Ende August. Wir werden in den Herbst geschickt, langsam, aber sicher. Und wieder mal ohne Vorbereitung. Vergeblich suche ich im Programm der Volkshochschule nach einem Herbstsemester, das mich auf kommende Stürme vorbereitet:
Maßnahmen, um der Versuchung zu widerstehn, bereits im September Weihnachsmänner zu kaufen;
die erste oder die zweite Stimme?: Wer singt was bei der
bevorstehenden Bundestagswahl, und welche Art von Kreuz
wird verlangt; werden zum Beispiel auch Secondhand-Kreuze
anerkannt;
Liebeskummer (lohnt sich eh nicht), auch bei der eigenen Katze;
die nagende Frage, ob Michael Jackson wiederauferstanden ist
und ob dieses Beispiel jetzt Schule macht.
Am liebsten möchte ich alles hinschmeißen: zuallererst die Porzellanvase von Tante Hedi, dann den Wecker, danach mich selber – ins Grab, für immer.
Ich tappe seit zwei Monaten im Dunkeln; aber man sieht es mir nicht an.
Mein angegriffenes Herz rät mir dringend zu einer Reise nach Yerushalayim. Dort warte jemand auf mich: Ein glutäugiger Israeli, Poet ohne Haus und Garten, aber mit Dachterrasse, und ungläubig bis zum Abwinken.
Ich kann mich nicht entscheiden.
Mein Verstand beleidigt mich Tag für Tag: Ich sei meschugge. Das könne jeder bezeugen. Meine fünf Tibeter sind stets auf seiner Seite und in der Überzahl.
„Verlieben kannst du dich auch in Deutschland“, sagt Zäg von den fünf Tibetern, der immer das letzte Wort hat.
„Wahrscheinlich bist du es längst, und willst deshalb weg, so weit wie möglich,
stimmt 's? Es ist nämlich jedes Mal dasselbe mit dir.“ –
Er hat mich durchschaut.
Was soll ich machen?
„Weiter wie bisher“, sagt Zäg, „die Maske gegen Stirnfalten auflegen, keinesfalls aufmucken, Sojawurst essen, auf die Beantwortung deiner Fragen drängen und den Kopf in den Sand stecken.“
„Wo?“, frage ich begeistert. „Auf Sylt?“.
Zäg schweigt. Meine Frage ist unter seiner Würde, nicht wert, beantwortet zu werden. Ich finde das unfair. Meiner Meinung nach ist jede vernünftige Frage wert, beantwortet zu werden.
Zäg kennt mich besser als mein Schicksal, diktiert Einkaufszettel direkt in den Computer und ohne vorher in den Kühlschrank geschaut zu haben und hält darüber hinaus mehr als fünfzig Freundschaftsvorschläge täglich für mich bereit, fleißiger als Facebook.
„Das Meer als Geräusch ist mir immer noch lieber als Blumenkohlsalat“, sagte meine Großmutter, bevor sie starb: meschugge, auch sie!
Liebe Natascha Kampusch, weshalb sollten Sie mit Ihrem Schicksal kein Geld verdienen? Alle machen das. Lassen Sie sich nicht beirren. Die Hälfte der Österreicher ist eh gaga. Das weiß inzwischen jedes Kind.
Heute las ich in der Zeitung, Saturn habe seinen Begleiter verloren. Ich frage Sie: Inwiefern ist das relevant?
Tagtäglich verlieren Tausende von Frauen und Kinder auf dieser Welt ihre Begleiter. Danach kräht kein Hahn.
Im Übrigen hat Zäg mal wieder Recht: Ich werde nicht mein Sparkonto plündern, um nach Yerushalayim zu fliegen. Dazu bin ich (noch) nicht meschugge genug – aber dieses Thema ist damit längst noch nicht vom Tisch.