Wind

Bild von Tanja Grün
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Ich habe das Verdeck geöffnet. In der Sonne flattert Margots Haar aus dem Kopftuch heraus und leuchtet rötlichbraun. Sie hält die Hände in den Fahrtwind, nimmt dazu die Arme hoch und lacht zu mir herüber. Das Kastanienbraun gefällt mir. Ich liebe Kastanienbraun bei Frauen, immer schon.
Kastanienbraun ist meine Wahlfarbe, sagt Margot. Und ich muss ihr immer wieder sagen, wie schön ich sie in Kastanienbraun finde. Warum sollte ich ihr den Gefallen nicht tun? Ich mag es, wenn sie mit der Erwartung der Schönen in die Welt schaut, immer gespannt auf eine Reaktion, einen hingerissenen Blick, ein Gefühl, das erkennbar wird. Außerdem kann ich Menschen, an denen mir liegt, nur schwer etwas abschlagen.
Margot scheint das ähnlich zu gehen. Vielleicht sitzen wir deshalb hier zu zweit in meinem Auto. Auf dem Weg zu Nina, die mich unbedingt kennen lernen will, weil sie wohl alles kennen muss, was für Margot wichtig ist und was mit ihr passiert, als wäre sie ihre Biographin. Eine, die den roten Faden im Geschehen aufdeckt. Margot ist eine offene Natur und erzählt gern. Unterbreitet andern gerne alles. Als könnten die ihr ihren Frieden bringen, als wären sie die dafür zuständige Instanz.
Jetzt streicht Margot das Kastanienbraun aus ihren Augen und lacht ganz entspannt. Wahrscheinlich fühlt sie sich gerade wohl. Jedenfalls sagt sie: Wie schön es hier ist. Eine faszinierende Gegend. Ich sehe nur die immer gleichen Wiesen und Wäldchen, bin müde vom Fahren, will sie aber nicht bitten, mich am Steuer abzulösen. Stattdessen halte ich vor einem kleinen Supermarkt und kaufe mir ein Red Bull. Ein Tipp von meinem Sohn. Als ich zurück zum Auto komme, packt Margot gerade ihr Schminktäschchen weg. In Ruhe, sie hat nichts zu verbergen. Als ich wieder einsteige, lächelt sie und sie lächelt, als ich die Dose öffne und die Kaugummisauce in mich hineinschütte. Dann sagt sie: Ganz toll, so ein Cabrio. Man spürt, dass man unterwegs ist. Jetzt lächle ich, nicke und fahre wieder an. An der nächsten Ampel fragt sie: Versprichst du mir, dass du mich ein paar Runden ohne Verdeck spazieren fährst, wenn es mir mal schlecht geht?
Auch im Winter?, frage ich zurück und sehe ihre Enttäuschung. Mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand fährt sie um ihren Mund herum und ertastet die beiden Furchen, die sich rechts und links gebildet haben. Wir fahren weiter, ich bin jetzt weniger müde.
Irgendwann taucht zwischen den Wiesen und Wäldchen ein See auf. Sofort wird Margot kleinmädchenhaft, ruft plötzlich mit ungewohnt hoher dünner Stimme: Lass uns schwimmen gehen!
Wir haben keine Badesachen und keine Zeit, sage ich. Aber die Sehnsucht nach dem Wasser macht Margot wohl stark, diesmal lässt sie keine Enttäuschung zu. Ich biege ab.
Wir sind allein am See und sie zieht sich sofort aus. Dass ihre Scham enthaart ist, weiß ich schon, sehe aber jetzt den kahlen Hügel in der Sonne leuchten. Was das betrifft, tut sie nur, was alle modernen Menschen tun, das hat sie mir schon erklärt. Mich hätte sie gerne ebenso modern, hat aber auch Geduld mit mir. Jetzt bemerkt sie meinen Blick und lächelt gütig. Ich soll mich wohl freuen. Freue mich auch, als sie sich an mich hängt wie an eine Boje und wir später auf der Wiese neben dem Schilf miteinander schlafen. Einen Moment lang scheint alles ganz so zu sein, wie ich es gewollt habe. Und Margot geht es wohl ähnlich, denn sie sagt plötzlich: Endlich bin ich mal bei dir und endlich bist du mal da.
Als wir weiterfahren, lässt sie das Kastanienbraun ohne Kopftuch vom Wind trocknen. Liest die Ankunftszeit vom Display des Navis ab und schreibt eine SMS.
So steht Nina schon vor dem Haus, als wir ankommen. Aufrecht und gerade, demütig wie eine Wache im Dienst vor dem Buckingham Palast, den Blick ins Nichts gerichtet. Bis sie uns hört und dann auch sieht, weil sie jetzt doch aus ihrer Starre herausfindet und den Kopf dreht. Sie fängt sofort an zu lächeln, als hätte man ihr auch dazu einen Befehl gegeben, zieht ihren Mund fast über die gesamte Breite ihres Gesichts. Ihre Stimme ist hell und freundlich, sie singt uns ihre Begrüßung entgegen, als wir ausgestiegen sind. Nimmt Margot in den Arm und hält sie ein bisschen fest, mir streckt sie ihre Hand entgegen und nickt mir zu, als ich ihr meine gebe. Dazu schweigt sie. Nina ist lang und dünn und blond. So lang und dünn, dass ich lange an ihrem Oberkörper nach Brüsten suche, bis ich sie dann doch entdecke. Alles an ihr ist so hell wie ein Februarhimmel unter einer Hochnebelschicht. Das Blond ein bisschen fahl und garantiert natur, kurzgeschnitten bis über das Kinn. Ihre Haut fast so zart wie bei einem Kind, keine Unebenheit, kein Schatten. Das Leben scheint sie bisher vollkommen unberührt gelassen zu haben. Dabei lebt sie doch schon genauso lange wie Margot, also auch schon fast so lange wie ich, das weiß ich ja. Ich werde sofort neugierig.
Bevor sie uns zum Haus führt, bleibt sie noch an meinem Auto stehen und sagt, schon wieder so, als würde das zu einem Auftrag gehören, den sie bekommen hat: Wie schön, ein Cabrio. Das müsst ihr genossen haben, bei dem schönen Wetter. Sie selber hat kein Auto, das erzählt sie später, sondern kommt gut mit einem Fahrrad zurecht.
Das Haus ist Ninas Elternhaus und liegt am Rand eines kleinen Dorfes am Rand einer Kleinstadt. Sie wohnt dort allein, seit ihre Eltern gestorben sind. Es ist aus hellen Sandsteinen gebaut, steht zwischen hohen Bäumen weit entfernt von allen Nachbarhäusern, der Hof und die Zufahrt sind mit Kies aufgeschüttet. Nina führt uns wie durch eine Ausstellung. Margot und mich, obwohl Margot ja eigentlich schon alles kennt. Zuerst geht es in den Garten, Nina zeigt auf Sonnenblumen und Rosenstöcke in allen Größen. Dann auf Himbeeren, Erdbeeren, Salat, Karotten und Kräuter und sagt dazu: Mein privater Bauernhof. Im Haus befindet sich das eigentliche Museum. Billy Regale in Buche natur, die schon viele Sommer im Licht gestanden haben müssen, jedenfalls sind sie rotbraun geworden. Ich versuche meine Neugierde zu verbergen und lese vorsichtig, ohne den Kopf zu

Veröffentlicht / Quelle: 
Tanja Grün, Wind, Pangai Misi Verlag ISBN 978-3-989-10-6

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