Wind - Page 3

Bild von Tanja Grün
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da finde, halte ich für unzumutbar. Also gehe ich wieder nach oben und versuche, das zu erklären. Nina versteht mich. Sie lacht. Fahr doch zur Tankstelle, meint sie, für alles andere ist es schon zu spät. Um mir den Weg zu erklären, benutzt sie ihre langen schmalen Hände, sie bewegen sich ruhig und fließend, bei jeder Abzweigung, von der sie spricht, nach rechts, nach links. Beim Kreisverkehr beschreiben sie einen Bogen. Die dritte Abfahrt.
Ich kann mir nicht merken, was sie sagt, verstehe nichts. Will auch nichts verstehen, schon gar nicht an mein Navi denken, denn ich weiß schon, was ich vorschlagen werde: Möchtest du nicht mitfahren? Margot kocht nicht gerne im Team, das weiß ich genau. Genauso formuliere ich es.
Stimmt!, ruft Margot sofort, arglos wie sie ist und wohl auch immer bleiben will, egal, was ihr in ihrem Leben passiert. Also gehe ich in die Garderobe und hole meine Jacke. Stelle mich vor Nina, ziehe den Schlüssel aus der rechten Tasche und frage nochmal eindringlich: Kommst du mit? Sie nickt, wir verabschieden uns von Margot und gehen nach draußen.
Das Verdeck ist noch offen und es gibt keinen Grund, es zu schließen, die Luft ist noch warm. Wenn auch gerade ein bisschen Wind aufkommt, vielleicht zieht von irgendwo ein Gewitter zu uns her. Bis jetzt ist der Himmel aber noch sehr klar und regelrecht samtblau, weil ihn die letzten Sonnenstrahlen anleuchten. Trotzdem kann man schon ins All hinaussehen. Der Große Wagen hängt direkt über Ninas Haus, als wir einsteigen. Weil ich das nun wirklich schön finde, warte ich einen Moment, bevor ich das Auto anlasse, und schaue nach oben. Nina fragt: Kannst du überhaupt noch fahren? Sofort drehe ich den Schlüssel und gebe Gas, dass der Kies nur so spritzt. Nina sieht mich zweifelnd von der Seite an. Aber dann wird sie locker, ich spüre es. Nachdem ich in die Landstraße eingebogen bin, fahre ich zuerst nicht besonders schnell, damit die warme Luft angenehm über die Haut streicht und der Blick in Ruhe über die Landschaft im Dämmerlicht wandern kann. So kann ich auch immer wieder zu Nina hinüberschauen und sie dreht den Kopf herüber, lächelt wieder ihr breites Lächeln von einer Seite zur anderen.
Aber auf einmal liegt die Straße fast gerade vor uns, nur leicht geschwungen führt sie in ein kleines Tal. Ich kann mich nicht beherrschen und drücke beinahe das Gaspedal durch. Da lacht Nina plötzlich neben mir laut auf, immer wieder. So geht es, bis wir ein Ortsschild passieren und der Spaß erst mal ein Ende hat. Dafür erklärt Nina mir jetzt den Weg und ich sage: Du klingst viel schöner als mein Navi. Sie soll ruhig merken, was los ist. Gleich wird sie nüchterner im Ton und das Lächeln in ihrem Gesicht verschwindet. Fünf Minuten später sind wir an der Tankstelle. Nina macht keine Anstalten auszusteigen, also gehe ich alleine und kaufe zwei Flaschen Merlot.
Als ich durch die gläserne Schiebetür aus dem Tankstellengebäude hinausgehe, sehe ich, dass sie sich ans Steuer gesetzt hat. Ich bleibe einen Moment stehen, noch den Geldbeutel und den Kassenbon in der Hand, und starre zu meinem Auto hinüber. Sie schaut eisern vor sich hin, obwohl sie mich sicher bemerkt hat. Gleich darauf steige ich ganz selbstverständlich auf der Beifahrerseite ein. Gebe ihr den Schlüssel in die Hand und sie fährt einfach los. Wartet nicht, bis das Ortsschild kommt, sondern beschleunigt sofort, so dass sicher einige Anwohner aufwachen. Ich schaue einen Moment auf die Straße, dann nur noch in ihr Gesicht, gelblich angestrahlt von der innerörtlichen Beleuchtung. Es sieht sehr ernst und konzentriert aus, in den Mundwinkeln liegt aber ein verstohlenes Lächeln. Sie sieht aus wie ein kleiner Junge, der zum ersten Mal eine Fernsteuerung ausprobieren darf. Ich muss etwas tun, überlege aber noch, was.
Nachdem wir das Ortsschild zum zweiten Mal hinter uns gelassen haben und sich wieder die Strecke durch das Tal vor uns auftut, zeigt Nina erst wirklich, was in ihr steckt. Mit ausgestreckten Armen sitzt sie hinter dem Steuer, den Kopf in die Nackenstütze gepresst und mein Auto beschleunigt so, als wäre es ein Jet auf der Startbahn, der gleich abheben soll. Jetzt weiß ich, was ich tun muss. Ich brülle so laut ich kann, durch alle Fahrgeräusche hindurch: Halt an, halt sofort an!
Und tatsächlich bremst Nina ab. Sie denkt wohl, dass ich Angst bekommen habe, um mein Auto oder uns, dass mir schlecht geworden ist oder sich vielleicht ein Herzinfarkt ankündigt. Sie fährt in die Einfahrt zu einem kleinen Feldweg, macht sogar den Motor aus und sieht mich fragend an. Da packe ich ihren Kopf und ziehe ihn zu mir herüber, ihr Gesicht an meins. Spiele meine Rolle als Liebhaber fast perfekt und bin davon ganz überrascht. Nina schlägt mich so heftig in den Rücken, dass es wirklich weh tut. Also lasse ich los und höre sie schreien: Was soll das? Spinnst du? Ich starre auf ihre jetzt schon fast nachtschwarze Wand und höre sie wieder ein bisschen ruhiger sagen: Denkst du etwa, ich bin für dich die passende Herausforderung?
Also betrachte ich verschämt meine Knie, die sich im Halbdunkel noch deutlich abzeichnen. Versuche mein Unterbewusstsein zu prüfen, komme dabei aber nicht wirklich weiter, schaue dann nochmal hoch, noch immer auf die schwarzgraue Wand und sage: Soll jetzt vielleicht ich wieder fahren? Nina steigt aus und läuft um mein Auto herum, während ich mich innen auf die Fahrerseite schiebe.
Ab jetzt fahre ich langsam weiter. Nicht aus Vorsicht, sondern aus Verwirrtheit. Wage es auch nicht mehr, Nina anzusehen, bis wir wieder auf dem Kies vor ihrem Haus einfahren. Jetzt ist es sie, die mich von der Seite ansieht, anstatt auszusteigen, so dass ich auch noch sitzen bleibe und schließlich doch den Kopf hinüberdrehe. Gerade ist das Außenlicht am Haus und auf dem Gartenweg angegangen, wir haben wohl mit dem Auto den Bewegungsmelder ausgelöst. So reicht die Beleuchtung gerade dafür aus, dass ich ihr Gesicht in Farbe erkenne. Sie sagt: Du solltest noch was wissen: Ich bin grundsätzlich nicht interessiert.
Wie du meinst, sage ich und höre erstaunt,

Veröffentlicht / Quelle: 
Tanja Grün, Wind, Pangai Misi Verlag ISBN 978-3-989-10-6

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