, nur wusste ich nicht, ob er aufgehen würde. Diese Ungewissheit zermürbte mich, irgendetwas musste jetzt geschehen, sonst konnte ich für nichts garantieren.
Der Höllenhund sprang ab und ich warf mich zu Boden, denn genau jetzt musste die Fensterscheibe splittern und er ins Haus eindringen. Stattdessen hörte ich einen dumpfen Schlag und ein überraschtes Aufjaulen.
Vor dem Fenster musste sich Unglaubliches abspielen. Vorsichtig stand ich auf und blickte hinaus.
Ich erkannte einen riesigen, vier Meter hohen Schneemann mit einem freundlichen Gesicht, der sich bestimmend und entschlossen zwischen das Haus und die hässlichen Wesen gestellt hatte.
Der Hund lag zerschmettert und zerstäubt in den Wipfeln der Kiefern, dann griff er sich den Buckligen, der schon halb ins Haus eingedrungen war, hob ihn hoch und warf ihn auf die anderen, die ungläubig aus ihren schwarzen Höllenaugen blickten. Darauf nahm er sich einen nach dem anderen, riss ihnen die eisigen Gliedmaßen aus und zerstampfte sie zu Pulverschnee.
Dem Blinden drückte er zwei Kohlenstücke in den Kopf, damit der wenigstens noch einmal sehen konnte, wer ihn zurück zu seinem Ursprung beförderte.
Nachdem er alle erledigt hatte stellte er sich vor die Haustür, so dass ich den mit Kohlestücken in den Rücken geprägten Namen „Thomas“ lesen konnte.
Ich war so dankbar und froh, dass meine Idee, diesen riesigen Schneemann zu unserem Schutz zu bauen
und diesem Golem den Namen meines Mannes zu geben Früchte getragen hatte, denn er würde uns immer beschützen, egal ob er bei - oder fern von uns ist.