Wind - Page 2

Bild von Tanja Grün
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drehen, auf den Buchrücken. Dabei finde ich alte Freunde wieder, die auch schon in meinen Regalen gestanden haben, aber irgendwann irgendwelchen Umzügen zum Opfer gefallen sind. Ich habe sie nicht vermisst, aber jetzt bin ich gerührt, sie wieder zu sehen, und bekomme fast ein schlechtes Gewissen, vielleicht habe ich sie zu sehr vernachlässigt. Mein Humor kehrt zurück, als ich etwas näher am Fenster Yoga-Anleitungen, vegetarische Kochbücher und ein Lexikon der Heilsteine entdecke. Auf den Fensterbänken sind handgetöpferte Kerzenhalter verteilt, auf dem Sofa liegen lila Seidenkissen. Dazu gegenüber ein Schwedenofen. Und in einer Ecke ein Mobile aus buntem Perlmutt und feinen Holzstiften, das sicher einen sanften Klang erzeugt, wenn es bewegt wird. Am liebsten würde ich gleich ein bisschen Wind hereinlassen, um das auszuprobieren. Um Ninas singende Stimme noch ein bisschen zu unterstreichen, der ich während der gesamten Besichtigung zuhöre, als würde ich mich auf einem Konzertabend befinden. Fast schließe ich die Augen, um mich besser konzentrieren zu können, will aber doch auch sehen, wie sie sich zu dieser Musik bewegt. Ruhig und fließend. Vor dem Fenstersims geht gerade eine Katze vorbei und ich sehe Nina in einer Friedenskette stehen, sehe sie Unterschriften sammeln für Wale in Not oder den Regenwald. Sehe sie vielleicht auch friedlich demonstrieren, Hand in Hand mit ihren Freundinnen, allen außer Margot. Ich wünsche mir, dass es etwas geben könnte, was uns verbindet. Margot hakt sich ahnungslos bei mir unter. Setzt sich dann ebenso ahnungslos eng neben mich aufs Sofa, während Nina in der Küche verschwunden ist. Ich habe mich so laut und überzeugend für Tee und gegen Kaffee ausgesprochen, dass Margot nichts mehr einwenden konnte.
Dann sitzen wir zusammen zwischen den lila Kissen und nippen am Darjeeling. Bei der Hitze. Margot gibt ihren Bericht ab, Nina fragt gezielt nach den wichtigen Punkten. Margots erwachsene Tochter, Margots Exmann, Margots Konflikte mit ihrem Chef und Margots Rückenschmerzen. Fast nichts ist einfach in Margots Leben, aber Nina nickt beschwichtigend und lächelt, sagt nicht viel, scheint darauf konzentriert, das in sich aufzunehmen und zu behalten, was sie hört, als fehlte ihr ein Stenoblock. Gibt aber nebenbei irgendwie zu verstehen: Alles ist halb so schlimm, alles hat seinen Sinn.
Ich sitze überflüssig neben den beiden und höre wenig Neues. Das Neue in Margots Leben bin ja ich. Normalerweise hätte ich mir wahrscheinlich in meiner Not eine Lektüre aus meiner Reisetasche im Flur oder aus Ninas Regalen besorgt. Aber so, wie die Dinge liegen, wird mir nicht langweilig. Nina nimmt ihre Teetasse, ihre Hände sind lang und schmal, die Nägel kurz, ohne Lack. Sie umschließen die Tasse und führen sie dann auf ihren Schoß, wo sie lange stehen bleibt. Nina trinkt kaum etwas. Während sie zuhört, sieht sie manchmal in die Tasse, manchmal zum Fenster, dann wieder in Margots Gesicht, das sich ständig verändert durch das Reden und die verschiedensten Erinnerungen. In Ninas Gesicht bewegt sich kaum etwas.
Irgendwann bin ich an der Reihe. Sie dreht sich mir zu, ihre Augen sind grau, ich studiere in Ruhe ihre Iris und die Linien darin, was sie nicht zu stören scheint, sie zeigt mir gelassen eine graue Wand mit netten Verzierungen. Als sie ihre Fragen stellt, gebe ich alles zu. Wirtschaftsstudium, dann Management. Geld verdienen macht mir Spaß, Geld ausgeben noch mehr. Das Cabrio ist mein Zweitwagen, seit ich wieder selbst meinen Haushalt führe, ernähre ich mich gewissenlos aus der Tiefkühltruhe oder gehe ins Restaurant. Mein Sohn lebt bei seiner Mutter und hat nur selten Lust, mich zu besuchen, obwohl ich ihn großzügig finanziere. In Ninas Gesicht bewegt sich nichts. Der Tee in ihrer Tasse muss jetzt kalt sein, Margot und mir schenkt sie nach und schiebt uns den Kandiszucker zu, von dem sie nichts genommen hat.
Später zeigt uns Nina unser Zimmer im oberen Stock. Es ist groß mit einem Doppelbett, im Haus gibt es viel Platz. Wir packen ein bisschen aus und Margot fragt mich: Magst du Nina? Ja, sage ich, aber sicher nicht so wie du. Sie lacht: Das ist ja klar.
Ich lasse mich aufs Bett fallen, merke wieder, wie müde ich bin. Schlaf doch ein bisschen, sagt Margot und geht mit der Flasche Sekt, die sie in Kühlpads eingewickelt in ihrer Reisetasche mitgebracht hat, wieder aus dem Zimmer. Nina wird sich jetzt mit mir auseinandersetzen, denke ich, und schlafe zufrieden ein.
Als ich wieder aufwache, fängt es draußen schon an zu dämmern. Ich gehe zum Fenster und sehe einen rosa Streifen am Horizont, darunter wieder die Wiesen und die schon fast schwarzen Wäldchen. Ausgeschlafen finde ich nun doch auch Gefallen daran. Von direkt unter mir höre ich die Stimmen von Nina und Margot heraufklingen. Jetzt, wo die Hitze nachgelassen hat, sitzen sie auf der Terrasse hinter dem Haus. Das ist eine schöne Szene, finde ich. Ich mache das Fenster auf, um die beiden besser zu hören. Nie wieder eine Ehe, sagt Margot gerade. Nie wieder würde ich mir das antun. Mit einem Mann zusammen sein, ja, aber unabhängig und frei, in jeder Hinsicht, nur so geht das noch für mich. Da hat Nina mich schon bemerkt, stupst Margot an und zeigt zu mir herauf. Beide lachen, kichern wie Teenies, der Sekt wirkt sicher schon.
Es ist uns schwer gefallen, sagt Margot, als ich unten ankomme und dreht sich mir grinsend, das Kastanienbraun über die Schulter werfend entgegen, aber wir haben dir ein bisschen was übrig gelassen. Und schenkt mir ein Glas voll. Nina scheint ihre Gastgeberinnenrolle schon aufgegeben zu haben. Blink, blink, sagt Margot dann albern, als es ums Anstoßen geht, während sie ihren Blick in meinen bohrt. Bei Nina wieder die gleiche graue Wand. Aber ich weiß aus Erfahrung, dass aus solchen grauen Wänden blaue Leuchtkugeln werden können.
Margot will kochen, obwohl es schon spät ist. Damit ihr beiden mal was Anständiges zu essen bekommt, sagt sie und lacht, sie meint es ja nicht so. Die Kräuter und das Gemüse im Garten haben sie inspiriert, das ist alles. Was sie sonst noch braucht, gibt es in Ninas Küche. Mich schicken die beiden in den Keller, um Wein zu holen. Aber was ich

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Veröffentlicht / Quelle: 
Tanja Grün, Wind, Pangai Misi Verlag ISBN 978-3-989-10-6
Prosa in Kategorie: 
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