Wir trafen sie eines Abends im Cirque.
Sie folgte uns, mehr zufällig als gewollt, zwischen den bizarren Felsgestalten, verschwand gelegentlich hinter einem Busch und war plötzlich wieder da. Nein, eigentlich folgte sie uns gar nicht, sondern wir bewegten uns in ihrem Revier. Und wenn wir sie nicht angesprochen hätten …
Nun, wir sprachen sie an. Sie nahm Notiz von uns, sie vereinnahmte uns mit der ganzen Selbstverständlichkeit und ohne auch nur einen winzigen Teil ihrer Persönlichkeit aufzugeben, wie es wohl nur Katzen möglich ist.
Wir nannten sie Minouche, und sie behielt diesen Namen auch, als wir beiläufig feststellten, daß sie ein Kater war. Er war jung, schlank und geschmeidig und so unglaublich gleichmäßig getigert, daß die Streifen auf seinem Kopf ein klares Ypsilon bildeten.
Unser Haus am Rande des Talkessels akzeptierte er und genoss den kühlen Fliesenboden. Mit den Hunden des Dorfes, die uns stets besuchen, verstand er sich auf eine besondere, respektvolle Art. Wobei der Respekt meist seitens der Hunde bezeugt wurde. Ärger, verbunden mit lautstarken Auseinandersetzungen gab es jedenfalls nie. Minouche schlief, wann und wo er wollte, auf der Treppe zum Haus, auf der Fußmatte, mitten im Zimmer oder auf der Chaiselongue. Man hatte auf ihn Rücksicht zu nehmen (wenn euch meine Anwesenheit stört, dann könnt ihr ja ausziehen) und um ihn herum zu gehen. Auch die Hunde.
Yucci, unsere Hundefreundin, quetschte sich einmal am Türpfosten nach draußen. Minouche, der schläfrig den Eingang ausfüllte, sah zu ihr auf und seine Blicke sprachen Bände: „Geht es nicht etwas schneller, bitte?!“
Nestor, der immerhin der Hund des Bürgermeisters und überhaupt ein seigneur ist, ließ sich erst gar nicht auf solche diskriminierenden Situationen ein. Beide, Hund und Katze, hatten schließlich ein Gesicht zu verlieren.
Yucci ist da etwas unkomplizierter. Gelegentlich, wenn Minouche sich an einer Schale Milch labte, hatte auch Yucci Appetit und stellte sich daneben, während der Kater in aller Selbstverständlichkeit weiter schlabberte. Das ging so lange gut, bis schließlich die Gefahr bestand, daß kein Tropfen Milch übrig blieb.
Die Aussicht darauf ließ Yucci allen Respekt vergessen: „Wuff!“ sagte sie, ohne sich von der Stelle zu rühren. Minouche erhob sich langsam und ging hinaus. Nicht weil er Angst hatte. Eher so, wie sich jemand in einem guten Restaurant erhebt und geht, weil der Tischnachbar laut und deutlich „Scheiße“ gesagt hat.
Auch Minouche sprach gelegentlich mit uns, leise, zurückhaltend und in bestem Hochfranzösisch. Natürlich sprachen wir mit ihm auch in der Landessprache, es gehört sich so. Wovon er lebte, ob er noch andere Menschen hatte, wussten wir nicht. Für jene Zeit hatte er sich uns ausgesucht, und wir nahmen seine eigenwillige Freundschaft gern an.
Abends begehrte er stets Einlass und beabsichtigte, im Haus zu übernachten. Wir verwehrten es ihm. Wegen der geflügelten Nachtschwärmer wollten wir die Tür geschlossen halten, auch verfügten wie über kein „stilles Katzenörtchen“.
Minouche sah das anders. Mit allen Tricks versuchte er, uns zu überlisten, und wir hatten Mühe, ihn in einem Winkel der drei chambres superposées aufzustöbern und vor die Tür zu tragen. Er nahm es nicht übel, und nicht selten stellten wir am nächsten Morgen fest, daß er doch im Haus übernachtet hatte.
Unter unserem Haus befindet sich eine alte, ausgetrocknete Zisterne, in der sich offenbar eine Mäusegemeinschaft angesiedelt hat. Um festzustellen, ob sich Mitglieder der Gruppe über verschwiegene Gänge hinter dem Kamin gelegentlich unsere Vorräte dezimierten, stellten wir eines Nachts gut sicht- und riechbar Brot und Käse auf den Schrank. Minouche war natürlich, wenn auch unter Protest, ausgesperrt worden. Am nächsten Morgen waren die Leckerbissen bis auf den letzten Krümel verschwunden. Aha, dachten wir, die Mäuse.
Bis uns Minouche später eines Besseren belehrte. Noch etwas verschlafen, satt und zufrieden, maunzte er uns aus der hintersten Ecke des Zimmers an. Hatte er uns doch wieder überlistet.
Übrigens, wir haben tatsächlich Mäuse im Haus. Am helllichten Tag marschierte ein knopfäugiges kleines Wesen einige Zeit später quer durch das Zimmer. Minouche sah dem Mäuschen etwas gelangweilt nach. Recht hatte er. Schließlich war er nicht zu uns gekommen, um zu arbeiten…
Und so ganz nebenbei – um das Mäuschen hätte es uns auch leid getan.
Kommentare
Gerne gelesen. HG Olaf